Man darf wohl behaupten,,, dass früher die grosse Mehrzslg: ^ämmtlicher Eingeborenen
von America, vom Feuerlande an bis hinauf zum Polareise, tätowirte __
heute ist diese Sitte allerdings auf viel bescheidenere Bezirke beschränkt, denn hier, wie
in d e r g a n z e n W e lt s in d d ie T a g e d e s T ä t o w i r e n s a l s V o l k s s i t t e g e z
ä h lt . So wie der Erdkreis prädestinirt erscheint, von der weissen Rasse beherrscht
zu werden, vor welcher, wo sie sesshaft wird, die Eingeborenen, dahinschwinden, man
weiss nicht warum, sö schwindet auch die Tätowirung vor dem Hauch des weissen
Mannes. „Christenthum“ in Gestalt v H Kattun verkaufenden Missionaren, „Civilisation“
in Form von Drillichhosen und Oxfordhemden haben ihm den Vernichtungskrieg erklärt
und werden siegreich, lÄiiben: der Tag ist nicht mehr fern, an dem der letzte tätowirte
„Wilde“ dahingehen wird zu seinen Vätern, und der Gedanke, dass diesem vielleicht
ein -in. Europa’s Stoffe gekleideter, und in Europa’s Glauben getaufter, und durch Europa’s
Branntwein und Krankheiten entarteter Sohn die Leichenpredigt halten wird, kann den
Ethnographen _ nicht trösten .über diesen neuen Verlust einer Originalität auf Erden,
welcher uns der drohenden allgemeinen Verflachung wieder einijbi Schritt- näher ge- ‘
bracht haben wird.
Um auf America zurückzukommep, so dürfen wir annehmen;, dass die Patagonier
der Tätowirung huldigten, ebenso wie die Bewohner der Pampas und dêsf Gran ChacpV
dann sämmtliche Eingeborenen Brasiliens, an der Küste sowohl wie im Innern, bis hinauf
zu den heutigen Aruacos und Guajiros. Hier -sind die Meisten dem alten Brauche b jj|
heute treu geblieben. A mt . K n iv e t , der 159,1 an der brasilischen Küste bei S. Se-;
bastian scheiterte, sagt bei Purchas „America“ ' von-den ^ t iv a r e s : „T he y inhabit from
Bahia to Rio Grande; their bodies are carved with fine workes,“ ebenso schreibt MARTiulifl
von den Ureinwohnern Brasiliens: „Gemeiniglich kommen allekGlieder eines Stammes,*
einer Horde, oder einer Familie in gewissen Zierrathen oder Abzeidhèn Ubêreipi' Reiche
sie als charakteristisches*:. :Merkmal än sich tragen. Dahin .gehören die verschiedenen*-
Arten von Schmuck . . . und ganz vorzüglich die Tätowirungen (im A n t litz e ^ e r Uber
| f | n ganzen Körper“ ),.jj Auch E h r e n r e ich berichtet von den heutigen Puris in Ostbrasilien,
dass „die Weiber, durchgängig heller gefärbt, kleine Kreise oder Kreuze- nüt
blauer Farbe auf die Wangen tätowirt hatten,“ ' gerade sft von d en S teinen von den'
Anwohnern des Schingü;5 S chombdrgk von den Indianern Guiana’s ,6 K appler f l n den
Arowaken in Surinam, bei denen, sonst jede, f,,Verunstaltung des Körpers, wenn man
1 FLETCHER-Washington. 1. c. p. 43.
2 1626. IX. p. 909.
3 Zur Ethnographie America’s. Leipzig 1867. p. 55,
383» 5IO> über die Tupi und Mudrucü vgl. Bancroft,
1. c. p. 573; Waitz. III. p. 416.
4 Verh. d. Berl. A. Ges. 1886 p. 187.
5 ebenda 1885. p. 96.
6 Monatsber. d. Ges. f. Erdk. N. F. II. p. 157:
F loss. Das Kind; p. 336.
von dem Ausreissen der Augenbrauen und deren Ersetzen durch blaue, bogenförmige
Linien Tätowirung, absieht, fehlt“ 1.
Von der Westküste Südamerica’s besitzen wir Beweise von dem Herrschen der
Tätowirung zumal bei den alten Peruanern sowohl durch eine Stelle bei Pedro d e C ie z a d e
L eo n. „L a Crönica del Peru“ (1550) in Bibi, de Autores Espanoles. Historiad. primitiv,
de Indias II. p. 40p: „E n esta costa y tierra subjeta ä la ciudad de Puerto Viejo y ä la
de Guayaquil hay dos maneras de gente, porque . . . son los hombres la b r a d o s en el
rostro, y comienza la labor desde el nacimiento de la oreja y.superior de’l y deciende
hasta la barba, del anchor que cada uno quiere. Porque unos se labran la mayor parte
del rostro y otros menos, casi y de la manera que se labran los moros“ , wie durch
Stücke tätowirter Menschenhaut, die unsere berühmten Landsleute R e i s s und S t ü b e l
bei ihren Ausgrabungen in Peru zu Tage gefördert haben. Dieselben berichten darüber
in ihrem Prachtwerk „Das Todtenfeld von Ancon“ zu Tafel 29 wie folgt: „Unter den
vielen an Ort und Stelle aus ihrer Umhüllung genommenen Mumien lässt eine grosse
Zahl deutlich Spuren der Bemalung erkennen. E s beschränkt sich dieselbe entweder
auf Arme und Hände, oder bedeckt auch grössere Hautflächen des Oberkörpers. Die
schwarz erscheinende, meist zierliche Zeichnung stellt einfache Linien, Sterne, Pfeile u. s. w.
dar, Muster, d e r e n M o t iv e a u c h in d en G e w ä n d e rn a u f t r e t e n . Die von
Herrn Professor V irchow ausgeführte Untersuchung hat gelehrt, dass es sich nicht um
eine oberflächliche, um eine dem Verwischen äusgesetzte Bemalung handelt, dass vielmehr
der Farbstoff in das Gewebe der Haut eindringt. Somit ist die interessante That-
sache festgestellt, dass auch den alten Peruanern der so weit verbreitete Gebrauch des
Tätowirens eigen war.“
Einen ferneren Beweis hierfür liefern zwei im Königl. Museum für Völkerkunde
in Berlin befindliche, auf Tafel I abgebildete altperuanische Töpfe, die mit unverkennbarer
Naturtreue die Züge von Tätowirten darstellen.
Von demselben Brauche bei den Centralamericanern1 2 3 hat uns L. W a f e r , ein Begleiter
D am p ier ’s , eine anschauliche Schilderung hinterlassen. E r schreibt in der schon'
mehrfach angeführten holländischen Ausgabe seines Reiseberichts p. 57 : „Eerst maaken zy
met een penseel en verw een nuuwe schets van de figuur die zy voorhebben te maaken;
alsdan prikkelen zy die plaats overal met een scherpe doorn dat het bloed daer uyt-
springt . . . en die schildering is onuytwisschelijk.“ Die „Indianer“ Nicaragua’s „cut
their faces and arms with flint knives and tubbed a |b:lack powder into the. scars“ 3,
dasselbe thun noch heute die Eingeborenen des Innern, westlich von der Moscitoküste,
von denen es auch Colümbus schon berichtet hat.4
1 Globus 51. p. 107. , 3 Squier. Nicaragua. II. p. 341.
2 vgl. auch Bancroft. 1. p. 753. 4 Bancroft. p. 716.