Sollte es in Vorhergehendem gelungen sein, die Tätowirung als eine Manipulation,
bei der die Menschen im Grossen und Ganzen an nichts anderes w i| |a n die Verschönerung
ihres Aeussern denken, darzustellen, . ;s| muss';doch noch einmal kurz auf
diesen Punct zurückgekommen werden1, weil von sehr gewichtiger Seite aus schon vor
Jahren, zumal Uber das Tätowiren der Südsee-Insulaner Ansichten und Behauptungen
aufgestellt worden sind, die nicht unwiderlegt bleiben dürfen, weil dieselben jetzt schon
als Thatsachen in Lehrbücher aufgenommen sind und als psychologische Unterlage der
Sitte des Tätowirens im Allgemeinen angenommen zu werden drohen.
Professor Gerlanij im VI. Bande des meisterhaften WAiTz’schen Werks: „Anthropologie
der Naturvölker“ ,.bezeichnet das Tätowiren bei den Polynesiern als ein h e i l i g e s
G e s c h ä f t , “ erstens, weil dasselbe häufig vom Priester ausgefiihrt wurde, zweitens, weil
man angeblich die Tätowirung auf die „Götter“ selbst zurückführte; ferner aber, und
das ist das wichtigere, suchen Gerland-WIaitz zu beweisen, dass der Ursprung des
Tätowirens nicht in dem Wunsche des Menschen, sich zu verzieren, zu suchen sei,
sondern in dem Drange desselben, sich d u r c h E in ä t z u n g g e w i s s e r m y s t i s c h e r
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Z e ic h e n in d ie H a u t dem S c h u t z g e w i s s e r G o t t h e i t e n a n z u em p fe h le n .
Diese Symbole seien s p ä t e r vielleicht an einigen Orten zur gewöhnlichen Körperzier
herabgesunken.
Daraufhin schreibt schon M e in ic k e in seinem vielbenutzten, im übrigen trefflichen
Buche: „Die Inseln des Stillen Oceans“ : 1 „Diese Sitte, wenn auch in neuerer Zeit überwiegend
zur Verzierung des Körpers geübt, stand doch u r s p r ü n g l i c h s i c h e r mit
religiösen und politischen Institutionen in Verbindung.“ Zum Beweise dieser Behauptung
verweist er auf eine andere Stelle in einem seiner Bücher, wo er dasselbe sagt, und
dann auf obige Stelle bei W a it z .
Was nun den ersten Punct betrifft, dass das Tätowiren ursprünglich ein heiliges
Geschäft gewesen sei, weil es oft von Priestern ausgeübt werde, so scheinen G e r l a n d -
W a it z bei dem Worte „Priester“ an europäische Pfarrer oder Rabbiner gedacht zu
haben, während sie die „^eilige Handlung“ als etwas unsern. christlichen Ceremonien
entsprechendes sich vorstellten. Aber selbst von diesem Irrthum abgesehen, möchte
noch lange nicht, weder in. Europa noch irgendwo in der Welt eine Handlung, weil sie
von einem Priester ausgeführt wird, von vorne herein als eine ^heiligejlzü bezeichnen
sein, sondern viel eher als eine solche, die bezahlt wird. Und so ist es - auch mit dem'
Tätowiren. Das Geschäft wurde hoch bezahlt, darum suchten es die Priester zu mono-
polisiren und das gelang ihnen um so besser, mit je mehr Schwindel sie diese triviale
Operation umgaben. E)ieser Vorfall steht durchaus nicht vereinzelt da. P lo s s sagt
sehr richtig: „Die Erscheinung, dass so manche Toilettenkünste in der Vorstellung der
Völker gleichsam für einen höheren Zweck und als Aufgabe eines göttlichen Gebotes
geleistet und ausgefiihrt werden, darf uns nicht in Verwunderung setzen.“ * Wir finden eine
Menge Handlungen, die ursprünglich rein practisch oder gesundheitlich oder kosmetisch
waren, mit der Zeit in symbolische oder „he ilig e “ verwandelt, zumal wenn Gesetzgeber
oder irgend eine Gjasse von Leuten bei dem Verwandeln eines solchen allgemein
herrschenden Brauchs in eine „religiöse Handlung“ einen materiellen Vortheil hatten.3
Hierbei braucht ja nur an das erste .Haarschneiden oder Bekleiden, eines Neugeborenen,
zumal aber an das erste Waschen des Kindes und an die Beschneidung erinnert zu
werden. Dass die Beschneidung z. B. bei den Juden aus gesundheitlichen Rücksichten
entstanden ist, trotzdem sie auf den directen Befehl des jüdischen Gottes zurückgeflihrt
wird, braucht wohl nicht näher ausgefiihrt zu werden, ebenso wenig, dass sie als Zeichen
der Aufnahme in die Gemeinde der christlichen Taufe entspricht. Diese christliche
Taufe kann aber ebenso getrost auf die erste gründliche- Waschung zurückgeflihrt
werden, die dem Neugeborenen aus Gesundheits- und Reinlichkeitsgründen zu Theil
1 • I. 40.
2 Das Kind. p. 296.
3 ebenda, p. 288.