Tätowirung und Ziernarben in Melanesien, besonders
im Osten Neu-Guineas.
Von
Dr. O. FINSCH (Bremen).
Bei einer Vergleichung der Hautverzierungen der hellfarbigen Rasse, der Oceanier,
mit denen der dunkelfarbigen Melanesier zeigt sich bei den Letzteren die geringe Anwendung
und Verbreitung von Tätowirung als eine charakteristische Eigenthümlichkeit.
Am häufigsten und weitesten unter ihnen ist jene Art den Körper zu verzieren verbreitet,
welche ich als „ Z i e r n a r b e n “ bezeichne. E s sind dies Zeichen, die hauptsächlich
mittelst scharfer Instrumente (Steine, Fischgräten, Dornen, jetzt am liebsten Glasscherben,
auch Messer) nicht nur in die Haut eingeritzt, sondern eingeschnitten werden, und die
nach der Heilung erhabene, heller gefärbte Narben zurücklassen. Hierdurch unterscheidet
sich diese Art der Körperverzierung äusserlich vollkommen von der Tätowirung, wenn
sie auch genau denselben Zweck verfolgt. Solche Ziernarben sind bei den Eingeborenen
Australiens, die keine Tätowirung kennen, häufiger als irgend anderswo in der Südsee,
meist aber nur in sehr roher Weise ausgeführt. Gewöhnlich sieht man auf Brust,
Rücken und Armen und zwar bei beiden Geschlechtern möglichst erhabene wulstartige
Narben, die selten in regelmässiger Anordnung vertheilt sind, wie dies in gewissen
Gebieten Melanesiens, z. B. Neu-Britannien geschieht. Hier gilt das „Akotto“ , wie diese
Ziernarben heissen, als eine besondere Verschönerung des Körpers, namentlich der Frauen,
die aber im Ganzen doch selten vorkommt. Männer tragen meist nur auf einer, seltener
auf beiden Brustseiten „Akotto“ , meist in Form eines Rades. Frauen haben weniger
die Brust, sondern mehr das Gesäss oder den Oberschenkel mit Akotto in verschiedenen
Mustern verziert, die aus erhabenen Narben bestehen, welche sich in Form eines Rades,
wie bei den Männern, zu Schnörkeln, oder auf dem Schenkel zu Zickzackmustern
gruppiren. Durch Wiederholung der Einschneideprocedur, die übrigens sehr schmerzhaft
ist und lange Zeit; mehrere Monate, zur Heilung bedarf, werden die Narben mehr und
mehr erhaben und bilden zuweilen mehrere Millimeter hohe Wülste. Die Nummern 89
und 97 (Brüste von Männern) und 98 (Oberschenkel einer Frau) meiner Sammlung
von Gypsabgüssen von Völkertypen1 geben die besten Darstellungen dieser Art von
Körperverzierung. Denn nichts anderes als solche ist das Akotto in Neu-Britannien
und frägt man, warum dieselbe dann im Ganzen so selten vorkommt, so lässt sich
darauf nur antworten, weil die Ausführung so schmerzhaft ist und einen Muth
erfordert, den nur die Wenigsten besitzen. Aber deshalb sind die mit Akotto ge schmückten
Männer noch lange nicht die tapfersten Krieger, noch gilt es für sie als
sichtbares Zeichen von Heldenthaten, wohl aber werden damit versehene Frauen für
schöner gehalten und man wird dies begreiflich finden, wenn man dabei die totale
Nacktheit berücksichtigt. Ziernarben werden übrigens nicht aus Unkenntniss von Tätowirung
angewendet, denn auch in Neu - Britannien ist die letztere nicht durchaus unbekannt,
® aber dennoch und trotz der wenig schmerzhaften und leichten Ausführung bei
Weitem seltener als Ziernarben. Dass Letztere in sehr kunstvoller Ausführung zugleich
mit Tätowirung an demselben Orte, ja demselben Individuum Vorkommen, habe ich an
den Frauen in Humboldt-Bai gesehen. Beide Arten von Körperverzierung, Tätowirung
wie Akotto, sind also keineswegs auf verschiedene Gebiete beschränkt.
In den Gilberts-Inseln sieht man häufig Narben, die nicht durch Einschnitte,
sondern durch Brennen mittelst einer glühenden Kohle, hervorgebracht sind und in
Folge dessen aus mässig oder kaum erhabenen, kleinen runden Narben bestehen. Dieselben
stehen meist regellos oder bilden höchstens Längsreihen, aber niemals ein
wirkliches Muster. Diese Brandnarben der Gilberts sind keine eigentliche Körperverzierung
wie das Akotto der Neu-Britannier, sondern sie werden meist beim Ableben
eines nahen Anverwandten gemacht, sind also E r in n e r u n g s z e i c h e n an Verstorbene.
Man findet diese Brandnarben daher auch viel häufiger bei Frauen als bei Männern.
Sie haben übrigens ebenso wenig als das Akotto der Melanesier, mit Pubertät, Rang
oder dergl. zu thun und ich sah junge Mädchen sich zum Spass Narben einbrennen,
blos um ihren Muth zu zeigen und weil diese Narben immerhin als schön gelten.
Der Grund des häufigeren Vorkommens von Ziernarben bei Melanesiern dürfte
nicht in dem Umstande zu suchen sein, dass auf der schwarzen Haut die gewöhnliche
Tätowirung kaum sichtbar sein würde, denn auf der Haut der Melanesier tritt Tätowirung
sehr wohl hervor, und unbekannt ist sie ihnen ja auch nicht, aber sie passt ihrem
Geschmack einmal nicht, sie findet weniger Beifall, ausser in gewissen sehr beschränkten
1 vergl.: „Anthropol. Ergebnisse“ etc. in: Zeitschrift
fiir Ethnol. 1883. Supplem. Berlin. A. Asher
& Co. 1884.
a Sehr vereinzelt und als seltene Ausnahme sieht
man bei Mädchen und Frauen zuweilen auf Stirn und
Backen einzelne tätowirte Punktlinien, die kaum bestimmte
Muster bilden, aber immerhin Tätowirung
sind. Ich beobachtete solche einpunktirte Linien
auch bei Männern in der vorher nicht besuchten
Hansabucht an der Südwestküste Neu-Britanniens. —
Nicht zu verwechseln mit Ziemarben sind jene
Narben, die von Einschnitten Zurückbleiben, welche
in Folge von Krankheiten gemacht wurden, um Blut
zu lassen, und die sehr häufig Vorkommen. O. F.