Die erste ausführliche Behandlung der betreffenden Organismen
findet sich in E. ß a y L a n k o s te r ’s Abhandlung: „On a peach-coloured
Bacterium“ !). In einem Gefäss mit in Wasser faulenden thierischen
Stoffen fand Ray Lankester Ansammlungen von rothen Bacterien,
welche in dichten Massen die faulenden Stoffe bedeckten und die
Gefässwäude als zusammenhängendes Hiintchen auskleideton. Dieselben
bildeten ein Gemenge von nacli Gestalt, Grösse und Gruppirung sehr
verscliiedenen Formen; jedoch waren die extremsten gleichsam durch
eine Reihe von Uebergangsformen verbunden. Ein gemeinsames
Merkmal, welclies alle diese Formen kennzeiclmete und dem Beobachter
am meisten auffiel, w'ar ihre lebhaft pfirsichhlütlu-otlie Färbung. Diese
Färbung (selbstverständlich zusammen mit dem geselligen Vorkommen)
verleitete Ray Lankester zu dem a priori gemachten Schlüsse, dass alle
diese Formen zu dem Formenkreise einer „protean“ Speeles B a c te r ium
ru b e s c e n s gehören, n u r als Wuchsformeii (phases of growth) derselben
anzusehen seien. Diese Annahme sei in diesem Falle die
einfachste (tlie simplest liypothesis), denn das Vorhandensein von
einem und demselben rothen Pigment „Bacterio-Purpurin“ in allen
diesen Organismen weise auf gemeinsame cliemische Processe in
ihrem Protoplasma hin und sei das Zeichen ihrer genetischen
Verwandtschaft („the emblem of their common j}arentage, their race
mark“). Von diesem Standpunkte ausgehend, beschreibt Ray Lankestor
sehr summarisch die von ihm beobachteten Variationen in der Gestalt
der einzelnen „Plastiden“ und in der Gruppirung derselben.
In seiner 3 Jahre später erschienenen zweiten Abhandlung^)
bestätigt Ray Lankester seine früheren Angaben, beschreibt neue
Uebergangsformen und sogenannte Macroplasten, welche eine bestimmte
Vermehrungsform von B a c te r iu m r u b e s c e n s („reproductive Form“)
darstellen sollen.
Es folgt aus dem Gesagten, dass Ray Lankester’s Ausführungen
n ur insoweit annehmbar sind, als man seiner Hypothese, dass das rothe
Pigment die Verwandtschaft aller dieser Formen bedeute, zuzustimmen
geneigt ist. So sagt Ray Lankester selbst S. 413: „it is only if the
possession of this purple colouring matter he admitted as warranting
the assumption of specific continuity that my observations have any
further interest“ !). Es ist aber nicht einzusehen, warum nicht sehr
verschiedene Species dasselbe Pigment bilden sollten. Es sind ja
viele spectroskopiscli sehr gut characterisirte Pigmente ausserordentlich
im Pflanzenreiche verbreitet und kommen in sehr verschiedenen, sehr
entfernten Familien angehörigen Species vor. Beispiele anzuführen
wird wohl unnöthig sein.
In seiner Abhandlung: „Untersuchungen über Bacterien“^) kommt
Co h n unter Anderem auch auf die rothen Schwefelbacterien (rothe
Fäulnissorganismen) zu sprechen. Eine Anzahl von diesen — C la tliro -
c y s t is r o s e o - p e r s i c in a , M o n a s O k e n ii, M. v in o s a , M. W a rm in g ii,
R h a b d om o n a s ro s e a , O p h id om o n a s s a n g u in e a — werden als
durchaus selbständige Organismen beschrieben und abgebildet. Die Frage,
ob diese Formen in den Entwicklungskreis irgend einer pleomorphen
Species gehören, wird nicht einmal gestellt. Die Beggiatoen, von denen
Cohn frü h e r3) einige Species beschrieben hat, hält Cohn auch für
selbständige und nichts weniger, als pleomoi'plie Organismen. Ungeachtet
der auffallenden gemeinsamen Eigenschaften, wie die Farbe,
die Körnchen, deren Natur Cohn zuerst richtig erkannt hat, hält
Cohn die von ihm beobachteten rothen Formen strenge auseinander.
Mit bemerkenswertheni Scharfblick sagt er: „auf den ersten Blick
erscheint es leicht, die Alge wegen ihrer auffallenden Farbe auch in
den verschiedenen Gestaltungen wieder zu erkennen; bald überzeugt
man sich aber, dass gerade diese Färbung irre leitet, da eine ganze
Anzahl mikroskopischer Organismen, welche meist gesellig unter
einander Vorkommen, aber durchaus nicht in entwickelungsgeschicht-
liciiem Zusammenhänge stehen, durch die nämliche Pfirsichblüthfarbe
characterisirt sind“ (1. c. S. 157).
!) Quarterly Journal of micr. sc. Vol. XIII. New series 1873.
") Further Observation on a peach or red - coloured Bacterium —
Bacterium rubescens. Quart. J. of micr. sc. Vol. XVI. New series 1876.
!) Es existirt nocli ein anderes allen diesen Organismen gemeinsames
Merkmal; das ist das beinahe constante Vorhandensein von dunklen glänzenden
Körnchen — Schwefelkörnchen in ihren Zellen. Die Bedeutung dieser
Körnchen ist überhaupt von Ray Lankester missverstanden w'orden; er stellt
sich dieselben vor als winzige Kammern oder Höhlungen („loculi“, „cavities“),
wo das Pigment sich anhäuft und die chemischen Processe einen intensiveren
Character habe'n, als in der übrigen Substanz der „Plastide“ (S. 415 u. 416).
Dementsprechend sind die Schwefelkörnchen auf den drei Tafeln als lebhaft
roth und violett abgebildet.
=) Beitr. z. Biol. Bd. I. H. 3. 1875.
“) Hedwigia 1865. p. 81. Beiträge zur Physiologie der Phycochromaceen
und Florideen in Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. III.
H. 2. 1867.