Schlussbemerkungen.
Nachdem ich jetzt meine Beobachtungen über die Morphologie der
Schwefelbacterien ausführlich mitgetlieilt habe, bleibt mir noch übrig,
die am Anfang meiner Abhandlung gestellte Frage zu beantworten,
nämlicli: inwieweit die von mir beobachteten Thatsaclien zu Gunsten
der pleomorphistisclien Anschauung oder ihres Gegentheils sprechen.
Sind unsere Schwefelbacterien als pleomorph zu bezeichnen oder
niclit? So geläufig die Ausdrücke pleomoi-pli, Pleomorphismus auch
sind, halte ich doch fü r nothwendig, um Missverständnisse zu vermeiden,
zunächst eine klare Definition dieser Begriffe zu geben. Eine
solche finde ich in dem mehrfach erwähnten Bacterienhuche von
de Bary. „Die Erfahrung hat gelehrt“ , sagt er (S. 20), „dass verschiedene
Species sich bezüglich der in ihrem Entwickelungsgang
successiv auftretenden Gestaltungen sehr ungleich verhalten können.
Bei den einen kehren immer die gleichen successiven Gestaltungen
mit relativ geringen individuellen Schwankungen wieder. Man kann
sie g le ic h fö rm ig e Species nennen. Die meisten gewöhnlichen
liölieren Pflanzen und Thiere sind Beispiele hierfür und nicht minder
viele niedere, e in fa ch e re Die anderen A rten sind v ie lg e s t a lt ig ,
p le om o rp h , sie können selbst in den gleichnamigen Entwickelungsabschnitten
un te r sehr ungleichen Gestalten auftreten, theils nach Ein-
wiikung bekannter und experimentell willkürlich zu ändernder äusserer
Ursachen, theils nach inneren Ursachen, welche der Analyse derzeit
nicht zugänglich sind . . . . Viele grössere Pilze, z. B. die Mucorformen,
grüne Algen, wfie das merkwürdig pleomorphe B o t r y d iu m g r a n u -
l a tu m , zeigen solche Erscheinungen in der auffallendsten Weise . . .“
Wenn wir uns jetzt zu den hier behandelten Bacterien wenden,
so braucht es wohl keiner längeren Ausführungen, um zu beweisen,
dass sie in die erste Categorie gehören, dass sie gleichförmige Wesen
sind. Selbst an den liöchst entwickelten Formen, wie z. B. Thiothrix,
sehen wir n u r einen und immer denselben einfaclien Bntwickelungs-
gang sich abspielen; der aus der Stäbchengonidie liervorgewachsene
Faden bildet, nachdem er eine gewisse Grösse erreicht, wieder Stäbchengonidien,
welche nach kurzer Bewegungsperiode wieder zu vollkommen
ähnlichen Fäden sich verlängern u. s. w. So lange man diesen Organismus
beobachtet, un te r allen Bedingungen, wo er überhaupt wächst,
sieht man nichts mehr; die manchmal zu diesen noch hinzutretenden
Vorgänge sind pathologischer Natur. Beggiatoa verhält sich noch
einförmiger: ihre Entwickelung geht nicht über eine einfache gleich-
massige Zelltheilung hinaus. Fibenso verhalten sich die rothen Schwefelbacterien;
sie machen ihren einfachen, für jede Form characteristischen
Entwickelungsgang durch. Es ist sogar bemerkenswerth, mit welclier
Constanz die Gestalt u nd Grösse der einzelnen Zellen n u r zwischen
bestimmten Normen sich bewegen. Durch eine Eeihe von Messungen
habe ich es für einige Eormen bewiesen. Nur in einem Falle,
nämlich bei Ehabdochromatiumarten, habe ich eine Variabilität des
Wuchses, freihch zwischen sehr engen Grenzen, beobachtet, wobei es
noch unentschieden blieb, ob hier auch nicht zum Theil pathologische
Veränderungen vorliegen.
Die Frage: kommt diesen Organismen eine so grosse Anpassungsfähigkeit
an verschiedene Ernährungsbedingungen zu, wie von ihnen
behauptet wurde, muss mit aller Entschiedenheit verneint werden.
Alle diese Organismen sind, wie durch direckte Versuche bewiesen,
an streng bestimmte Ernährungsbedingungen angepasst; auf Veränderung
dieser reagiren sie n u r durch Einstellung ihres Wachsthums.
Daraus geht von selbst hervor, dass die in ihrer Entwickelung auftretenden
successiven Gestaltungen nicht als Anpassungsformen zu
deuten sind. Die entgegengesetzten Angaben sind, wie bewiesen,
durch Verwechselung von verschiedenen distincten Species entstanden.
Natürlich kann auch hier, wie bei allen Organismen, der normale
Entwickelungsgang, dessen successive Phasen unter entsprechenden
Ernährungsbedingungen in gewissem Eythmus regelmässig abwechseln,
durch äussere Einwirkungen unterbrochen oder in unbedeutendem Grade
modificirt werden: bald ein, bald ein anderes Entwickelungsstadium
tritt schärfer hervor, oder wird im Gegentheil so reducirt, dass es
kaum noch zu merken ist. So treten z. B. bei gewissen Ernährungsbedingungen
massenhaft Schwärmer auf, bei anderen fast gar nicht,
so kann die Bildung von Gallerthüllen reichlicher werden oder
zurücktreten etc. etc. Es kommen dann weiter noch individuelle
Schwankungen hinzu. Aber im Grossen und Ganzen bewegt sich der