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Von den Knochen blieb, nach der Behandlung durch Salpetersäure, wie
Herr Hérissant sie annahm, ein weiches Parenchyma übrig; die Knorpel und
anderen knochenartigen Theile verloren ihre Härte; der Schmelz der Zähne
hingegen lölste sich in einen wahren Kalk auf, niocht ich ihn mit concentrirter
oder verdünnter Säure behandeln ; nur in Hinsicht der Zeit findet hier ein
Unterschied statt.
Alle Muschelschaalen, eingehäusige sowol als zweygehäusige, lofsten sich
in der Säure, wie ein Stück Kalkstein oder wie der Schmelz auf. Die Skelette
der Meerpolypen aber gaben verschiedene Resultate ; die der Madrepören, Milleporen
und dergleichen, löfsten sich wie die Muschelschaalen vollkomrnèn auf :
zwar blieb ein thierisches Zellgewebe übrig, das ich indefs bey genauer Betrachtung
für ein Häutchen des. thierischen Ueberzuges erkannte, der sich in die
Streifen des Skeletts erstreckt hatte... Das Skelett der Coralle hingegen, das ich
-von allen Resten des thierischen Ueberzuges wol gereinigt, der Einwirkung der
Salpetersäure aussetzte, liefs ein deutliches Zellgewebe zurück, das ich, während
die Auflösung vor sich gieng, für ein Vehikel, und Bindungsmittel jener Kalk-
theilchen erkannte, denen das', Skelett seine Härte und Sprödigkeit verdankt.
Durch eben die Behandlung beraubte ich die^Schaalen der Meerigel, der Krabben,
und das Gehäuse der Medusa velfella alles ihres Kallas, und'verwandelte sie in
weiche Häute.
Calcinirte ich die rothe Coralle, so erhielt ich ein Stück weifsen Kalk, der
in nichts von einem calcinirten Knochen verschieden, bey nicht sehr starkem
Feuer inwendig von orangengelber Farbe war, und sich unter der Mörserkeule
in einen Teig verwandelte. Der Stamm einer Madrépore dagegen erhält sich int
Feuer vollkommen weifs, und erfordert, wie der Kalkstein selber, eine lange
Operation um calcinirl zu werden. Setzt man nun das calcinirte Skelett der
Einwirkung der Säure aus, so bleibt nicht die Spur eines Parenchymas übrig '
da diefs vom Feuer zerstört ist;
Und warum wollen wir nicht bey der Bildung diesès Skeletts denselben
Weg annehmen, den der grofse Haller durch seine, mit Färberröthe angestellten
Versuche, bey der Knochenformatron entdeckte? Die grofse Verschiedenheit
zwischen den Knochen und jenem Skelett, die man hier einvyenden könnte,
hindert uns keineswegs. Die länglichen Knochen enthalten ein gefäfsreiches
Mark, und überhaupt sind alle Knochen mit vielen Kanälen und Gefäfsen durchzögen,
durch die sie ernährt werden und wachsen, und die vom thierischen
Organismus bereiteten Kalktheilcben bekommen, während das Periost-eüm die
Ernährung regulirt. Das Skelett" der Coralle aber ist zwar so fest wie ein Stück
Kalkstein, und zeigt auf dem Bruche nichts als kleine Körner von verschiedener
Farbe, die durch die mannichfache Brechung des Lichtes entstehet; allein wenn
man es im Feuer calcinirt, so entdeckt man viele Blätter, die sich concentrisch
umgeben, und deren jedes eben so gestreift ist, wie der Stamm es auswendig
war. Alles diefs spricht für das Wachsthum des Corallenskeletts, mittelst der
Entwickelung des Pçriosteums oder Periskeleton, und der Annahme von Kalk»
theilchen, welche die Blätter bilden. So bestätigt sich die Analogie zwischen
dér Gorgonie und der Coralle.
Die mehrerwähnten Streifen am Skelett der Coralle pflegt man an den
Exemplaren der Museen, und an den Stücken die man den Kindern, wie Amulette
umhängt, nicht,zu bemerken, und diefs aus dem Grunde, weil sie nicht
allein ihres Ueberzuges beraubt, sondern durch Feile und Schmirgel egal polirt
und geglättet sind.
So wächst also die Coralle in die Dicke. Mit ihrem Wachsthum in die
Län^e verhält es sich aber folgender Gestalt : Indem die äufsere weiche Rinde
sich verlängert, tritt auch das Periosteum mit in die Höhe, und damit sich aus
diesem das Skelett bilden könne, kommt die Natur mit allen ihren Kräften zu
Hülfe : der thierische Ueberzug wird dicker, und mehr als gewöhnlich mit Kalk-
theilchen geschwängert, die er an das Periosteum zur Bildung des Skeletts aus
den einzelnen Blättern abliefert ; daher erscheinen denn auch die Enden der
Coralle allezeit >dick, rund,' und fast weich bey der Berührung, oder eigentlich
wie aus- einem körnigen Teige bestehend *). Die einzelnen Körner aber haben
mehrere Flächen, werden sich daher um so leichter vereinigen, und um so fester
Zusammenhängen. — So genau also ist die Verwandschaft zwischen dieser Coralle
und der Qörgonie, dafs sie fast nur in der Substanz des Skeletts wesentlich
verschieden sind, und dafs Linné ganz recht hat, wenn er sagt, die rothe Coralle
stehe eigentlich zwischen der Gattung Isis und Gorgonia mitten innen.
Wenn also bey der Coralle das Thierische eigentlich nur in dem äufsern
Ueberzuge liegt, wenn das Skelett ihr nur, ,wie die Knochen dem Thiere, oder
die Schaale dem Krebse zugehört, so könnte man behaupten, die Coralle müsse
fortleben, wenn man,' im Fall diefs möglich wäre, das Skelett ganz wegnähme;
doch ist diefs nicht eine metaphysische Streitfrage , denn der Zusammenhang jenes
Ueberzuges mit dem Skelett ist zu wesentlich ; auch zeigt die Natur uns oft ein
ganz entgegengesetztes Phänomen, indem nicht selten der untere Theil einer im
Meere stehenden Coralle des Ueberzuges ganz beraubt ist, während der obere
vollkomnien glücklich fort, vegetirt. Sogar wenn die Coralle ganz von ihrer
Basis abgebrochen wird, fährt sie fort zu leben, wenn sie nicht, im Sande und
Schlamm umhergeworfen, sterben mufs. In diesem Falle fängt der Ueberzug,
so bald das Thier tod ist, sehr schnell an zu faulen, die Serpulae bauen ihre
gewundenen Kanäle hinein, und eine Art-Nereiden, die der Graf Marsilli beobachtete
') j durchbort sie mit einem schuppigen Organ, das sie im Munde führt,
fast wie jener von Herrn Reaumur bemerkte Trochus, der sich an die Schaalen
der Teilinen und Herzmuscheln anhängt, an der Stelle wo der Muskel des Thieres
festsitzt, ein kegelförmiges Loch von einer Linie im Durchmesser einbohrt, und
10 indem er einen 5 — 6 Linien langen Rüssel spiralförmig darin umherbewegt,
den Saft des Thieres aussaugt, woher wir denn im Winter viele solche durchlö»
cherte Muscheln am Ufer finden, oder wie die Teredinen das Holz der Schiffe
») Hist, pliysiq- T. XXIX. Fig. 129,
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