
Scliliiö8l)etraclituiig*oiL
L i den vierzig Jahren, die verflossen sind, seitdem man sich in der Alycologie der Ciiltur-
methoden zuerst bedient hat, ist durch die vereinigte Arbeit von Tulasne, de Baiy, Brefeld imd
Anderen manches la c h t in die noch dunkle EiitAviekelimgsgescliielite der Pilze geworfen Avorden.
Aber Avemi auch die künstlichen Culturen ein unentbehrliches Mittel zum Studium der Alorphologie
der Pilze geworden sind, so hat ihre AiiAvendung doch nicht A-ermoclit, die Losung allgemeiner
Fragen in der Alycologie Avesoiitlich zu fordern.
Es ist durch die künstliche Zucht nicht gelungen, den Zusammenhang der grossen Pilz-
grnppen klar zu legen. Das hierauf gerichtete ernste Bemühen zahlreicher Forscher blieb bisher
erfolglos, und auch den künftigen xArlieiten in dieser Riehtmig kömien Avir Ayenig Hoffnung auf
die endliche Lösung der Frage entgegeiibringeii.
Die ATrsuche, den phylogenetischen Stammbaum der Pilze durcli Aufstellung natürlicher
Pilzsystome zur Anschauung zu bringen, beruhen auf Tllusion. So bleibt uns denn nichts anderes
übrig, als die Pilze nach constanten, sichtbaren morphologischen und biologischen Merkmalen
zusamnienzustellen.
Trotz alledem kann man sich niclit des Eindruckes crAvehren, dass die Pilze, von einfachen
Formen ausgehend, sich zu liöher differeiizirten eniporgesehwnngen liaben; aber es sieht so
aus, als vollziehe jede Gnipiio ihren eigenen Gestaltungsprocess und bilde sieh nach besonderen
xAuIagen Aveiter.
NichtsdestüAA'eniger ist es sehr auffallend, dass bei vielen von diesen Gruppen die äussere
Gestaltung der Fruelitkörper nicht der systematischen Stellung cntsiirieht, und dass älmlicho Form-
hildungen der Pilze oft keinen Anfsehliiss über die Verwandtschaft geben können.
Zahlreiche Formen der Tremellineen besitzen Fruehtkörper, deren Gestalt lebhaft an andere
Gruiipen erinnert. Tm botanischen Garten zu Singapore befindet sich z. B. eine Tremelliiioe,
Prolümeruliiis genannt, die der bekaimten Polyporoe, Alerulius lacrinums, auffallend gleicht AlakroskojMSch
sind beide Formen n ich t von einander zn uiiterselieiden, und doch re^iräsentireii sie
zwei ganz verschiedene Gruppen.
Aiorlicgendc Untersuchungen beschäftigen sich auch mit anderen Arten, die in schlagender
AYeisc die Gleichheit der Friic-htkörperbildimg bei systematisch Aveit auseinander liegenden Formen
bcAveiseii. In Tremellodon (siche Figur 1 3— 14 Tafel TU) Avird uns z. B. ein Formentypus unter
den Tremellineen vorgeführt, der makrosicopisch betrachtet an die Hydneen erinnert; und bei Clavariopsis,
gleichfalls einem Zitterpilz, und bei A'ersclnedcneii Caloceraarten finden wir dieselbe
Gestaltung des Fruclitkörpers Avie bei vielen Clavarieen. Das Hymenium anderer Caloceraspecies
ist von einer aderigen oder netzförmigen Structur, geradeso Avic das verschiedener Polyporeen.
Dass die Zugehörigkeit Z A v e ie r Pilzformen zur nämlichen Abstammungslinic und damit ihre
systematische Veiavandtschaft oft nicht aus der Form der Fruehtkörper erkannt Averden kann, be-
Aveiseii lins ganz vortrefilieli die auf Tafel V I abgebildeten verschiedenen Alodificationen von
Anricnlaria A. Judae. AVir Avollen deshalb ihre Alodificationen etAvas näher betrachten. Beim blossen
Anblick der beiden extremen Formen (Figur 1 a und c Tafel VI) würde man Avohl nicht auf den
Gedanken kommen, dass hier zwei verschiedene latente Anlagen der gleichen A rt zur Entfaltung
gelangt sind. Bei der ersten Form ist die Oberfläche des dünnen, trockenen, lederartigen ITueht-
körpers Avollig behaart; der Fruehtkörper der anderen ist dick und gelatinös, die Oberseite ganz
glatt. Das Hymenium der Unterseite zeigt eine ebenso durchgreifende Verschiedenheit; bei der
ersteren ist es flach ausgebreitet, bei der letzteren porös Avie bei einem Ifölyporus.*)
AA’’ie bei verschiedenen Gruppen, so haben auch bei verschiedenen Arten derselben Gnqipc
gleiche EntAvickelmigsA’orgänge zuAveilen zu einem üliereinstimmeiiden Gepräge der Gestalt geführt,
mögen diese Vorgänge nun von äusseren EiiiAvirkuiigen oder von inneren Ursachen abhängig sein.
AA^ir haben in diesem Falle die nächsten Verwandten der Individuen nicht unter den der Gestalt
nach ähnlichen Formen zu suchen, sondern unter ATrtreteni einer anderen Organisationsstufe.
Schon die oben erwähnte Thatsaehe, dass bei Auricularia A. Judae das Hymenium einer
Alodification polyporiisartig ausgebildet ist, deutet darauf hin, dass Fruchtkörper der gleichen A rt
eine sonst nur anderen Gruppen eigenthümlidie Gestalt annehmen kömieii. ATel klarer tritt dieses
bei mehreren Arten der Polyporeen hervor. So einheitlich die Gruppe auf den ersten Blick erscheinen
mag, so giebt es doch nacliAveisbar Polyporcenformen, die einen von den übrigen gesonderten
Ursprung, also einen ganz verschiedenen Stammbaum, besitzen.
1) So A’ci'ächiccleii diese Alodificationeu erscheinen mögen, so gehen sic doch alle in einander über, und nicht
oimual Varietäten lassen sich untersclieiden. Für die Systematik sind diese .Modificationen eine Fundgrube geAvosen.
Die Zwischcnlbrmen Avurdeii vernachlässigt, Avährcnd man in den extreinon Formen ausgeprägte Arten, ja sogar Ic -
soiulcrc (iattungen erblickte. Die schon ei'Avähnte, in Figur I c Tafel dargestellte Modification ist z .B . von Fries
als ein besonderes Genus bcsclirieben und mit dem Namen Laschia versehen Avordeii. Es ist niclit meine Aufgabe,
die Systematiker zu corrigiren; ich habe aber in den Tropen mindestens 10 Modificationen A'on Auricularia Judae
gefunden, die alle von den verschiedensten Autoren als besondere Arten aufgestellt sind.