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104 III. Schiussbetrachtunsren.
diesbezüglich am Schluss des allgemeinen Theiles der Arbeit S. 237:
,,D autre p a r t, comme les espèces rares croissent toujours dans le voisinage
d autres tulipes, il a rrivera de temps en temps q u ’elles soient
fécondées p a r le pollen de ces dernières ou vice versa. Cette combinaison^
aura même plus de cbances de réussite que les fécondations
entre individus de la même espèce. L ’apparition du Tulipa Martelliana
ne peut guère s ’expliquer d’une autre façon.“
Ich habe meinerseits gegen diesen Satz nicht das Mindeste einzuwenden,
glaube abe r, dass man weiter gehen darf, und dass solche
wiederholte Kreuzungen als Ausgangspunkte für die Entstehung neuer
F ormen gar uicht erfordert werden. Es h a t L e v i e r hier, wie überall,
nach meiner Meinung der Entstebungsgeschichte unserer Gartentulpen
nicht p n ü g e n d e Aufmerksamkeit geschenkt. Ich glaube oben wahrscheinlich
gemacht zu h a b e n , dass diese ursprÜTiglich schon aus der
Kreuzung und Verschmelzung differenter, wild wachsender Species her-
vorgegangen sind.- Nichts spricht mehr dafür, als die grosse Unbeständigkeit
ihre r Charaktere bei Erziehung aus Samen. Sie haben eben
nach meiner Auffassung die extreme Variabilität als Erbthe il ihres
multiplen Ursprungs bis zum heutigen Tage durch J ah rh u n d e rte behalten.
Und dieses F.rbtheil wird ihnen gewiss auch dann verbleiben,
wenn sie verwildern, sofern sie übe rhaupt den Kampf ums Dasein mit
anderen Mitbewerbern auszuhalten vermögen. Kommt es dann zur
Samenreife, so wird vielfach die Bildung neuer abweichender Formen
der Erfolg sein, ganz gleichviel, oh die Befruchtung, aus der der Same
entsprang, zwischen Individuen der gleichen Sorte, oder solchen von
verschiedener Beschaffenheit Platz griff. Unter diesen Voraussetzungen ist
es sehr leicht zu verstehen, wenn man bei Florenz fortwährend neue F o r men
auftreten, wenn man daneben andere wieder verschwinden sieht. Es
waien eben diese letzteren Varianten schwächerer Organisation, die sich
auf die Dauer neben ihren Schwesterformen nicht halten konnten. Und
wenn einzelne durch längere Zeiträume schwinden und dann plötzlich
am selben Orte wieder gefunden werden, wie dies für Tulipa spa thulata
und serótina bei Florenz der Fall gewesen ist, so wird das auch begreiflich
unte r der sehr wahrscheinlichen Annahme, dass die betreffenden
Formen zwar vegetativ sich zu erhalten, aber nur unte r besonders günstigen
Bedingungen zur Blüthe zu gelangen befähigt sind. Sehen wir
doch an so vielen Stellen Europas, wo sie minder geeignete Existenzbedingungen
findet, die Tulipa silvestris als Unkraut wachsen, ohne
dass sie jemals Blüthe und F ru ch t erzeugt.
Wenn somit die Thatsache des gruppenweisen Zusammenvorkommens
der Neotulipen sich durch Le v i e r ’s Betrachtungen aufs einfachste e rk
lä r t , so haben wir doch die Ausnahme der Tulipa Passe riniana der
Gegend von Piacenza zu berücksichtigen, da diese Form ganz allein
III. Schlussbetrachtangen. 105
aufgetroten ist. Hier kann ich nun nicht zweifeln, dass Samenverschleppung
von anders woher im Spiel ist, sei sie auf einen Garten, sei
sie auf Saatgetreide zurückzuführen, welches aus einer Tulpenreicheii
Oertlichkeit gekommen war. Denn wenn man sieht, wie einige der dauerhafteren
Florentiner Typen, wie Tulipa maleolens nach Livorno, Genua
und Lucca, wie Tulipa connivens nach Lucca und Bologna, wie Tulipa
s trang ula ta und Tulipa Fransoniana nach Bologna, wie ferner die schöno
Tulipa Didieri von St. Jean de Maurienne nach Sitten im Wallis sich
verbreitet haben, so liegt dem gewiss nicht wiederholte Entstehung
genau der gleichen F o rm, die geradezu ein Wunder wäre, sondern
Zwiebelverschleppung zu Grunde. Und wenn P i l l e t * meint: ,,I1 est
clair que cette supposition ne saurait s’appliquer à nos groupes du
Galoppaz, d ’Orizan, d ’Aime, ou de St. Jean de Maurienne. Il n ’y a pas
à vingt lieues à la ronde un amateur qui cultive ou puisse je te r des
oignons de tulipe. On ne s ’expliquerait pas comment ces oignons
auraient été transportés à des altitudes de 1000 mètres au dessus de
toute culture“ — so ist dem doch entgegenzuhalten, dass eine einzige
solcher Orts, etwa in einem Kloster der früheren Zeit, cultivirte Tulpensorte
wohl verwildern und dann durch ihre Samenproduction der Ausgangspunkt
einer der heutigen Formengruppen werden konnte. Stehen
doch die Tulpenfundorte nicht selten mit den Klöstern in Beziehung,
E rs t in diesem Frühling fand ich Tulipa Oculus Solis, die bisher im
Sienesischen nicht bekannt war, auf einigen wenigen, dicht neben dem
in einsamer Gebirgswildniss erbauten Benediktinerkloster Monte Oliveto
maggiore bei Asciano gelegenen Aeckern, in Menge vor, während weiterhin
nicht eine Spur derselben mehr zu sehen war.
Eine kurze Recapitulation der Resultate mag den Schluss dieser
langathmigen Betrachtungen über die Geschichte der europäischen Tulpen
bilden. Es stellt sich h e rau s , dass die Gartentulpen die variable Progenies
alter Kreuzungen zwischen nicht nähe r bestimmbaren asiatischen
Species der Gattung; dass die wilden Alttulpen Europas reine, aus dem
Osten gekommene Arten darstellen ; dass endlich die Neutulpen sich als
Abkömmlinge der Gartentulpen erweisen, die wieder in wilden Zustand
gelangt sind und dass deren häufiges Neuauftreten der geringen Coii-
stanz der Vererbung bei der Fortpflanzung mittelst Samen, vielleicht
auch gegebenen Falls der Sportbilduiig zur Las t zu legen ist.