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theil erlangen kann, ob sie zu diesem paläotropischen oder zu dem
te rtiä ren Florenelemente E n g l e r ’s gehören, dessen Einwanderung zur
oligocänen Zeit offenbar schon hegonnen h a tte und sich in den höheren
Ablagerungen dieser bereits sehr bemerklich macht.
Die miocäne Periode b rin g t grosse Veränderungen in Europa mit
sich. Es zieht sich das Meer aus dem Norden Deutschlands wieder
zurück, die Verbindung des indischen und atlantischen Oceans wird
durch das Emportauchen Egyptens, Syriens, Persiens und Arabiens
unterbrochen, das Mittelmeer wird zu einer isolirten oceanischen Bucht,
die freilich dann in der Sarmatischen Stufe mit dem die Ebenen Sibiriens
überspülenden polaren Ocean in Vei’bindung tritt. — Vergl. hierzu das bei
V. R i c h t h o f e n * Bd, L, S. 108 und 109 Gesagte. — Von nun aber beginnt
u n te r allmählicher, von Schwankungen u n te rb ro ch en er Lösung dieser
Verbindung eine an dauernde Verkleinerung u n d Aussüssung des m ed ite rranen
Beckens, als deren letzte Reste sich heute das Mittelmeer in seiner
engen Begrenzung, sowie die Steppen Turans, Südrusslands u n d Ungarns,
d er Caspi- und A ra l-S e e präsentiren. Das Schwarze Meer, u rsp rü n g lich
gleichfalls zu diesen Relicten gehörig, ist in sehr ju n g e r Zeit mit
dem Mittelmeer wieder in Verbindung getreten.
Schon im oberen Oligocän ist uns nun ein neues Element in u nserer
mitteleuropäischen F lo ra entgegengetreten, das te rtiä re Florenelement
E n g l e r ’s. Während d e r Dauer der miocänen Periode überwuchert
dieses Element mehr und mehr das paläotropische, dasselbe in südlichere
Breiten zurückdrängend, sich mit einzelnen seiner Bestandtheile d u rch setzend.
Als Typen dieses neuen Elementes mögen die Cupuliferen u n se re r
Wälder, die luglandeen, Acer, Liquidambar, Taxodium, Sequoia, Abies
g en an n t sein. N atü rlich gliedern sich diese Elemente in Specialgenossensch
a ften , mit südlicherem und nördlicherem Wohnsitz. Die erstauf-
getretenen, schon im Oligocän vorhanden gewesenen, finden wir je tz t in
südlicheren Breiten als die anderein Dieselbe Genossenschaft in ä h n licher
Vertheilung findet sich bekanntlich heute im Waldgebiet Nord-
Amerikas, doch ist sie d o rt viel formenreicher als bei uns. Aber alle die
Formen derselben, die je tz t in E uropa fehlen, sind h ie r zur Miocänzeit
reich entwickelt gewesen und haben reichliche Reste h in te rla s s e n , sie
haben sich jenseits des Oceans bis zur Je tztz eit e rh a lte n , während sie
bei uns für immer verschwunden, ausgestorben sind.
Die gleiche Pflanzengenossenschaft finden wir nun in gewissen
Schichtenfolgen in n e rh a lb des Polarkreises wieder, in Gegenden, in
denen heute n u r eine a rk tisch e Vegetation zu existiren vermag.' Eben
dieser Uebereinstimmung der beiderseitigen Floren h a lb e r h a tte H e e r
auf miocänes Alter d er arktischen F undstellen geschlossen, zumal sich
hei U n ter-A tan ek e rd lu k in Grönland an derselben Stelle in einem etwa
1000 Fuss tieferen Niveau Fossilien von cretaceischem Cha rakter finden.
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s t a r k i e G a r d n e r h a tte dagegen eingewandt, dass es nicht wahrscheinlich
sei, dass die gleichen Floren in so verschiedenen Breiten
einem gleichen Alter en tsp re ch en , wenn m an , wie es doch nicht von
d er Hand gewiesen werden kann, annehme, dass die Abnahme der Temp
e ra tu r um den Pol die Organismen vertrieben und zur Auswanderung
nach Süden g edrängt habe. E r möchte diese F u n d o rte lieber für eocän
angesehen wissen. Es is t das ja gewiss nicht von der Hand zu weisen,
allein bei der H e e r ’ sehen Fassung des Miocäns, die die ganze Schichtenfolge
von Unteroligocän bis zum Pliocän in sich begreift, dürfte an sich
schon Spielraum genug sein, wenn die arktischen F u n d o rte n u r den tiefen,
die südlichen den höheren Abtheilungen des gesammten Complexes an gehören.
Denn ob eine solche Pflanzengenossenschaft als obereocän oder
unteroligocän b e tra ch te t wird, ist doch zum guten Theil n u r eine in
d er Nomenclatur der Ablagerungen begründete Differenz. Insofern kann
man sich den Ausführungen E n g 1 e r ’ s I., S. 3 wohl anschliessen. Auf
die Schwierigkeiten, die sich bei der Vergleichung d er fossilen neozoischen
Floren Amerikas und Jap an s mit denen Europas ergeben, bezüglich deren
man N e um a y r * Bd. II, S. 511, Ko k e n * S. 537 und N a t h o r s t ^ vergleichen
möge, b ra u c h t an dieser S te lle , da sie u n se r Thema nicht
tan g iren , n ich t weiter eingegangen zu werden.
Sehen wir von allen diesen, noch so vielfach controversen Fragen nach
der Zeit oder dem Orte des Beginnes p o la re r Abkühlung ab, so dürfen
wir doch ganz im Allgemeinen daran fe sth a lten , dass die klimatische
Diff'erenzirung zu gegebener Zeit in d er Umgebung des Pols ih ren Anfang
genommen habe ; dass das, was wir als te rtiä re Genossenschaft bezeichnen,
in besagtem Ahkühlungsgebiet seinen U rsp ru n g genommen
habe ; dass ferner bei weiterem F o rtsch re iten der klimatischen Differenz
besagte Genossenschaft, insofern sie zum Wandern befähigt w a r, nach
anderen, polferneren Gebieten h e rab rü ck te ; dass sie endlich, successive in
unsere Gegenden und ins Mediterrangebiet fortschreitend, zur Pliocän-
zeit aus d er polaren Region vollständig vertrieben war. Es ist also
die miocäne F lora Mitteleuropas n u r aus dem Kampf zu verstehen, den
die eindringende te rtiä re Genossenschaft m it d er ansässigen paläotropischen
zu führen hatte. Von den zahllosen Einzelverschiebungen von Arten
und Artengruppen nach verschiedenen R ich tu n g en , die in n e rh a lb des
Rahmens dieser im Allgemeinen äq u a to rwä rts gerichteten Wanderung
sta ttg eh ab t hahen müssen, wissen wir wenig oder nichts.
Die Pliocänze it d urch weiteren Rückzug der Meeresbedeckung, durch
vollständige Lösung der Verbindung zwischen Mittel- und Polarmeer, in
Folge der Festlandwerdung des kaspischen Gebietes, ch a rak te risirt, e rweist
sich in pflanzengeographischer Hinsicht lediglich als eine F o rtsetzung
d er vorangegangenen Periode. In Mitteleuropa e rh ä lt sich der
einmal gewordene Zustand der Dinge, n u r u n te r s te te r Verarmung an
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