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mich zu überzeugen Gelegenheit genug gefunden, einen Abschnitt über
die Tulpenzwiebel für diese Abhandlung in Aussicht genommen, und
auch einen Entwurf desselben begonnen. Da ich aber zu der Einsiclit
gelaugte, dass derselbe, wenn er anders nutzbar werden sollte, als
Vorarbeit ausgedehnte experimentelle Studien verlangte, die bei der
Eigenart der Tulpenentwicklung eine Reihe von Jah ren erfordeini, so
musste ich zu meinem grossen Bedauern doch zuguterletzt davon ab-
sehen. Denn einmal hätte er die Publication des bisher gewonnenen ad
kalendas graecas vertagen können, und schliesslich würde er doch, seines
specifisch botanisch - morphologischen Charakters halber, in der hier
versuchten Darstellungsweise nur schwer einen Platz gefunden haben
uud ein heterogenes Einschiebsel geblieben sein. Vielleicht dass ich
später, wenn mir Zeit und Kraft dazu bleibt, noch darauf zurückkommen
werde. Es ist erstaunlich, welch’ interessante Fragestellungen ein so
einfaches Object, wie die Tulpenzwiebel, noch in sich schliesst.
Doch kehren wir zu dem Wahrscheinlichkeitsbeweis des hybriden
Ursprungs der Gartentulpen noch für einen Augenblick zurück. Man
wird mir vielleicht einwenden, es sei doch kaum anzunehmen, dass die
Türken Tulpenkreuzungen ausgeführt hätten und wird gegen meine
Meinung am Ende anführen können, dass solche im Vaterland wohl
auch nicht häufig Vorkommen müssten, da noch nie im asiatischen Floren-
gehiet eine Form gefunden sei, die den Verdacht, eine Bastardpflanze
zu sein, erregt hätte. Da ist indessen zu beachten, dass eben die Tulpen
zu der Kategorie von Gewächsen gehören, die der Selbstbestäubung grossen
Widerstand entgegensetzen, bei denen auch die auf vegetativem Wege erzeugte
Progenies einer Zwiebel bei gegenseitiger Bestäubung fast durchweg
nur taube und unbrauchbai-e Früchte liefert, wennschon die Carpelle oft
zu scheinbar vollkommener Reife gelangen. Wie lange solche Sterilität
bei den durch vegetative Vermehrung erzogenen Individuen einer auf
gegenseitige Wechselbestäubung streng angewiesenen Pflanze anhält, ist
überhaupt noch nicht untersucht. Die Frage wäre wohl eines näheren Studiums
werth. Interessante Anhaltspunkte dürften die Schriften Fockes®, »
ergeben. Nun wissen wir aber, dass in allen solchen Fällen die Fremdbestäubung
seitens verwandter Arten ganz besonders begünstigt ist, und
habe ich mich speciell durch Versuche überzeugt, dass das bei den
lu lp en so gut wie bei den, in ähnlichem Fall befindlichen, Fuchsien zutrifft.
Die Samen mehrerer Tulpenhybriden sind schon gewonnen und
die Bastardform Tulipa silv-estris S X Didieri Q h a t bereits reichlich
gekeimt, allein ich weiss nicht, ob ich deren Blüthe erleben werde. Man
h a t in früheren J a h rh u n d e r te n , wie oben ausg e fü h rt, die Tulpen viel
mehr als heute aus Samen gezogen. Wenn also im Garten, wo verschiedene
aus Ablegerzwiebeln vermehrte und desshalb in sich sterile
Arten und Sorten bei einander standen, ohne Anwendung künstlicher
Bestäubung keimfähige Samen produc irt wurden, so ist für diese mit
gutem Grund, in vielen Fällen wenigstens, Fremdbestäubung vorauszusetzen.
Soweit die Gartentulpe.
Wenden wir uns nun zu der Herkunft der räthselhaften Neotulipen
des mittleren und oberen Italiens sowie Savoyens, so finden wir über
diese bereits eine ausgiebige und die Sache nach meiner Ansicht wesentlich
klärende Discussion in der Litteratur. Sie knüpft ursprünglich au
au P a i T a t o r e ’s * uud C a r u c l ’s % hei Besprechung der florentinischen
Neutulpen geäusserte Meinung, dieselben seien echte alte Species, die
zur Zeit der Werthscliätzuiig dieser Blumen nach Toscana importirt,
später weggeworfen wurden und wieder verwilderten. Dieselben Arten
müssen sich also entweder im Orient an noch unbekannten Stellen
wieder finden lassen, falls sie nicht etwa dort ausgerottet wurden. Es
ist dies, wie man sieht, dieselbe Anschauung, deren Bedeutung wir oben
hei Gelegenheit der Betrachtung der Abstammung unserer Gartentulpen
beleuchtet haben. L e v i e r * S. 78 t r a t dem in einem, eigens dem
Gegenstand gewidmeten Aufsatz entgegen. E r hielt dafür, dass alle diese
Neotulipae allerdings von weggeworfenen oder anderweitig verwilderten
Gartentulpenzwiebeln stammen, die aber im Lauf historischer Zeiträume
ihre Charaktere verändert haben, so zwar, dass sie zu neuen, s i c h j e t z t
c o n s t a n t v e r h a l t e n d e n S p e c i e n geworden sind, nicht etwa die
Form ihre r asiatischen Vorfahren wieder bekommen haben. E r sagt
ausdrücklich S. 290 ; „Cosi i tulipani alterati, metamorfosati dalla mano
dell’ uomo, sono rito rn a ti alle vita naturale, facendosi di bel nuovo
rustici, come i loro antenati. Senonché invece di riprodurre i tipi —
diciamo orientali — di questi antenati, essi hanno preso figura nuova, ta lmente
nuova, che tr a il nonno ed il nipote non e rimasta la minima
somiglianza specifica.“
Danach müssen die Neotulipen, da L e v i e r der Meinung ist, es
würde beinahe niemals Tulpensamen producirt, sammt und sonders auf
vegetativem Wege, auf dem Wege des Sportens, entstanden sein. Da
nun diese Formen sich seitdem constant erhalten haben, so sind sie
nach L e v i e r in nichts von anderen echten Tulpenspecies zu u n te r scheiden,
und müssen als solche bezeichnet werden. Was man hier ganz
besonders vermisst, ist, dass die Entstehungsweise der Gartentulpen keine
eingehende Besprechung erfährt. Natürlich ist L e v i e r nicht ohne
Widerspruch von Seiten C a r u e l s ’» geblieben, der seine frühere Meinung
aufrecht erhält und weiter ausführt. Auch Cha be r t® h a t sich daun
bezüglich der Tulpen Savoyens ganz auf C a r u e l ’s Standpunkt gestellt,
er legt auf L e v i e r ’ s Ansicht und deren Begründung als überzeugter
Gegner der Descendenztheorie nur geringes Gewicht.
L ev i e r® ist es dann wiederum in einer neuen Arbeit nicht schwer
geworden, seine Leser von der geringen Stichhaltigkeit der von seinen