IX. Zwölf Tage in Prodromo.
Nachdem wir das Hügelland und die tieferen Landstriche
durchkreuzt und gequert hatten, war es uns nun auch
darum zu thun auf dem Hauptgebirgsstocke im Südosten der
Insel das gleiche auszuführen. Für diesen am meisten emporragenden
Theil des Landes blieb der Besuch auf die zweite
Hälfte des Maies verschoben, indem wir hofften hieher früh
genug zu kommen, um den Frühling noch in seinen Flitterwochen
zu erhaschen, während in den Thälern ringsumher
der Glutbrand der Sonne schon Blüthen und Blätter zu
versengen und ahzustreifen begann.
Ein Standpunkt so nahe als möglich dem Waldesgrün
und den höchsten Spitzen des Gebirges war uns in mehrfacher
Rücksicht erwünscht, vorzüglich aber darum, weil hier
eine ganz vorzügliche Lese von weniger verbreiteten und
darum interessanteren Gewächsen zu erwarten war. Herr Dr.
Kot s ch y hatte schon vor mehreren Jahren das Gebirgsdorf
Prod romo zu seinem botanischen Ruheplätzchen erkoren und
es seiner Lage und Einrichtung nach kennen gelernt. Er
richtete mit mir nun nochmals sein Auge auf diese im ganzen
Lande zuhöchst gelegene Gruppe von Erd- und Steinhütten,
in der Absicht in diesem Eldorado der Kräuter ein paar
Wochen zuzubringen und von da aus nach verschiedenen
Richtungen Streifzüge zu unternehmen.
Prodromo hat seinen Namen von dem Patron der Kirche
Johannes dem Täufer, oder wie er hier gewöhnlich genannt
wird, dem Vorläufer. Auch für uns war dies kleine Dorf
gewissermassen ein Prodromus von Naturgenüssen, wie sie
den Reisenden wohl selten zu Theil werden.
Wir hatten eben die denkwürdigen Stätten einer uralten
Cultur an den südlichen Gestaden der Insel berührt, als wir
bei Paphos nordwärts in die Hochgebirgsmasse einbiegend
diese von dem westlichsten Punkte Chrysocu über Chryso-
roiatissa, Wretscha, Paleomilos bis Prodromo durchstreiften.
Der Gegensatz von dem alterthümlich - hinfälligen aller
Menschenschöpfungen zur ewig jungen nie alternden Natur,
hatte uns für alle Genüsse empfänglich gemacht, die uns
hie^i im Mittelpunkte des Hochgebirges und der erhabensten
IScenerien zu Theil werden sollten.
Mit frischem Muthe und leichtem Gepäcke zogen wir
in das kleine Gebirgsdorf ein, reich beladen mit Schätzen
aller Art und voll der schönsten Erinnerungen aus dem vertraulichen
Umgange mit der Natur schieden wir aus dem Bereich
balsamischer Lüfte um bald auch der Insel selbst unser
Lebewohl zu sagen.
Es war am 9. Mai um 5 Uhr Abends, als wir auf unsern
schon zum Zusammensinken müden Maulthieren die kleinen
halb in den Berg hineingeschobenen Hutten von Prodromo
erreichten. Ein halsbrecherischer oft sich verlierender Pfad
hatte uns durch Schluchten und steile Felsgehänge von dem
Dorfe . Wretscha hiehergeführt. Mit Sehnsucht blickten wir
wie unsere Thiere wohl schon eine Stunde vorher nach dem
letzten grünen Feldstreifen hinauf, der die Häusergruppe von
Prodromo durchwirkte. Platanen und Papeln, die sich eben
zu belauben anfingen, versprachen uns manches schattige
ILitzchen. Endlich waren wir auf eben solchen unnahbaren
Pfaden in die Hüttenreihen des Dorfes eingerückt, und sahen
uns umher, wo wir etwa ein freundliches Dach fänden, das
uns und unsere wenigen Habseligkeiten, vor allen die zum
flanzentrocknen bestimmten Papierpäcke schützen sollte,
as Haus neben der- Platane von einem 100jährigen Mütterchen
bewohnt, gewöhnlich als Hôtel der sich bis hieher verirrenden
Fremden benützt, schien meinem Reisegefährten wegen