
■welchem das furchtbare Gebiss eine so hervorragende Leistung zu bewerkstelligen bestimmt*
erscheint.
Wir sehen übrigens die Ausbildung der Occipitalregion bei jungen männlichen und
weiblichen Anthropoiden weit mehr der menschlichen Form sich nähernd, als dies bei
alten Anthropoidenmännchen der Fall ist. Denn bei letzteren wird die Bildung eine so
vorherrschend thierische, dass hier überhaupt an eine directe Vergleichung mit menschlichen
Verhältnissen kaum gedacht werden kann.
Bei dieser Erörterung drängt sich mir die interessante Thatsache auf, dass unter unseren
modernen Kulturvölkern nicht allein der männliche und weibliche Schädel, sondern dass
hier auch der ganze Skeletbau, ja der gesämmte Organismus ihre differenteste Ausbildung
verrathen. Das schwindet aber bei rohen Nationen, unter welchen das Weibliche im
Weibe mehr und mehr verloren geht. Dies zeigt sich u. A. sogar im Schädelbau ausgeprägt.
Nirgends ist mir dies so wie bei nigritischen Stämmen aufgefallen. Unter ihnen
theilt das Weib höchst selten das glücklichere Loos ihrer civilisirten Schwestern, eine
geliebte und wohl gehegte Lebensgefährtin des Mannes zu sein. Das nigritische Weib
ist vielmehr m e is t nur ein Kaufobject, eine Kindergebärerin, eine Untergebene, welche
harte Arbeit verrichten muss. Allerdings gelangt das Weib des dtinkelen Continentes
auch zur Selbstständigkeit, es wird Herrscherin, Priesterin oder es zieht gar als tapfere
Amazone ins Feld, kämpft männlich und übt seine Lust am Blutvergiessen. A |e r
gerade in solchen Fällen geht ein guter Theil der Weiblichkeit verloren und die Frau
erwirbt in physischer wie in psychischer Beziehung vieles vom Männerwesen. Nicht
anders ist ös bei manchen anderen rohen Völkern. Ich kann hier diese natürlicherweise
auch ihre Ausnahmen gestaltende Thatsache nicht weiter ausführen, werde aber nicht verfehlen,
im zweiten Bande meiner Monographie der n ig r itis c h e n V ö lk e r 1 auf dieselbe
zurückzukommen.
Merkwürdige Gegensätze! Unter den Anthropoiden die crasse Verschiedenheit in der
Kopfbildung zwischen alten Männchen einer- und jungen Männchen sowie verschieden-
alterigen Weibchen andererseits. Dann aber wieder beim uncivilisirten Menschen jene
Annäherung des Weibes an den Mann und zwar hier gerade im erwa chsenen Zustande.
Wie interessant erscheint dann wieder die Annäherung des Menschen an das ju n g e
Männchen und an das Weibchen der Anthropoiden!
Am S ch lä fen b e in zeigt sich der Schuppentheil bei Anthropoiden niedrig, mehr
von rectangulärer Gestalt, der Schuppenrand ist mehr gerade gestreckt, weniger nach oben
hin gerundet, als beim Menschen.' Wo sich unter letzteren übrigens ein Stirnfortsatz des
Schläfenbeines (S. 44,113) entwickelt, da nimmt auch der Schuppenrand desselben Knochens
häufig eine geradere Beschaffenheit an, das Schläfenbein nähert sich alsdann mehr der
oben beschriebenen Affenform.1 2
1 Die Nigritier. Eine anthropologisch-ethnologische Monographie. Berlin, I. Bei., 1876.
2 Vergl. z. B. ViRCHOW,_a. o. a. O. Taf. J-Fig. 2 a, 2b, Taf. II Fig.. 2 b; ferner Calori : Sull’anomala
sutura fra la porzione sqnamosa del temporale e l’osso della fronte nell’uomo e nelle simie. Bologna 1874,
Tay. Fig. 8, 9.
Hinsichtlich der Bildung der Augenhöhlen, der Nasenbeine, welche letzteren auch bei
verschiedenen Menschenrassen flach und welche bei diesen in ihrer Zusammenfiigung zur
knöchernen Grundlage sogar eingedrückt erscheinen (Nigritier, Malayen, Mongolen, Papua etc.),
finde ich keine auffallenden Unterschiede zwischen dem Menschen- und dem Anthropoidenschädel.
Die Apertura pyriformis ist beim Menschen durchschnittlich von einer Form,
welche dem Namen dieser Oeflnung Ehre macht. Bei den Anthropoiden ist zwar die
vordere Nasenöffnung meist oval, indessen kommen doch auch hier Fälle vor, in denen
jene eine der bimförmigen sich nähernde Gestalt zeigt. Die zahlreichen Abweichungen
in der Höhe und Breite, welche dieser Theil bei den verschiedenen m en sch en ähn lich en
Affen darbietet, sind übrigens oben mit einiger Ausführlichkeit geschildert worden.
Das für den älteren Anthropoidenschädel so charakteristische, wie wir. wissen, durch
die starken Eckzähne gebildete, Oberkieferdreieck, erscheint bei ganz jungen Thieren
noch wenig oder gar nicht ausgeprägt. Dagegen kommt es an Schädeln erwachsener,
den verschiedensten Kassen angehörender Menschen vor, dass die auch hier stark entwickelten
Eckzahnjoche von der lateralen Begrenzung der Apertura pyriformis aus sich
als deutliche Leisten oder Pfeiler gegen die Eckzahnfacher heraberstrecken und so einen
dreieckigen medianen Intermaxillarraum abschliessen, welcher hier und da eine Annäherung
an jenes Kieferdreieck der Anthropoiden darbietet. Bei solchen Verhältnissen am Menschenschädel
tritt die Fossa aanina nach hinten und lateralwärts zurück, sodass auch in der
Stellung dieser facialen Einsenkung beim Menschen ein durchgreifender Unterschied gegenüber
jenen Affen nicht bestätigt werden kann. Zugleich mit der stärkeren Prognathie der
Anthropoiden verschmälert und verlängert sich allerdings auch ihr Gaumen beträchtlich
im Gegensatz zu demjenigen des Menschen.1 Indessen darf man nicht ausser Acht lassen,
dass selbst unter den letzteren Schwankungen hinsichtlich der Länge und Breite dieses
Theileä Vorkommen, sogar noch verhältnissmässig häufiger als bei jenen Thieren.
Man hat nun ferner die stark nach vorn gewendete, in einer Facialebene vereinigte
Stellung der hohen und breiten Malarpartien bei den Anthropoiden einer angeblich mehr
lateral- und auswärts gewendeten Stellung dieser Antlitzknochenregion beim Menschen
gegenüber gehalten. Allein man betrachte typische Chinesen-, Baschkiren- oder Kalmückenschädel,
und man wird auch an ihnen überraschende Beispiele einer Vorwärtsdrängung der
Antlitzpartien zu einer vorderen Facialebene kennen lernen. Auch in diesem Punkte ist
der Unterschied durchaus kein bestimmender.
Das Zurückweichen der Mitte des Unterläeferbeinkörpers, welcher durch mächtige
Eckzahnjoche wieder als besonderer dreieckiger Raum abgegrenzt wird, ist gleichfalls
häufig unter den den Menschen- vom Affenschädel trennenden Merkmalen betont worden.
Dies Zurückweichen mässigt sich übrigens bei vielen männlichen Gorilla-2 und Chimpanse-
schädeln3 nicht unbeträchtlich. Auch finden wir dasselbe Verhältniss bei manchen
1 Vergl. Hartmann, Archiv für Anatomie etc. Jahrgang 1872, Taf. V Fig. 1—4.
2 Vergl. z. B.' hier Täf. XIII Fig 1 \ 2°.
3 Vergl. Hartmann, Archiv für Anatomie etc. 1876, Taf. III F ig .-2.