
Der Orang stützt beim Gehen (auf allen Vieren) die dorsale Seite der ersten Fingerartikulation
und das erste Fingerglied auf den Boden, wogegen er hinten bald den lateralen
Fussrand, bald und zwar weniger häufig die dorsale Fläche der eingeschlagenen Zehen
oder die ganze Sohle aufsetzt.
Das ju n g e Männchen zeigt noch schwächere Formen als das alte. Seinem Schädel
fehlt die Crista sagittalis. Die Hirnschale ist gewölbter, noch nicht so sehr nach hinten
und oben emporgezogen wie bei älteren Thieren beiderlei Geschlechtes. Die Knochenbögen
oberhalb der Augenhöhlen ragen weniger hervor als beim erwachsenen Männchen.
Daher erscheint-der Kopf gerundeter. Der Antlitztheil zeigt sich dagegen schon breiter
und vorstehender als beim jungen Weibchen. Weniger noch als bei letzterem ist der
Hals des jungen Männchens gegen Kopf und Schultern abgesetzt, bei diesem aber doch
wieder mehr als beim a lten Männchen. Es zeigt sich in jenem Alter noch nicht das carri-
caturenhafte Missverhältniss zwischen Kopf, Hals und Schultern.1 Die Glieder dagegen sind
bei jenen zwar schon in einer gewissen Muskelplastik ausgeprägt, aber doch schwächer,
schmächtiger als an erwachsenen Thieren. Auch Hände und Finger sind graziler, zeigen aber
übrigens bereits jene S. 34 erörterten Verhältnisse der einzelnen Theile zu einander. An
dem hier erst noch weniger kolbigen Ende der grossen, von der Dorsal- zur Plantarseite com-
primirten Zehe findet sich ein niedriges conisches Nagelrudiment mit abgestutzter Endfläche.
Beim a lten O rang -W e ib ch en zeigen sich die Kopfverhältnisse des jungen Männchens,
gewissennassen in grösserem Massstabe ausgeprägt. Die Schädelkapsel thürmt sich
hier zwar schon nach oben und hinten empor, entbehrt jedoch der Orista sagittalis und
behält immer noch mehr vom Kugelsegment, wie beim alten Männchen. Allein Kopf,
Nacken und Schultern sind hier zwar weit mehr gegen einander abgesetzt, als beim alten,
doch aber wieder weniger als beim jungen Männchen. Die Bumpfbildung wird durch
breite Beckenpartie, durch breiteren, gewölbteren Bauch und im Lactationszustande auch
durch die Entwickelung der im ersteren Stadium prallen, halbkugeligen, später darauf
schlaff herabhängenden, dünne hornige Warzen tragenden Brüste charakterisirt.
Beim jung en Weibchen ist der Schädel zwar gewölbter als beim älteren, verharrt
doch aber auch hier im Zustande der Brachycephalie, wogegen der Gesichtstheil
prognath und vorn abgeflacht erscheint.2 Der Kopf ist tief gegen den Hals hin abgesetzt.
Am Kumpfe war mir bei diesem Geschlecht und Alter stets das Missverhältniss zwischen
niedrigem Brusttheil, breitem vollen Bauch und dünnen Extremitäten aulfallend. Finger
und Zehen sind noch sehr dünn.
In der Behaarung weicht der Orang von den a fr ik a n isch en A n th ro p o id en beträchtlich
ab. Diejenige der ersteren Thierform besteht aus langen, öfters gewellten
Elementen, welche sich stellenweise zu zottigen schopfähnlichen Flauschen oder Strähnen
gruppiren. An dem grossen Exemplare des Berliner Aquariums, dessen Cadaver unserem
Holzschnitte No. X zum Modell gedient, war die Behaarung beim Tode von mässiger Länge,
1 Vergl. die farbigen Abbildungen G. Mützel’s in Zeitschrift für Ethnologie, Bd. VIII, Taf. XV, XVI.
• 2 Am Orang-Foetus erscheint der Kopf rundlich-oval. (Vergl. Darwin: Gesammelte Werke, V. Bd. 1,
Fig. 3 und S. 21 Trinchese i/n AnnaM del Museo civico di ßtoria naturelle d/i Genova, 1870, Dic&mbre, Ta/v, IT),
so z. B. am Scheitel 2 0 ^ 3 0 , an den Armen 45—50, an den Händen 55—60 Mm. lang.
Dagegen habe ich bei anderen alten Thieren beiderlei Geschlechtes die Haare am Hinterhaupt,
an den Schultern, an Rücken und Hüften selbst zu 220—225 Mm. Länge gemessen.
Diese Haare bilden auf dem Kopf häufig einen wie gescheitelt aussehenden
perückenartig vornüberragenden, gerade imd keck gewachsenen Schopf, häufig auch fallen
sie seitwärts vom Kopfe wie diejenigen eines langmähnigen und lüderlich gehaltenen
Künstlerkopfes herab. Zu noch anderen Malen starren sie unbeschreiblich wüst um die
Hinterhaupttheile her nach allen Seiten hin empor. Um Wangen und Kinn entwickelt sieb
bei alten männlichen Thieren öfters ein lang herabstehender, an denjenigen eines indischen
Yoghi oder Fakirs erinnernder R und- oder S pitzb a rt. An Nacken und Schultern sowie
an den Oberarmen neigen> sich diese langen zottigen Haare abwärts, an den Unterarmen
dagegen ziehen sie, ähnlich wie bei den übrigen Anthropoiden, in entgegengesetzter Richtung.
An den Hüften und an den unteren Extremitäten richten sie sich abwärts. Dieselbe Richtung
behalten sie an Vorderhals, Brust und Bauch bei, an welchen Theilen sie spärlicher
stehen, wie , sonstwo. Im Berliner Aquarium befand sich 1876 ein kaum ein Jahr altes,
fast gänzlich haarloses Individuum zusammen mit einem normal behaarten Geschwisterchen.
Die H au tfa rb e ist schwärzlich, in Graublau oder -Braun ziehend, öfters geradezu
bleifarben, so namentlich an Kopf, Schultern, Brust und Bauch. Um die Augen her
finden sich öfters hellere,, schmutzig bräunlich-gelbe Ringe. Eine derartige hellere Färbung
zeigt sich auch wohl an dem Rücken und an den Flügeln der Nase, zuweilen sogar an
der Oberlippe und am Kinn. Die Extremitäten sind schwärzlich, seltener bräunlichroth
gefärbt. Die Nägel sind schwarz. In nur wenigen Fällen ist die Grundfarbe überhaupt
ein schmutziges Graubraun oder Graugelb. Die Farbe der Haare ist rothbraun (wie
gebrannte Terra di Siena'). An Hinterkopf, Wangen und Rücken erscheint die Farbe rostbraun,
selbst schwarzbraun. Während manche Individuen sich mehr einfarbig zimmet-, rost-'
oder schwarzbraun zeigen, sind andere auf dem Rücken rothbraun, auf dem Bauche dagegen
hellgelblichweiss gefärbt. Der Bart ist manchmal fahlgelblich.
Gern hätte ich nun auch die vierte Gruppe der Anthropoiden, die Langarmaffen
oder Gibbons (H y lo b a te s), in den Kreis dieser Darstellung gezogen. ■ Sie sind bekanntlich
Bewohner des indischen Festlandes und der indischen Inseln. Sie zeichnen sich
neben dem' Orang durch ihre Brachycephalie,1 ferner durch ihre abenteuerlich langen Arme
aus. Leider gebricht es mir vorläufig noch zu sehr an Material über diese merkwürdigen,
durch einige Familien und eine ganze Anzahl von Arten vertretenen Geschöpfe, deren
Organisation so überaus merkwürdig erscheint. Der mir über Hylobates syndactylus
F r. Cuv., H. leüciscus E t . Geo f fr o y und albmanus Is. Ge o f f r o y vorliegende Stoff genügt
mir nicht, um ein selbstständiges Urtheil über die ganze Gruppe zu bilden. Die hiermit
gewonnenen der beschreibenden Anatomie ?u Gute kommenden Resultate bleiben lieber
für eine andere Gelegenheit aufgespart.
1 R. Virchow sagt: „Die Thatsache, dass auch der Gibbon wie der Orang-Utan brachycephal ist, hat
ein grosses geographisches Interesse.“ . (Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie u. s. v
18. Mäyz 1876, S. 94),