
Bei No. 19 muss der Kopf langgestreckt und hoch gewesen sein. Das Letztere musste
auch hinsichtlich des Nackens zugetroffen haben. Uebrigens kann hier jenes auffallende
Missverhältniss zwischen den hinteren Haupttheilen des Kopfes und dem Schnauzentheil
nicht stattgehabt haben, welches uns an so vielen anderen Gorillaköpfen ausgesprochen
erscheint. Der Nasenrücken muss schmal, kielartig, die Augen müssen gross gewesen
sein. Der Nasenknorpel obwohl von beträchtlicher Grösse, kann doch an der sehr prog-
nathen Schnauze nicht tief nach dem Rande der Oberlippe herabgereicht haben.
No. 20. gehörte einem Gorilla mit hohem, gestreckten Kopf, langem, unten kielförmig
gebildeten Nasenrücken und kleinem Nasenknorpel an, welcher an der prognathen mit
stark abgenutzten Zähnen versehenen Schnauze tief gegen den Lippenrand herabgereicht hat.
Bei No. 21 kann der Kopf nicht sehr gross, nur massig langgestreckt und muss
auch ziemlich abgerundet gewesen sein. Stark gewulstete Augenhöhlenbögen müssen hier
die grossen Augen überdacht haben. An den niedrigen, eingesenkten Nasenrücken konnte
sich ein grosser, tief nach der Oberlippe herabragender Nasenknorpel anschliessen. .
No. 22 gehörte einem jedenfalls nicht gross- aber doch lang- und hochköpfigen Thiere
an, mit kurzem,—eingesenkten Nasenrücken, breitem, niedrigen Nasenknorpel, der sich tief
zur Lippe herabgewendet haben muss.
No. 23. Soweit es sich trotz vieler beschädigter Stellen aus diesem Specimen schliessen
lässt, muss der Besitzer des Schädels einen zwar nicht sehr grossen, ziemlich langgestreckten
und hohen, mit stark wulstigen Augenhöhlenbögen versehenen Kopf, einen niedrigen, eingesenkten
Nasenrücken, ein breites Antlitz, eine schmale, sehr prognathe Schnauze und
einen nicht grossen Nasenknorpel gezeigt haben.
No. 24 besass einen langgestreckten, massig' hohen Kopf, einen sehr niedrigen, tief
eingesenkten Nasenrücken und einen kleinen Nasenknorpel,
Wenn ich nun auch zugestehen muss, dass der Phantasie bei den obigen Betrachtungen
über die wahrscheinliche Beschaffenheit unserer Gorilla-Schädel im L eb en einiger Spielraum
gelassen wurde, so glaube ich doch, mit dem Habitus dieser Thiere nunmehr so leidlich
vertraut, im Ganzen das Richtige getroffen zu haben. Es ergiebt sich aber aus jener
Darstellung, wie ausserordentlich der Kopfbau der Thiere individuell variire. Es ist dies
ein merkwürdiger Punkt, dessen sorgfältige Beobachtung ich solchen Reisenden anempfehlen
möchte, welche später einmal das seltene Glück haben sollten, Cadaver frisch erlegter, alter
Gorilla-Männchen in grösserer Zahl untersuchen zu können. Dies individuelle Variiren
lässt sich ja auch an allen anderen Thieren wohl erproben, wiewohl es anfänglich schwer
fallen kann. Es geht hier so wie bei dunkelgefarbten Menschen. Wenn ein noch so
gebildeter eu rop ä isch er R e is en d e r zum ersten Mal unter einen Haufen n ig r itis ch e r
Afrik an er tritt, so wird er angesichts der ungewohnten Hautfarbe eine scheinbare Gleich-
mässigkeit in den Physionöinien anzuerkennen geneigt sein. Erst bei einiger Uebung
gelingt es ihm dann, die auch hier oft sehr stark ausgedrückten individuellen Verschiedenheiten
ausfindig zu machen und sich einzuprägen.
Das in d iv id u e lle V a r iir en bei Thieren ähnlichen Alters und desselben Geschlechtes
ist nicht allein bei den Gorilla's, sondern auch bei den übrigen A n th rop o id en sehr
beträchtlich, ferner bei den Affen überhaupt. Es fehlt daran selbst gar nicht in den
übrigen Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten der S äug e thiere . Allein bei der
in absteigender Reihe immer mehr sich ausbildenden Gleichförmigkeit oder wie ich noch
lieber sagen möchte, bei der zunehmenden p h y sion om isch en A u sd r u c k s lo s ig k e it
des Kopfes fällt es. dem sorgfältigsten Beobachter schwerer, weit schwerer dort, unter
Raubthieren, Wiederkäuern u. s. w., individuelle Verschiedenheiten im Habitus der Kopfes
(imd des gesammten übrigen Körpers) festzustellen, als bei den, menschenähnliche Grimmassen
schneidenden, uns im physiortömischen Bau überhaupt näher tretenden A ffen .
Es erübrigt die Beschreibung eines bereits früher1 von mir erwähnten Schädels der
LENz'schen Sammlung, welcher durch das Fehlen der Orista sagittalis höchst merkwürdig
erscheint. Die Augenhöhlenbögen zeigen sich (obwohl stellenweise verwittert) hervorragend,
Schwach gewölbt und mit ihren oberen Rändern beinahe eine wagrechte Linie
bildend. Hinter ihnen senkt sich der Schädel nicht unbeträchtlich ein. Die an den
Stumpfen, abgerundeten, lateralen Ecken der Augenhöhlenbögen entspringenden Lineae
temporales treten nicht zur Bildung einer Orista zusammen. Dieselben laufen an der
rechten Schädelseite, 8—12 Mm. von einander getrennt bleibend, nach hinten parallel bis
zum Beginn der Orista lambdoidea hin. Links beginnt zwar die \untere Linea temporalis
scharf an der vorhin bezeichneten Stelle, verstreicht jedoch nach einem Verlauf von circa
55 Mm. in der Schädelmitte, beginnt dann nach einer etwa 50 Mm. betragenden Unterbrechung
ihrer Continuität von Neuem und verläuft niedrig, unregelmässig, verzerrt, ebenfalls
bis zum Beginn der Orista lambdoidea. Die obere Linea temporalis sinistra gelangt vorn
gar nicht zur Entwicklung. Nur von der Schädelmitte ab nach hinten erstreckt sich
eine ihrer Stellung und Entwicklung nach der Linea temporalis superior. dextra entsprechende
Knochenleiste bis gegen die Orista lambdoidea hin. Im Bereiche der erwähnten Continuitäts-
unterbrechung, welche die linke Linea temporalis inferior erleidet, erhebt sich in der linken
Hirnschädelhälfte eine in mehrere unregelmässige Höcker oder Zinken getheilte Exostose
von 38 Mm. Länge. In der Nähe, derselben zeigt sich die Schädeldecke durch Narben
verunstaltet. Wahrscheinlich ist infolge eines hier schon in jugendlichem Alter-stattgehabten
Processes die Entwicklung der linksseitigen Lineae temporales und damit diejenige
einer Orista sagittalis unterbrochen worden. Trotz dieses Mangels hat der Schläfenmuskel
in der tiefen Schläfengrube und in dem langgestreckten, -rnässig niedrigen, gewölbten
Hirnschädel hinreichenden Raum zur Ausbreitung gefunden. Die Lineae temporales supe-
riores, welche hier bei aller Dürftigkeit der Ausbildung doch noch höher und zugeschärfter
erscheinen als' die unteren, biegen sich jede etwa 30 Mm. von der Höhe der Orista
lambdoidea mit nach hinten gerichtetem Bogen lateral-, ab- und vorwärts und verstreichen
im Bereiche der Orista. Die Entwicklung des Lambdakammes steht mit derjenigen des
Sagittalkammes nicht immer in genauem Verhältnisse. Vielmehr zeigt sich ersterer oftmals
hoch und steil, wenn letztere niedrig bleibt.2 Die Orista lambdoidea auch dieses Exemplares
1 Zeitschr. f. Ethnologie 1876, S. 130, sowie das. 1877, S. 120.
2 Dagegen steht diese Crista lambdoidea in Beziehung zur Stärke der Nackenmuskeln, welche letztere
in entsprechend entwickelten Dornfortsätzen der Halswirbel ihre Stütze finden.