
innerhalb seiner untergeordneteren Rassen. Auch beim Menschen kann die Stirnwölbung
unter schmal- und hochschädeligen (hypsistenocephalen) Individuen eine räumlich beschränkte
sein. Ich will überhaupt zugeben, dass, wenngleich die Annäherung der
Lineae temporales in der Scheitelwölbung bei Menschen niemals eine so beträchtliche wie
bei den grossen Affen ist, diese Annäherung doch immerhin mannigfache, individuelle
Schwankungen aufweisen könne. Es scheint daher diese Verschiedenheit beim Menschen
und Affen eine nur räumliche zu sein.
Ferner zeigt sich an Schädeln von Menschen der verschiedensten Rassen und Individuen,
bei Männern allerdings mehr noch als bei Weibern, eine sanfte mediane Erhebung, welche
in Richtung der Stirn- und Pfeilnaht, von vorn nach hinten über die Schädelwölbung
hinwegzieht und welche sich öfters in excessiver Weise bei Synostose der Pfeilnaht entwickelt.
Auch bei jungen männlichen und bei alten weiblichen Gorillas,, bei Chimpanses
beiderlei Geschlechtes und bei Orangs, an letzteren allerdings in gemässigtem Grade, zeigt
sich diese mediane ïeistenartige Erhebung. Von ihr kann man annehmen, dass sie bei
Menschen wie Affen eine leichte Auflagerung der Knochenschichten an der verwachsenden
Stirn- und an der doch beim Menschen wie Affen (in den allermeisten Fällen) offenbleibenden
Pfeilnaht bilde. Ein etwaiger Vergleich dieser sagittalen Erhebung beim
Menschen mit den Rudimenten einer Orista sagiüalis der Anthropoiden wjj würde schon
deshalb unpassend sein, weil an Bildung der letzteren die mit ungewöhnlicher (thierischer)
Entwicklung der Schläfenmuskeln zusammenhängende der lÄneae temporales in erster Linie
betheiligt ist, durchaus aber nicht der zwischen letzteren eingeschlossene Raum des Schädels.
Der erwachsene menschliche Schädel ist gewölbter, mehr dem Kugelsegment genähert,
wie deijenige der erwachsenen Anthropoiden. Zwar können ganz junge Orangs, Gorillas
und Chimpanses Schädel aufweisen (— ich halte hier etwas von der adoptirten Reihenfolge
der Artbezeichnungen —), die einen gewölbteren, schon demjenigen eines Kindes ähnlicheren
Scheitel darbieten, allein dieser Character ist denn doch zu vorübergehend, um
in morphologische Vergleichung gezogen werden zu können.
Dagegen habe ich die Ueberzeugung gewonnen, dass beim Menschen nicht selten
etwas einer Orista lambdoidea Aehnliches vorkomme. Wir sehen nämlich nicht bloss bei
sogenannten niederen Stämmen, sondern auch an ganz gewöhnlichen Schädeln unserer
Anatomien, z. B. der Berliner, über die Wölbung des Hinterhauptsbeines eine knöcherne
Q u erw u lstu n g hinwegziehen. Dieselbe fallt, häufig mit den Lineae nuchae superiores
zusammen und findet ihren Mittelpunkt in der Protuberantia ocdpitalis externa, oder
sie bildet unterhalb der ersteren eine besondere Erhabenheit. Sie kann mit den I/i/neae
nuchae supremae et mediae Zusammengehen, oder es sind diese beide letzteren ausgeschlossen.
Stets ziehen die Schenkel dieser Wulstung, welche mir übrigens an Schädeln
erwachsener Männer häufiger als an denen erwachsener Weiber vorgekommen ist, lateral-
und abwärts gegen den Lambda-Rand hin. Ich habe bereits oben bemerkt, dass bei
alten männlichen Gorillas die Lineae nuchae supremae nicht selten mit dem Oberrande
des Lambda-Kammes zusammenfallen, dass sie sich aber auch unabhängig von letzterem
für sich entwickeln können. Häufiger fand ich dies Zusammenfliessen an Schädeln weiblicher
Gorillas, männlicher und weiblicher Chimpanses und selbst Orangs. Am Schädel des
erwachsenen weiblichen Chimpanse und Orang ist aber die Orista lambdoidea kaitm entwickelter)
als es sich an jener Q,uerwulst beim Menschen zeigt.
Ein ausserordentlicher Unterschied bietet sich zwischen Bau und Lage der Hinterhauptsregion
des alten Gorillamännchens und des erwachsenen Menschen dar. Bei dem
eben genannten Thiere beachte man die Orista lambdoidea und von ihr nach abwärts und
lateralwärts sich erstreckend, das schildartige Planum, auf welchem nur ganz vereinzelt
und schwach die Oberflächenskulpturen der Protuberantia, der Orista -ocdpitalis externa
und der Lineae nuchae hervorragen und woselbst die an den Muskelinsertionen befindlichen
Tubera u. s. w. eigentlich das Feld behaupten!
Diese steil abwärts geneigte und sammt einem Haupttheil der Processus mastoidd nach
hinten gekehrte Hinterhauptsgegend (an welcher Stelle das Foramen magnvm nicht wie
beim Menschen unten an der Schädelbasis liegt, sondern schon mehr nach hinten gerückt
erscheint) macht beim a lten Gorillamännchen den Eindruck, als finde hier die Einlenkung
ganz im Sinne der Organisation eines vierfüssigen Thieres statt. Beim Menschen dagegen
dient der. gesammte Einlenkungsapparat des Kopfes an der Halswirbelsäule den Anfofderungen
der a u sg eb ild e ten , con stan ten au frech ten Gangart. ‘
Anders beim ju n g en männlichen und beim weiblichen Gorilla, sowie beim Chimpanse
beiderlei Geschlechtes, bei welchen Thieren das Foramen magnum wieder mehr nach der
Schädelbasis vorrückt und wo das g ew ö lb te r e Hinterhaupt durch die. (zwar nur schwach
entwickelte, aber doch vorhandene) Orista lambdoidea in ein oberes und ein unteres Feld,
eine Pars superior s. ocdpitalis und eine Pars inferior s. nuchalis abgegrenzt wird. Aber
auch bei vielen Menschenschädeln ist eine solche Abgrenzung des Hinterhaupts in zwei
Abtheilungen deutlich durchführbar. Bei Menschen wie Anthropoiden dient die Pars
inferior s. nuchalis ossis ocdpitis für die Insertion der tieferen Nackenmuskeln; wogegen
der Muse, cucullaris mit seinen Insertionsbündeln bei den Anthropoiden das zwischen
Orista lambdoidea und Linea nuchae suprema eingeschlossene Knochenfeld oder, sobald
diese beiden Leisten zusammenfallen, den davon gebildeten Knochenvorsprung1 allein
occupirt.2 Bei Menschen mit andeutungsweise vorhandener Orista lambdoidea (s. oben)
gewährt diese letztere selbst noch hinlänglichen Raum für die Insertion des Kapuzinermuskels.
Beim alten Gorilla- Männchen steht übrigens die Ausbildung der Domfortsätze der
Halswirbel zur Bildung des Planum ocdpitale in genauer Beziehung. Denn hier erfordern
die ungeheueren Nackenmuskeln, welche eine sehr hohe Anlagerung an die mächtig
hervorragenden Dornfortsätze gewinnen, auch eine hohe und breite Insertionsfläche.
Wiederum dienen diese gewaltigen Nackenmuskeln mit zur Bewegung des Kopfes, an
1 Vergl. S. 48. Die L ineae nuchae supremae sind in ihren medialen Abschnitten oft noch von der Orista
lambdoidea getrennt und verschmelzen mit letzterer erst an ihren lateralen Partien.
2 Joseph bemerkt, dass während die L in e a semicircularis (nuchae) suprema beim Menschen sich als
obere Ansatzgrenze des Musculus cucullaris zeitlebens erhalte, für ihr Bestehen beim Affen kein Raum bleibe
und sie in der Aufwulstung der Lambdäränder untergehe (Virchow’s Archiv, 59. Bd., S. 3). Ich verweise
hiergegen auf das von mir über die Selbstständigkeit der obersten Nackenlinie auch bei den Anthropoiden Gesagte.
R. H artmann, Gorilla. 16