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III. Beiträge zur Knochenlehre des Gorilla.
i.
Der Gorilla-Schädel im Allgemeinen.
Die in die Hände unserer Fachgenossen gelangenden Gorilla-Schädel befinden sich
nicht immer in gutem Zustande. Denn sie stammen keineswegs von frisch geschossenen
Thieren her, sind vielmehr öfters längere Zeit in Magazinen aufbewahrt, unterwegs bei
rüder Behandlung zerbrochen worden, sie haben ihre Zeit auf Votivpfahlen und in Fetisch-
häusem zugebracht, sind da verwittert u. s. w. Manche haben in ihren Bälgen gesteckt,
und um letztere besser zu conserviren, hat man an ihnen das Hinterhauptsbein verletzt
und durch das in roher Weise hineingeschlagene, öfters umfangreiche Loch das Gehirn
entfernt. Zuweilen hat aber auch die Gewalt der Geschosse ihre Wirkung geübt und
grössere Knochenstücke zertrümmert. Fehlende Jochbögen, Unterkiefer und Zähne mahnen so
an stattgehabte heisse Kämpfe mit solchen Ungeheuern der nigritischen Wildniss und zum
Theil auch an lüderliche Behandlung der mühsam erlangten Präparate. Man wird daher
auf den nachfolgenden Textseiten und Steindrucktafeln Lücken wahrnehmen, für welche
weder die Einsammler und Spender der uns vorliegenden zootomischen Herrlichkeiten
noch der Verfasser dieses Buches selbst verantwortlich gemacht werden können.
a. Schädel des a lten männlichen Gorilla.
Derselbe macht sich zunächst durch seine beträchtliche Grösse und Schwere (vergl.
die angehängten Masstabellen), ferner aber durch die mächtige Entwickelung der am
Cranium emporwachsenden Knochenleisten, durch das ungeheuere Gebiss, durch die vielen
Muskelleisten und durch andere im Connex mit der Ausbildung sonstiger Weichtheile
stehende Hervorragungen bemerkbar. Der Kiefertheil ist zwar sehr prognath, aber doch
nicht so gestreckt-prognath wie beim Chimpanse, vielmehr nähert er sich durch seine
Höhenentwickelung zwischen Unterrand des Unterkieferbeinkörpers und oberer Ecke der
Apertusra pyriformis den Schädeln anderer altweltlicher Affen, namentlich aus den Familien
der öolobus, öercopithecus, Sem/nopithecus etc.
Sehr auffällig ist an diesen Schädeln die gewaltige Ausbildung des knöchernen O b erg
e rü ste s der A u g en h ö h len , welche ja selbst an dem noch mit seinen Weichgebilden
bedeckten Kopfe des Thieres hervorsticht. Diese Theile heben sich in Form zweier
mächtiger Knochenkapseln mit einer tiefen Einsattelung gegen den Hiruschädel ab. Die
Augenhöhlenbögen ragen dickwulstig hervor. Ihr Oberrand verläuft horizontal oder mit
leichter Abwärtsneigung lateralwärts, um mit dem lateralen scharfen, etwas nach hinten
umgebogenen Bande gerade ab- und wieder vorwärts zu ziehen. Die Verbindung des
die obere laterale Ecke jedes Augenhöhlenbogens bildenden Jochfortsatzes des Stirnbeines
mit dem langen hohen Stirnfortsatz des Jochbeines findet bereits hoch oben statt. Sie
liegt nur etwas niedriger als die ihr gegenüber befindliche Sutu/ra naso-frontalis,
Die Wangenknochen ragen in die Höhe und Breite. Von ihnen aus zieht der
starke \$Fochbogen meist geradlinig nach hinten. Ueber der ovalen Hirnschädelkapsel
, erhebt sich die hohe Christa sagittalis und mit dieser verbindet sich eine schräg nach
hinten und oben emporstehende, hohe, breite örista lambdoidea. Letztere gehört übrigens
den beiden Schläfenbeinen und dem Schuppentheile des Hinterhauptsbeines gemeinsam an.
Es zieht nämlich die Lambdanaht hinter dem Zitzenfortsatz aufwärts und grenzt einen
kleineren vorderen, sanft schräg-ansteigenden Theil der örista von dem hinteren auf das
Hinterhauptsbein fallenden, grösseren Theil jener örista ab.
Die S c h e ite lb e in e , deren Pfeilnaht im Bereiche der örista sagittalis verwächst und
von welcher auf der Höhe der letzteren nur selten noch eine Spür übrig bleibt, zeigen
keine ausgeprägten Scheitelhöcker. Sie sind in ihrem vorderen Abschnitte flacher, in der
Mitte und im hinteren Abschnitte gewölbter. Ihr Hinterrand biegt sich zur Örista
lambdoidea nach hinten und oben empor. Das Scheitelbein bildet die vordere Platte dieses
höchst charakteristischen Kammes. Die Platte selbst ist concav, namentlich in ihrem
mittleren Theile.
Die H in te rh a u p tssch u p p e ist hoch und breit, manchmal platt, manchmal concav,
zu noch anderen Malen ist sie convex und rauh. Die Lineae nutchae erscheinen zuweilen
gut ausgeprägt. Eine Linea nuchae suprema steigt steil-bogenförmig zur örista lambdoidea
empor; sie führt dicht an letzterer lateral-' und abwärts. Eine Linea nuchae media wendet
sich steil lateral- und abwärts gegen die Lambda-Naht, sogar in der Dichtung gegen den
Processus mastoideus hin oder sie steigt ebenfalls empor und verbindet sich am hinteren
Bande der örista mit der Linea nuchae suprema. Die u n te rste Linea nuchae zieht abwärts
gegen die Fossa condyloidea hin. Das hier beschriebene Verhalten findet sich irr jenen eben
nicht sehr häufigen Fällen, in denen keine örtliche Unregelmässigkeit an den Knochenflächen
die Begelmässigkeit des Vorkommens der drei Lineae nuchae stört. Indessen sind doch auch'
solche Fälle zahlreich, bei denen im Verlaufe der Lineae nuchae allerhand blättrige, stachelige
und stumpfknorrige Knochenauswüchse auftreten, welche das ganze Sculpturenfeld an der
Hinterhauptsschnppe verwirren. Zuweilen entstehen neben der (ebenfalls meist ausgeprägten)
Örista occipitalis externa grubenähnliche Vertiefungen von individuell sehr verschiedenartiger
Ausdehnung. Durch diese Vertiefungen werden die Linea nuchae suprema und
media gewissermassen auseinandergerissen. Auch kommt es vor, dass die Linea nuchae
media und infima eine nach oben. convexe Bogentour ohne in Zusammenhang mit der
örista occipitalis externa zu treten, mit bald vollständigen, bald unterbrochenen Zügen
darstellen. Da bleiben denn longitudinale Insertionsfelder für das Ligamentum nuchae
zurück. Bei einem solchen Verhalten bieten sich isolirte Insertionsfelder für die Nackenmuskeln
dar. Namentlich häufig zeigt sich jederseits neben der örista occipitalis ein
mediales C-förmiges Feld, welches unzweifelhaft dem Musculus sëmispincdis capitis angehört.
Daneben befindet sich ein rundliches oberes und ein anderes, wieder unter diesem
stehendes Feld, welches letztere zuweilen grabenartig nach oben zieht und bis gegen den
Condylus hin ausweicht. Dasselbe gehört dem Muse, semispinalis capitis an. Eine völlige.
Constanz ist hier freilich nicht zu beobachten.