
V O R E R I N N E R U N G .
D i e Getreidearten gehören zu den ältesten Gewächsen, deren die Geschichte gedenkt; sie waren den
ersten Völkern bekannt, von denen eine Kunde zu uns gekommen ist; allein über das Vaterland mehrerer
derselben, herrscht ein noch unenthüiltes Dunkel.
Vor Jahrtausenden, wie noch jetzt, reichten die Cerealien den gebildeten Nationen ihre Hauptnahrung,
und ihre Kultur beschäftigte fortwährend einen grofeen Theil der Bewohner der Erde. Allgemein
ist daher ihre Kenntnifs geworden, wie ihr Gebrauch und Benutzung ein unentbehrliches Bedürfnils ist.
Wer diese Thatsachen bedenkt, sollte mit grofser Sicherheit voraussetzen können, dafs. die vielfältigen
Getreidearten, in botanischer Hinsicht, längst schon untersucht, geordnet und bestimmt, somit sich
über dieselben genaue Kenntnifse zu verschaffen ganz leicht seyn müsse. Aber sonderbar, es ist dem
nicht also! Vielmehr herrscht eine grofse Verwirrung, und zwar nicht nur allein bey den Oekonomen,
sondern selbst bey den Botanikern. Eine Menge verschiedener Namen findet man in den landwirtschaftlichen
Schriften, welche alle richtig zu deuten völlig unmöglich ist; und doch mufs gerade dem.
Oekonomen ungemein viel daran liegen, eine als vorteilhaft zum Anbau empfohlene Getreideart nicht
mit einer andern zu verwechseln.
Eine Revision der jezt in Europa und besonders in Deutschland kuliivirten Cerealien, eine kritische
Sichtung ihrer Arten und Abarten, eine genaue Bestimmung der deutschen und anderen Nomenklaturen,
so weit dies nur immer möglich war, schien mir ungemein wichtig, ich wagte es, mich dieser Arbeit
zu unterziehen, deren Schwierigkeit ich nicht verhehle, noch mir schmeichle, sie in allen ihren Theilen
vollkommen beendet zu haben.
Als Grundlage dieser Arbeit diente mir die bekannte vortreffliche Schrift des Herrn Seringe über
die Getreidearten der Schweiz, dessen Anordnung ich im Ganzen befolgte.
Damit aber nicht willkührlich bestimmt werde, was bey den Cerealien als Art, was als Abart angesehen
werden müsse, so machte ich es mir zu einem besondern Geschäfte, die Getreidearten Jahre
hindurch in ihrem Wachslhume, und besonders ihre von der Kultur und klimatischen Verhältnissen
abhängenden Veränderungen genau zu beobachten, und ich glaube, als Resultat dieser Beobachtungen,
für die Artenbestimmung folgende Sätze aufstellen zu können.
1) Das D a se yn o der der Mangel der Gran nen (aristae) g ib t k e in s ich e r e s K en n z
e ich en zur U n te r s c h e id u n g der A rten . Als Beyspiel führe ich hier an: Trit. amyleum Var.G.
kommt in der Regel fast ungegrannt vor; sehr häufig findet man darunter Aehren mit langen Grannen,
und beynahe dem Trit. amyleum Var. A. gleich; auch Trit. polonicum Var. E. erscheint bald mit kurzen,
bald mit langen Grannen; es gibt überhaupt mehrere Getreidearten, welche bey annähernder Reifzeit
ihre Grannen ab werfen, und dann ganz wehrlos erscheinen. 2) Das D a se yn oder der Mangel
eines h a a r ig en U e b e r zu g e s der S p e lzen (,glumae) l ie f e r t kein s ich e r e s Me rkma l zur
U n te r s c h e id u n g der Arten. Häufige Uebergänge findet man bey Trit. vulgare Var. B. 3) Die
e in fa ch e o d e r ä s tig e A ehre [Spica simplex s. ramosa) kann n ic h t zu r U n te r s ch e id u n g
der A r te n d ien en ; es hängt dies Phänomen gröfstentheils von dem Boden ab, in dem das Getreide
wächst; nicht selten erscheinen ästige Aehren bey Trit. turgidum, Trit. polonicum, Trit. amyleum und
Secale cereale; auch selbst bey wildwachsenden Grasarten kommen sie vor, wie z. B. bey Trit. repens und
bey Lolium perenne. 4) D ie s c h la f fe oder ged rän g te Aehre (Spica laxa v. compacta) l ie fe r t
e b e n fa lls k e in b e s tä n d ig e s Merkmal zur A r ten b e s tim m u n g . Man sieht dies z. B. bey den
meisten dichten Varietäten von Trit. durum, so wie bey Trit amyleum k., deren Aehren sich häufig
verlängern. 5) W e n ig e r no ch is t a u f die F a rb en zu b a u en ; sie sind ebenfalls bald mehr