
umgeben. Nach der lange ertragenen Sommerhitze musste mir dem Nordländer hier Alles doppelt lieblich
erscheinen. Eine üppige Vegetation'von Fruchtbäumen aller Art bedeckt das tiefe schattige und
wasserreiche Thal; besonders zeichnet sich die echte Kastanie aus, die bald in Wäldchen zusammensteht,
bald einzeln ihre feinen Formen auf dem Blau des Himmels abzeichnet. Ihre Früchte sollen indessen um
Agidsso nicht besonders gross werden, üeber die Baumregion des Thaies hinaus erreichten wir dann die
freieren Höhen; hinter mir sah ich auf das gross und wohlhäbig in dem Grün gebettete Agidsso, in dem
die Kirche und die Schulen der Griechen — Türken giebt es hier nicht — besonders heryorstechen; vor
uns auf stieg der nackte Marmorrücken des Eliasberges. Ich fand einen auffallend guten Weg, auf dem
das Maulthier mich bis auf den höchsten Gipfel tragen konnte, bis zu dem ziemlich elenden Kirchlein des
Höhenheiligen. Dieses Kirchlein und den Weg hat eine alte Frau als ein frommes Werk auf eigene Hand
begonnen, dann hat der ganze Ort mit zugegriffen und beides, Kirche und Weg hinauf, vollendet. Dicht
unter der Höhe kamen mir einige Weiber entgegen, die ihre Andacht verrichtet hatten und oben wehte
uns der Weihrauchdunst entgegen, ganz beengend hier auf dieser herrlichen Höhe. Die Fernsicht traf
ich leider unklar, kaum dass die Gipfel von Chios erschienen. In der nächsten Umgebung des Berges war
die Zunahme der Baumvegetation auf der Ostseite besonders auffallend, dorthin beginnen die dichtestbewal-
deten Berge, in deren Schosse von Gärten und hellgrünen Weinbergen umgeben Agidsso liegt. Nach Nordwesten
in der Richtung gegen dieAliki des Meerbusens von Kalloni zu fiel mir im Lande die Stelle eines
Sees auf, der im Sommer indessen trocken liegt. Nahe im Westen sah man eine Ziegelei. Der . höchste
Grad des Eliasberges selbst verläuft in einer Längsrichtung von SSW nach NNO. Dieser kahl über den
tieferen Waldbergen aufsteigende zu einer scharfen Spitze sich gipfelnde Kamm hat einige Aehnlichkeit
mit der Erscheinung des Athos, dem er nach den Messungen der englischen Seekarte Jf an Höhe allerdings
um die Hälfte nachsteht. Das Gestein ist auch hier Marmor, weiss mit rothem Geäder oben am
Gipfel, in den tieferen Lagen grau oder grau mit weiss durchzogen; unten bemerkte ich auch ein graues
schiefriges Gestein, wie es auch auf Thasos neben dem Marmor vorkommt. Der graue Marmor findet sich
nicht nur am höchsten Eliasgipfel, sondern das ganze Gebirge um Agiässo besteht aus diesem Gestern,
welches unter den alten Inschriftsteinen auf Lesbos ganz überwiegend vorherrscht, wie der lesbische Marmor
denn auch 2) bei Plinius, Philostratos und Isidorus als dunkel beschrieben wird. Alte Brüche dessel-
ben weiss ich nicht nachzuweisen.
Von der Bergbesteigung zurückgekehrt verwandte ich einige Zeit auf die Besichtigung von Agidsso.
Die Häuser des Ortes sind höher als sonst in den Dörfern der Insel und die' Strassen, wie sehen
erwähnt, enge; auf beiden Seiten derselben sind Steige von kleinen Steinen für die Fussgänger, in
der Mitte zwischen diesen bleibt nur ein schmaler Streif mit schwarzer Pfütze, in der sich mit Behagen
zahlreiche Schweine bewegen, für welche ausserdem durch die Anlage der Abtritte nach der
Strasse zu m einer ganz besonderen Weise .gesorgt ist. Von dieser Sitte haben uns Reisende auch
aus ändern griechischen Orten erzählt. Mein erster Weg galt der Mitropolis, der Hauptkirche des.
Ortes mit anstossenden Gebäuden, in denen der Bischof wohnt, wenn er namentlich zu den gro-
ssen Kirchenfesten, wie ein solches in den nächsten Tagen am 27. August unserer Rechnung, bevorstand,
aus der X"P« 3), das heisst aus Mitilini, wo er residirt, nach Agidsso herüberkommt. Ich fand die
Kirche voll von Kranken zu ganzen Familien, die den Augustmonat mit ihrem Teppiche und sonstigem
kleinen Hausrathe auf dem Fussboden in der Kirche gelagert zubringen. Mir schien, als wenn der
1) Athos 6349, „Olympos“ au f Lesbos 3080 englische Fuss über dem Meere.
2) P l e h n a. a. 0 . S. 5. Plin. n. h. XXXVI, 44: Fecere e t e Thasio Cycladum insularum aeque et e Lesbio; lividius hoc
paulo. Der thasische Marmor ist blendend weiss mit grossen glänzenden Krystallen. Philostratos erzählt vom Herodes Attikus (vit.
sophist. p. 556 Olear.), er habe aus Trauer über den Tod seiner Frau Regilla sogar sein Haus dunkel dekorirt TrapaTiexdouaat xal
Xpwfiaot xal X(0<p Aeaßiip, xaTijcpfjc bk 6 Xi0oc xal fiiXa;. Isidorus origines XVI, 5 : Lesbius lividior est paulo etc.
3) Mitilini heisst nicht im gewöhnlichen Gespräche | tcöXi« schlechthin; das is t immer Konstantinopel.
Gedanke, hier unmittelbar im Schosse ihrer Heiligen zu ruhen, den Leuten meistens ein zufriedenes Aussehen
gab. Ob, wie bei den alten Incubationen 1), auch an besondere heilende Traumeingebungen hier
gedacht wird, weiss ich nicht. Das wunderthätige Bild der Kirche ist ein Marienbild, mit Ausnahme der
Gesichter von Mutter und Kind ganz mit getriebenem Silber und Gold bedeckt. Der Maria ist die ganze
Kirche unter dem Titel einer xoipiTjoi? Beotöxoo geweiht. Ich verliess das Innere, wo die älteren Frauen
durch das Erscheinen eines Franken zu sehr in Aufregung geriethen. Draussen war Alles sehr belebt. Die
anstossenden Gebäude der Mitropolis, die mit ihren offenen Hallen grossentheils zur Beherbergung der
Pilger bestimmt sind % waren recht schmuck bemalt; überall zeigte sich Wohlstand. Auch Kaufläden mit
allerlei Tand waren hier zu finden. Der Morgen war mir hierüber vergangen, am Nachmittage besuchte
ich eine Ruine, das sogenannte Kastrelli, welches auf einer felsigen Höhe dicht über dem Orte liegt. Es
besteht indessen nur aus Mauerwerk von Bruchsteinen mit Kalk, formlos wie alles Nichthellenische dieser
Gegenden. Ein Blick auf die Bergwand des Elias und die weiten Waldhöhen rings umher war der
beste Gewinn.
Der nächste Tag und die zwei folgenden waren zum Besuche einiger Punkte an der Südküste und
in der westlichen Umgebung des Meerbusens von Jera bestimmt. Namentlich hatte ich von einer Gegend
Plagiä nahe der Südküste gehört, dass dort Inschriften seien und bei den Jera-Dörfem war auf eine Lösung
der Frage über die Lage der alten Stadt Hiera zu hoffen, die, wie schon der erhaltene Namen höchst
wahrscheinlich machte, zeitenweise im Alterthume den Mittelpunkt der heute von zahlreichen Dörfern
besetzten fruchtbaren Landschaft bilden mochte.
Mein Ritt ging zuerst ziemlich grade südwärts nach dem Dorfe Plumari immer durch bergige baumbewachsene
Strecken, bis ich mich jenseit Plumari von dem bisher verfolgten nach dem Hafenplatze Potamos
hinabführenden Wege links ab mehr in südöstlicher Richtung nach Plagiä zu wandte. Der Lehrer in diesem
kleinen Dorfe erinnerte Sich mir als Deutschein gegenüber sofort Ludwig Rosss, dessen Schüler er in
Athen noch gewesen sei; sehr bereitwillig begleitete er mich dann auf mein Fragen nach den Inschriften
zu einer kleinen Kirche nahe beim Dorfe Plagiä, der sogenannten Panagia Papandi (riava'^a IlcnravS-ij), an
der sich wirklich eine ganze Anzahl alter Bild- und Schriftsteine eingesetzt fanden. Eingemauert waren
einmal noch mehre Stücke von Sitzen mit Löwenfüssen vorhanden, dann ebenfalls in der Aussenmauer der
Kirche eine Relieffigur der Artemis ziemlich geringer Arbeit und römischer Zeit. Eine oben halbkreisförmig
geschlossene Einfassung umgiebt die Figur der Göttin, die weit ausschreitend auf einer erhöhten
Stufe sich nach links vom Beschauer bewegt. Bekleidet mit dem nur bis an die Kniee reichenden unter
der Brust gegürteten Chiton und einem kleinen Ueberwurfe um die Schultern, streckt sie im Laufe die
brennende Fackel horizontal mit beiden Händen vor. Neben ihr läuft ein Hund mit 3). Ueber der Kirch-
thür ist ferner ein Grabstein später Zeit angebracht, auf dem in Relief unter einer Rundbogennische, beide
von vorn gesehen neben einander stehend und sich die Hand reichend, ein Mann und ein Knabe, Vater
und Sohn, abgebildet sind mit der Unterschrift:
1) Schoemann griech. Alterth. II, S. 295 ff.
2) Alles hier vergegenwärtigt ähnliche Erscheinungen des Alterthums s. Plinius e p is t.IX , 39: Haruspicum monitu reficienda
est mihi aedes Cereris in praediis in melius et in majus, vetus sane e t angusta, cum sit alioqui stato die frequentissima. Nam
Idibus Septembribus magnus e regione to ta coit populus, multae res aguntur, multa vota suscipiuntur, multa redduntur, sed nullum
in proximo suffugium aut imbris aut solis. Videor ergo munifico simul religioseque facturus, si aedem quam pulcherrimam extruxero,
addidero porticus aedi, illam ad usum deae, lias ad hominum. Aus dem Folgenden sieht man, dass die porticus gewöhnlich wohl
um den Tempel herumgebaut wurden d. h. gewiss, wie es bei der Kirche in Agiasso der Fall ist und man auch sonst findet, mit
der offenen Seite nach innen, einen Hof um den Tempel umfassend.
3) Di® Figur gleicht der der Artemis auf Münzen von Messana bei T o r r em u z z a num. sic. Tab. XLIX, 11. XLV, 3.
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