
Diese ganze Form der Gefässhenkel ist durchaus nicht selten unter den uns erhaltenen Vasen, namentlich
kommt sie bei Amphoren mit Malereien des älteren Styls mit schwarzen Figuren mehrfach vor. Solcher
Amphoren sind z. B. mehre unter den nach Paris versetzten Vasen der Campanaschen Sammlung
und nach einer von diesen ist die Form unter nr. 2 skizzirt. Bei diesen Pariser Exemplaren ist die Henkelplatte
auf ihrer oberen Fläche mit verschiedenartigem Bildwerke bemalt, zu vier verschiedenen Malen
aber mit einem menschlichen bald männlichen bald weiblichen Kopfe in Profil, also im hohen Grade
übereinstimmend mit der Lesbischen Platte, wo wir zwei Profilköpfe, einen weiblichen und einen männlichen
neben einander finden. Die Technik ist ganz die von Vasenmalereien dieses Styles bekannte *).
Auf dem gelben Thongrunde ist mit Schwarz silhouettenartig aufgemalt, Hauptumrisse sind mit einem
spitzen Instrumente hineingeritzt, Einzelheiten, hier die Binden im Haare und was schon eigenthümlicher
ist, das Fleisch des Mannes, mit einem Bothbraun aufgetragen und endlich das Nackte an der Frau mit
einem dick aufgetragenen Weiss bedeckt. Dieses Weiss ist grossentheils abgescheuert und lässt so den
schwarzen Untergrund sehen. Das männliche und das weibliche Auge ist in üblicher Weise2) nach
charakteristisch verschiedenem Schema gezeichnet.
So viel über diese Thonscherbe; wir kehren zu Pyrrha zurück, dessen Akropolis ich beschrieb. Am
Fusse ihres Südwestendes springen in das Meer hinein jetzt unter Wasser die Ueberreste eines Steindammes
vor. Er bildete den alten Hafen von Pyrrha. Am Ufer dieses Hafens landeinwärts begränzt von
einem Vorsprunge der Akropolishöhe. hat offenbar der in der späteren Zeit des Alterthums noch fortlebende
Theil 3) der Stadt Pyrrha gelegen. Zeuge davon sind die Trümmer und Scherben, welche grade
hier überall den Boden bedecken. Es liegt da auch eine kleine Kirche des h. Dimitrios. Der kleine Best
von Leben, der noch heute an der Stelle Pyrrhas sich gehalten hat, bewegt sich ebenfalls an dieser Stelle.
Die Stadtburg ist nur eine Baumpflanzung, verlassen wie gegen das Ende des Alterthums; hier unten, wo
dann und wann einige Kaike anlegen, stehen unmittelbar am Ufer etwa drei Magasiä, wo die Schiffer und
die wenigen Leute, welche m einer oder der ändern Hütte umherwohnen, "verkehren. Ich glaubte mit den
Ueberresten von Pyrrha fertig zu sein und war schon, in dem südwärts gelegenen Dorfe Vasilikä angekommen,
als ich dort von zwei Inschriften bei der Magasiä an der Bucht, von Pyrrha hörte, die mir entgangen
waren. Ich ritt also noch emmal nach dem Platze zurück, wo sich die eine Inschrift allerdings nur
als eine natürliche Vertiefung im Steine erwies, obgleich mein Führer denn doch etwas ganz Besonderes
darin finden wollte; es sei „tou Xaamlou xb ^epi“; das ist ein Ding, welches bei dem allgemeinen Aberglauben
an vergrabene Schätze eine grosse Bolle spielt. Dafür war di e, zweite Inschrift doch wenigstens
eine wirkliche und wenn auch kurz, doch merkwürdig. Sie steht (Taf. XVI, 3) auf einem vierseitigen
Blocke von grauem Marmor (0,60 M. breit, 0,44 hoch, 0,43 dick, Buchstabenhöhe 0,015), den ich an einer
Stallthür südöstlich oberhalb der Magasiä verkehrt eingemauert fand,-. Auf der Oberfläche des Steines ist
nur ringsum ein schmaler Band gelassen, die übrige mittlere Fläche ist vertieft, so dass-ein anderer ziemlich
gleich grösser vierseitiger Gegenstand auf ihm gestanden haben muss. Die Inschrift IIoBaXeipiai gehört
der vorrömischen Zeit an 4).
*) O. J a h n Einleitung zur Beschreibung der Vasensammlung König Ludwigs in München S, CLVIII.
2) 0 . J a h n a. a. 0 . S. CLIS.
3) Strabo C. 618. 'H 8t IBppa xurtcrpaitrs., r i St upodtraov o talrc a -ml fyei Itp ir* . Des Plimus (n. h. V, 139) Angabe: P y rra
hausta est m an verstehe ich nicht, weil grade der später offenbar verlassene Theil der Stadt der hochgelegene: ist, der nicht vom
Mesre gelitten haben kann. In dem lesbischen Dekrete auf Delos (C. gr. II, add. n ,2 2 6 5 b), welches vor das J a h r 167 v , Chr.
in die Zeit fällt, als Antissa noch als Stadt existirte, wird Py rrh a nicht mit genannt, n ur Mytilene, Mathymna, Antissa und Eresos.’
*) Am Schlüsse meines Berichtes über die Ruinen von Pyrrha will ich für künftige Untersuchung noch auf eine Stelle in
B o u t a n s Reiseberichte (a. a. 0 . S. 311 ff.) aufmerksam machen. E r ha t anderthalb Stunden Weges nordöstlich von der Akropolis
von fy r rh a eine Oertliehkeit Mdsa besucht. Dort liegt nach seiner Angabe eine Kirche, welche, grossentheils aus althellenischen
Sternen erbaut ist und auf altem noch ..erhaltenen Fussboden eines Tempels steht. Neben der Kirche stehen theils aufrecht, theils
Die Sonne ging mit weit über den Himmel hinreichenden breiten rothen Lichtstreifen hinter den
Bergen jenseits des Meerbusens unter, als ich Vasilikä wieder erreichte, wo ich ein elendes Nachtquartier
fand. Mit Sonnenaufgang ritt ich weiter in fünf Viertelstunden nach dem Dorfe Polychnitis 1), wo eine
besonders grosse aber wie gewöhnlich formlose griechische Kirche im Bau begriffen war und bis Vrisiä.
Hier verleitete man mich durch einige unrichtige Erzählungen, die Gegend unten am Südstrande hinter
dem Vorgebirge Phokäs zu besuchen, wo die Ortsbewohner grade unternommen hatten, einen durch das Vorgebirge
einigermassen geschützten Landeplatz mit gesammeltem Gelde neu zu reinigen. Die Gegend dort
unten nennen sie Limonari; es war dort Nichts von alten Ueberresten zu sehen, nur die Spuren eines früheren
Dorfes; auch ein etwas landeinwärts gelegener Wachtthurm ist höchstens mittelalterlich2). Bei
meiner Rückkehr nach Vrisiä wurde mir dort ein Exemplar der Bronzemünze3) von Mytilene mit dem
Kopfe des Theophanes und der Aufschrift ©eoepavr^ öe6? gezeigt; die Rückseite war "ganz verwischt. Nach
einer kurzen Mittagsruhe verliess ich das Dorf und es ging nun ostwärts in die Berge, um Agiässo zu
erreichen. Da aber mein Agogiat die Gegend nicht kannte, so mussten wir menlfach umherirren und
kamen erst nach Sonnenuntergang in Agiässo an. Die ganze Halbinsel zwischen dem Meerbusen von Kal-
loni und von Jera, so weit ich sie auf diesem Tagemarsche zu Gesichte bekam, erscheint sehr im Gegensätze
zu den Bergstrecken westlich vom Kallonibusen als reichlich bewachsen. Wo kleine Thäler sich
zwischen die im Ganzen vorherrschenden Berge legen, findet man in ihnen allerlei Anbau, so namentlich
in der Nähe der Dörfer Polichnitis und Vrisiä. In kleinen Flussthälern fehlt der Oleander nicht, daneben
Platanen und Pappeln, von denen oft hoch überrankender Wein herabhängt. An den Bergen gehen ziemlich
weit hinauf die Oelbaumpflanzungen, bis in den höheren Lagen dem Gipfel zu Fichten und Eichen
an ihre Stelle treten. Das Gebirge hebt sich immer mehr, je näher man dem Eliasberge kommt. Ueber
schroffen Felsabhängen, von denen hier und da reichliches Wasser zum Vorschein kommt, erheben sich
bewaldet die hohen Bergrücken. Aber über diesen allen steht grau und kahl die scharfe spitzige Felsmasse
des Eliasgipfels, noch im Sonnenlicht, wenn schon unten die ganze Bergwelt mit Schatten sich deckt.
Schon lange ehe wir Agiässo wirklich erreichten, verriethen die am Wege beginnenden Obstgärten die
Nähe des Ortes, dessen schmale Gassen mit den überhängenden Obergeschossen der einstöckigen Häuser
einen ganz städtischen Eindruck machen.
Mein erstes Unternehmen von Agiässo aus war die Besteigung des Agios Ilias 4). Unten im Thale
war es beim Ausreiten morgenkühl, fast kalt unter den dicht mit Bäumen bewachsenen Gärten, die Agiässo
umgestürzt zehn dorische Säulenschäfte mit einem Durchmesser von 0,88 M. Unbedeutendere Stücke sind in der Nähe in einer
Umfassungsmauer eingesetzt. Die Arbeit des alten Fussbodens und der Säulen soll in der Weise der besten griechischen Zeit sein.
B o u t a n sieht also hier einen alten Tempel, dann aber ohne W eiteres auch eine alte Stadt, ohne dass andere Ueberreste das unterstützten
und verliert sich zuletzt bis zu der müssigen Spielerei, in dem heutigen Ortsnamen Mésa den alten Namen Metaon (Steph.
Byz. s. Méxaov, icóXtc Aicßou, tjv Méxas Tupprjvòc tuxtaev, <bc 'EXXavixo?.) erkennen zu wollen.
!) Auf der kleinen Insel Garbiä nahe der östlichen Küste bei der Einfahrt in den Golf von Kalloni sollen Ruinen von Ziegelbauten
vorhanden sein. Schon die Lage, verglichen mit der der höchstens mittelalterlichen Ruinen auf der kleinen Insel Kastriä
an der Einfahrt in die M udrosbucht auf Limnos, lässt vermuthen, dass auch diese Ruinen a u f Garbiä nicht ältem U rsprungs sein werden.
2) B o u t a n (a. a. O. S. 804 ff.) hat an der Skala von Vrissiä zwei kleine Marmorquadern gefunden, in der Kapelle des heil.
Phokas auf dem Vorgebirge ebenfalls einige Marmorblöcke und zwei ionische Säulenschäfte. Unterhalb der Phokaskirche soll dann
eine kleine Bucht zum Anlanden sein; dazu genommen eine Redensart eines Griechen in Vrissiä und ein Apollontempel und eine
griechische Stadt sind fertig. Es fehlt n ur noch ein Namen. Da wir nun mehre Namen überliefert haben, von denen wir weiter
gar nichts wissen, freilich auch nicht, dass sie eine Stadt bezeichneten, so sind diese zu beliebiger Verwendung besonders bequem.
Man wählt Ttdpcu, als ein Ort genannt, wo Trüffeln vorkamen (Zander a. a. 0 . S. 11) und tauft so die imaginäre Stadt am Agios
Phokas, die übrigens keinenfalls eine Y<öpa ÖTraptpios war, wie Tidpai ausdrücklich bei Athen II, 60 heisst.
- 3) P l e h n a. a. O. S. 212.
4) Ich habe au f meiner Karte die hergebrachte Identifizirung dieses höchsten Berges der Insel m it dem Olympus bei Plinius
angenommen; ein Grund liegt aber, wie ich nachträglich mich überzeuge, hierfür nicht vor, wie auch schon P l e h n gestand.