
schärfung versehen und untereinander durch Klammern verbunden sind. Von den umherliegenden Steinen
ist dicht an der Ruine eine Hütte und dabei eine Tenne hergerichtet. Der Ort heisst bei den Umwohnern
AcnceSta. Im Alterthume lag hier offenbar ein befestigter Wachtposten, wie wir deren Ueberreste auf dem Festlande
und auf den Inseln Griechenlands in immer grösserer Zahl kennen lernen, wahrscheinlich von den Erissäern
gegen ihre Nachbarn am Meerbusen von Pyrrha (Meerbusen von Kalloni) angelegtJ). Vom Meere
sieht man von der Ruine aus nur drei kleine Abschnitte durch die Berglücken hindurch nach Süden zu.
In Kurzem erreichten wir dann auch das Dorf Agra 2). Es liegt am Bergabhange und dicht über ihm
noch eine kleine Abtheilung von Häusern, ein [xayaXa?, welche von Pappeln umwachsen ist und davon
Ldfka genannt wird, also mit gleicher Namengebung, wie wir sie drüben bei Kavakli und dem alten
Aigeiros schon fanden. Wir hielten die Mittagsruhe eine Viertelstunde weit jenseit unterhalb Agra an
einem von einer Platane beschatteten Brunnen und ritten dann bergaufwärts, bis auf der Höhe des Weges
der ganze Golf von Kalloni, der grösseste von den beiden Meerbusen, die von Süden in die Insel hineinschneiden,
vor uns lag. Sobald das Herabsteigen zu ihm begann, umgaben uns Wacholderbüsche und die
hellgrünen Fichten 3), die Zierde mancher griechischen Strandgegenden, welche ich hier zuerst seit ich die
Insel Imbros verlassen hatte, wiedersah. Wir durchritten das Dorf Parakela (xa IlapdxeXa) 4), hinter welchem,
nachdem wir erst noch über einige felsige ans Meer tretende Bergausläufer hinüber waren, höchst
ungewohnter Weise ein Ritt in wirklicher Ebene begann. Es ist die grösste ebene Fläche auf Lesbos, die
sich von hier bis an das Ende des Gebietes von Kalloni ausdehnt. Mit ihrem flach sandigem Strande
senkt sie sich in den auch nur ganz allmälig sich vertiefenden noch weithin seichten Meerbusen. Als wir sie
erreichten, war eben die Sonne hinter die Berge gesunken. Matt bläulich leuchteten die östlichen Uferberge
über dem sich grün färbenden Meere herüber, am längsten, als schon alles andere in Schatten lag,
der kahle Abhang des Agios Ilias; tiefblau dagegen schienen im Norden die Gelia, der alte Lepetymnos.
Es war Nacht, als wir beim schwachen Scheine des ersten Mondviertels Kalloni erreichten, dessen Magasiä
und Kaffeeschenken ein etwas grösseres Dorf anzeigten. In der Schule fanden wir Quartier. Von Agra
bis Kalloni waren wir etwa fünf Stunden unterwegs.
Kalloni ist der Gesammtname für die Dörfer Argenna, Daphiä, Osumeria, Angismos oder Tsumachli,
Kerämia, Papianä und Akeröna, doch wird vorzugsweise das Hauptdorf Argenna auch schlechthin Kalloni
1) B o u t a n a. a. 0 . S. 320 f. erwähnt auf dem Wege von Misotopo (nicht Mezzotopo) nach Erissos Ruinen einer Befestigung,
die er auch als Grenzposten der Eresier ansieht.
2) Nicht weit von Agra in einer zwischen den kahlen Bergen gelegenen grünen Ebene fand B o u t a n (a. a. 0 . S. 319 f.)
Ruinen — „dans un immense champ entouré d’un mur grossier, des ruines considérables. Sur le flanc d’une colline connue sous le
nom de „Koudicha“, se trouvent les restes d’un temple dont on voit les fondements nettement accusés, 8 mètres de chaque coté.
Angebaut aus altem Material eine christliche Kirche. Devant le temple, du coté de l’ouest, l’oeil saisit facilement les traces d’un
large escalier qui descendait vers la vallée. Onze degrés existent encore en partie. Beiderseits von der Treppe liegen viele alte
Steine, nicht weniger als dreihundert.“ B o u t a n nimmt da eine Stadt an und nennt sie Agamede.
3) Theophrast. hist, plant. HT, 9, 5 spricht von einem Waldbrande: év A£oßtu ¿p.7tp?]aôévxoç x o ü üuppaitov opooç t o u tuxu<î>8o u ç .
4) Ich führe hier eine Beobachtung B o u t a n s (a. a. 0 . S. 318 f.) über einen Platz, den ich nicht besucht habe, an: „A deux
heures de Parachyla sur le bord de la mer, dans un lieu qui n’est encore, connu que sous le nom de Mecxapa, en face des petits
îlots qui ferment presque l’entrée du port de Kalloni, se trouve un mur que mon guide grec prétend être génois, mais qui n ’est
autre chose qu’une superbe construction pélasgique, encore intacte sur un assez grand espace. Ce mur n’a pas moins de six mètres
de haut sur cinquante de long; il sert à soutenir une plateforme.“ So weit die Beobachtung. Wenn die Euine dann zu der der
„antique ville de Macara“ gemacht wird, so hätte, ehe man über den Platz einer solchen Stadt sprach, wohl ihre Existenz nachgewiesen
werden können. Uebrigens is t von diesen Ruinen bei Mäkara auch bei A n a g n o s t i s die Rede (a. a. 0 . S. 143), der sie
aber auf das gegenüberliegende Ufer setz t: Maxapa, pipoç xaxepentojpivov. Keïvxac 8è x à è p e im a xaüxa 86o 7tep(itou uSpaç ¡xaxpàv t o u
IIoXi^véxou, tii TTjv SsÉjiàv irapaXiav ;®fy ziuô8oo xai oô p-axpàv xoû axopiou xoû xéXitou vqi KaXXovqç, xaxà xf\v Oéaiv xxjv xaXoupivrjv
o7)p.spov Ajio&Tjxat 7) Maxapa“. Es habe einst einen Bischof MaxapioiméXecoç gegeben und eine Mühle in jen er Gegend hiesse:
„p.üXot xoû Maxap“. — Ueber den mythischen Makareus s. P l e h n a. a. 0 . S. 31 ff.
genannt. Hier residirt der Erzbischof von Methymna, wie der Titel noch lautet. Daphia liegt von allen
diesen Dörfern am weitesten landeinwärts, die übrigen liegen in der eigentlichen Ebene, welche sich am
nordöstlichen Rande des Meerbusens als die grösseste ebene Fläche überhaupt auf Lesbos ausdehnt. Mit
flachem sandigem Strande tritt sie an den Meerbusen, unter dessen seichtem Wasser sich der Boden erst
ganz allmälig mehr in die Tiefe zieht. Unzweifelhaft hat hier nach und nach ein Wachsen des Landes
und ein Zurückziehen des Meeres stattgefunden; im Nordosten der Bucht bildet das Meer noch einen vom
Sandboden schon fast eingeschlossenen salzigen Sumpf, eine sogenannte Aliki. Die Ebene der Dörfer von
Kalloni ist sehr fruchtbar, mit Gärten und Getreidefeldern besetzt und die umliegenden Höhen sind alle
mehr oder weniger mit Baumwuchs bedeckt, dock steht die Gegend im Rufe besonders schwerer Luft. Es
ist die Fiebergegend von Lesbos. Das halb stagnirende Wasser des Meerbusens mag dazu wesentlich
beitragen ||J
Der Boden, der heute trotz dieses Klimas so zahlreich bewohnt ist, wird auch im Alterthume sein
Leben gehabt haben. Wir würden aus unserer Ueberlieferung Nichts davon wissen; aber zwei befestigte
Plätze mit Ruinen hellenischer Zeit liegen der eine im Norden, der andere im Osten der Ebene von Kalloni.
Ich habe sie beide von Argenna aus besucht; ausserdem ritt ich auch nach dem Dorfe Daphia hinauf, wo
eine Inschrift sich befinden sollte. Sie steht sehr wohlerhalten (Taf. XVI, 2) 2) auf einem grauen Marmor
(0,80 M. breit, 0,75 hoch), der in: der Treppe der Moschee im Dorfe eingesetzt is t :
0ea peYGcX'fl ’AprsptBi flepfucp 3) xfjv xuva
KXaoSio? Aooxtavb? ’AXaßavbeb? dvsibjxev.
Das Bild einer Hündin wird also als Weihgeschenk auf dem Steine, dessen Oberfläche ich nicht sehen
konnte, gestanden haben. Man sagte mir, der Stein sei von dem Paläokastro Pyrrha an der Ostseite des
Meerbusens von Kalloni, welches wir noch näher kennen lernen, nach Daphia gebracht; indessen klang
mir diese Angabe nicht sehr zuverlässig.
Ich wende mich jetzt zu der Beschreibung der erwähnten zwei Plätze mit althellenischen Ruinen.
Der eine derselben wird von den Umwohnern einfach als das Paläokastro von Kalloni (x-ijc KaXXmvr^ xo
TraXaibxaoxpo) bezeichnet. Es liegt dasselbe an dem Wege von Kalloni nach dem Dorfe Paraskewi, welcher
unmittelbar ehe er ein kleines Flüsschen (2xvia? xb 7roxafx6, so nannten es meine Leute) überschreitet,
die Ruinen auf einer Anhöhe rechter Hand lässt. Jenes Flüsschen macht von Norden kommend um den
Fuss der Ruinenhöhe eine Biegung nach Westen, um dann wieder in südlicher Richtung dem Meerbusen
zu in die Ebene zu fliessen. Ich habe die Hauptpunkte auf meiner Planskizze auf Taf. IH. angegeben.
Von ihrem höchsten Gipfel fällt die Anhöhe nach Westen zu unmittelbar steil ab, nach den übrigen Seiten
hin lagert sich ihr Abhang sanfter als eine allmäliger absteigende Lehne, die erst da, wo sie an das Flüsschen
herantritt, mit einem schroffen meist felsigen Abfalle endigt. Der höchste Gipfel trägt die ziemlich
ausgedehnte und in die Augen fallende Ruine einer mittelalterlichen Festung ohne altgriechische Reste
irgend welcher Art. Dagegen laufen zwei Mauerschenkel aus altgriechischer Zeit jetzt allerdings in unterbrochenen
Stücken in der Richtung vom Nord- und vom Südende des Gipfels nach unten zu sich weiter
von einander entfernend bis an den felsigen Abhang über dem Flüsschen hinunter. Längs dieses letzteren
Abhanges ist keine Mauerspur zu sehen. Von den beiden Mauerschenkeln ist der nördliche ein sehr
gewaltiges Werk. Stellenweise noch bis zu einer Höhe von 2,50 Meter erhalten hat die Mauer hier eine
Dicke von 2,80 Meter und ist mit einer geringen Biegung auf eine Strecke von etwa hundert Schritten
noch zu verfolgen. Ihre Seiten nach aussen und innen bestehen aus je einer Schichtung grösser unbehauener
Blöcke, die ohne Bindemittel auf einander gelagert sind, während die dabei gebliebenen Lücken
0 Die Seichtigkeit des Wassers mag auch der Grund der von Aristoteles erwähnten Erscheinung des Fortziehens der Fische
im W in ter sein s. P l e h n a. a. 0 . p. 19.
2) auch mitgetheilt bei B o u t a n .a . a. 0 . S. 314.
3) Nicht ’Apx£|At8t ttj £up,ßo6X(u x. x. X. wie A n a g n o s t i s a. a. 0 . S. 162, Anm. * angiebt.