
tiefere Hafen ist ganz verlassen und von seinem Strande hat sich das städtische Leben zurückgezogen;
auch der südliche ist für grosse Schiffe schon fast unbrauchbar, wie denn die Dampfer mimer nur vor
ihm in offener See beilegen und vergebens hat sich bis jetzt namentlich die griechische Kaufmannschaft
der Stadt bemüht, auch nur geringe Hülfe der türkischen Regierung gegen den immer zunehmenden Verderb
zu erlangen. Und wie hier also, weil die Menschenhand zu grösseren Dingen erlahmte, die.hervorstechenden
Züge der alten Mytilene unkenntlich geworden sind, so hat andrerseits d i e s e l b e Hand die denn
doch immerfort und immer aufs Neue bemüht gewesen ist, den Wohnplatz auch nach “ “ eher Zerstörung
für die Bedürfnisse des Augenblicks neu zuzurichten und umzugestalten, alles uhnge Menschenwerk der
alten Stadt vernichtet. Das Theater, einst das Vorbild sogar für einen Prachtbau m Rom selbst, ist nur
noch eine Höhlung im Bergabhange; unten an diesem Hegt das Konak des Pascha, das noch neuerlich
aus den Steinen des Theaters aufgebaut ist. Auch sonst, so viel ich weiss, steht kein Trümmer eines
Gebäudes aus griechischer oder römischer Zeit noch über dem Erdboden in der Stadt aufrecht. Nur weiter
ab in einsamen Bergthälem der Insel, welche wir später im Verfolge der Reise ^berühren, sind noch
als Zeugen von der gefallenen Grösse Theile der Leitung übrig, welche m römischer Zeit weither den
volkreichen Platz mit Wasser versorgte.
Was also die Beschreibung von dem alten Mytilene noch aufzuweisen vermag, sind einmal die I aup -
formen der Akropolis und der Häfen nebst anschliessendem ebenemStadtraume; daran reihen sich die geringen
an ihrem Platze verbHebenen Spuren grösserer Bauanlagen und einzelne kleine Stücke, die anscheinend
ihre Stelle nicht gewechselt haben, und endlich lässt sich eine Sammlung doch ziemlich zahlreicher,
häufiger durch Inschriften als durch andere Kunstform merkwürdiger Trümmer, die nachweislich auf dem
alten Stadtboden gefunden sind oder doch ohne bekannten Fundort dort aufbewahrt werden, zusammenstellen.
Wir sahen dass ein flacher Strand, in den von Norden und Süden die beiden Hafenbuchten emgreifen,
heutzutage als der eigentUch bewohnte Stadttheil die nach Osten ins Meer vorspringende Felshalbinsel
mit der übrigen gleich wieder bergig ansteigenden Küste verbindet. Diese Halbinsel war gewiss ursprung-
üeh eine völlige Insel und wurde erst mit der Zeit durch Anschwemmung des flachen Isthmos mit dem
Küstenlande verbunden, so dass sogar der alte die Häfen verbindende Euripos nur die künstliche Auffrischung
der zum Theil noch vorhandenen natürlichen Trennung gewesen sein konnte. Noch die Abbildungen
der Reisenden aus dem vorigen Jahrhunderte") zeigen den Isthmos bedeutend .schmaler als er
heute ist und sein beständiges Wachsen in die Breite zeigt sich recht deutlich m der merklich steigenden
Versandung der Häfen2), von denen der heute so gut wie ganz verlassene nördliche in dem Berichte.und
in der Abbildung bei C h oiseul-Gouffier (Taf. 32). noch mit Schiffen belebt erscheint 9 Die auf diese
Weise dem Festlande der Insel immer mehr vereinte Halbinsel fällt nach dem Meere zu überall mit steilem
felsigem Rande ab und erhebt sich in allmäligem Ansteigen am höchsten im Norden, wo der längliche
von Nordwest nach Südost gestreckte Gipfel gegenwärtig die türkische Festung trägt, vordem die . Burg
der HerrscherfamiHe der Gatelusi*), die byzantinische Feste und gewiss einst die Akropolis, der alten
1) T o u r n e f o r t voyage du Levant (Amsterdam 1718) I, 8. 149. P o c o c k e a. a. 0 . HI, S. 22 giebt die Breite D H
sogar nur auf einen Furlong (>,8 englische Meile) an. Dieser jedenfalls übertriebenen Darstellung sehliesst sieh d.e, bei P l e h n
wiederholte entschieden unrichtige Karte C h o i s e u ls an.
2) Die punktirte Linie im Wasser auf unsenn Plane gieht die nach dem Ufer au noch abnehmende Tiefe von einem engl.
Faden an. Als grösste Tiefe im Nordhafen ziemlich an seiner Mündung verzeichnet die engl. Seekarte 6 Faden, im Sttdhafen nur 3.
3) Wenn einmal ein grosses Schiff wirklich einlaufen will, so ist das nnr im Nordhafen möglich, s. S e s t i n i viaggi e Opuscoli
diversi (Berlino 1837) Sw 97.
4) Heise auf den Ins. des thrak. Meeres S. 37. S ta tt an einen Grimhalt ist dort vielmehr an einen Grimaldi zu denken, wie
mir glaube ich He rr Professor H o p f bemerkte und die fünf C, welche Anstoss gaben, sind in der That nur vier in der mittelalterlichen
hinten geschlossenen Form CC, woran Herr Münzconservator Dr. F r i e d l ä n d .e r mich erinnert. Zur Geschichte der
Gatelusi wird H o p f Neues bringen, s. Monatsberichte der k. Ak. der Wiss. zu Berlin 1862, S. 86.
Mvtilene Eine Beschreibung des türkischen Festungswerkes hier oben liegt nicht m meiner Absicht; es
ü auch wenig Erhebliches dabei aufzuweisen sein. Die Türken haben auch hier nur die mit dem
Schwerte gewonnene Erbschaft angetreten und halten sie nothdürftig zusammen. Die Hauptmauern,
Kastells sind, so viel ich sehen konnte, ohne Stücke aus alter Zeit byzantinisch und noch an vielen Stellen
mit dem Wappensteine der Gatelusischen Fürstenfamilie gezeichnet, so wie derselbe auch auf Limnos,
Samothraki Und. Thasoe') von ihrer Besitzergreifung zeugt. Schon in der Aussenmauer sah ich em
Fragment des Wappens, über dem Hauptthore prangt es am vollständigsten Von den vier Feldern des
länglichen Steines trägt das zur Linken vom Beschauer den gekrönten einkopfigen Adler von Byzanz, da
nächste das Monogramm der Paläologen 2), das folgende das eigentliche Familienwappen die übereinander
“e i l t e n Halbkreise und in dem letzten-steht die Inschrift: + M. CCC. LXXltl. die prima Apnlis magm-
ficus et potens dominus dominus [Francisjcus 3) Gatel[us]ius dominus msule Metelim et cetera fecit Ben
hoc edificium. Ein anderer Stein am Glockeuthurme ist in drei Felder neben einander getheilt; m dem
zur Linken vom Beschauer steht der einköpfige Adler, in dem mittleren die vier emem B ähnlichen Zeichen
4), die sonst im oberen Theile des Familienschildes über jenen Halbkreisen, auf Münzen aber ebenfalls
allein Vorkommen. Sie sind hier so gestellt:
g 1 b
a I b
Darf letzte Feld rechter Hand ist mit den Halbkreisen ■gefüllt. Wieder auf einem ändern Steine stehen
nur zwei Felder neben einander, das eine mit dem Adler, das andere mit den Halbkreisen geziert auf
noch einem anderen erscheint der Adler allein. EndHch halten einmal zwei Löwen den unten zugespitzten
Schild, in dem oben die vier B liegend angebracht sind und der in seiner grosseren unteren Hälfte m zwei
nebeneinander stehende Felder getheilt ist, links vom Beschauer die Halbkreise, rechts der einkopfige gekrönte
Adler hier nach links vom Beschauer sehend. Auch ein Sarkophagdeckel mit Inschrift, an deren Schlüsse ic
nur ein „fecit hedificari“ zu erkennen glaubte, muss in diese Zeit gehören. Ich konnte keinen Eintritt
in den verschlissenen Seitenraum der Moschee erlangen, in dem der Sarkophag aufgestellt ist Ich höre
dass Newton drinnen- gewesen ist,- von dem wir also wohl Näheres erfahren werden. Der Sarkophag wird
derselbe sein, von d e m a l s Sarkophag der Sappho hie und da 5) gefabelt ist. m m . . . . . . .
Einige wenige vielleicht aber aus der Unterstadt heraufgeschleppte Ueberreste der griechisch-römischen
Zeit fand ich hier und da in den Befestigungen verbaut. So ist aussen an dem Glockenthurme un er
dem Wappen der-Gatelusi auf vier Steinen jedesmal ein gewaffneter den Schild vorhaltender Gladiato
noch zu erkennen, auch mitSpuren von Inschrift, die mir jedoch der Höhe wegen m der die Steine ange-
' bracht sind,‘unleserlich blieb. Zwei andere Steine an derselben Stelle zeigen die Reheftilder von bestiarn
im Kampfe mit Löwen. Gleichen’Bildern römischer - Sitte werden wir noch einmal m der Nahe der Stadt
begegnen. Auf einem ich glaube- auch am gleichen Orte mit den vorigen befindbehen S eine mit griechischer
Inschrift aus römischer Zeit konnte ich Nichts als zwei Mal das Wort woXix«: lesen, dagegen
ergab eine an anderer Stelle im Kastell vermauerte Inschrift noch fast vollständig erhalten (Taf. V, n. ä) da
Folgende: 0eco öibirap Ti. A lW Appmvbs ’AX[e]?av8pos ßooXsu[ri]<] Amlat xoXwve(a;Zep|j.ne['Ys]&ouaTji j g g ä avefirixev ).
*) Reise u. s. w. Taf. III.
/ ‘^Dasselbe.Monogramm auf Münzen s. F r i e d U n d e r in Berliner Blätter für Münz-, Siegel- und Wappenkunde I, 1863,
-S. 154, Taf. VI, i l .
3) So liest B o u t a n in Archives des missions scientifiques et littéraires V, S. 277. Die Jahrszahl gieht er als 1363. Franz
Gatelusi regierte 1355— 1401, wie Herr Professor H o p f mir angiebt.
,4) cf. M o r d tm a n n , Belagerung von Konstantinopel, S. 132.
5) z. B.- bei P o c o ck e und sonst.. -, r
: 6) B o u t a n (a. a. 0 . S. 276) sab an einem der türkischen Häuser im Kastei die Inschrift: I Io p it[# P eWr ii f 1'