
Neben der Akropolis, die übrigens in der überlieferten Geschichte von Mytilene keine Eolie spielt,
ist der zweite noch nachweisbare Grundzug in der Physiognomie der alten Stadt die Hafenbildung. Diese
war zusammen mit der AkropoliB die wesentliche Grundlage des städtischen Lebens an dieser Stelle. Eine
so günstige Küstengestalt findet sich auf der ganzen Insel weiter nicht und gewinnt hier gesteigerte Bedeutung
durch die Lage des Platzes gegenüber dem asiatischen Festlande, wohin doch die nächsten Verkehrsbeziehungen
der Insel gehen mussten. Deshalb entstand also grade hier die Hauptstadt, deren
Macht ganz besonders auch auf den Besitzungen am asiatischen Festlande- beruhte «Beide Hafenbuchten
bedurften zur rollen Sicherung eingelaufener Schiffe noch der Nachhülfe der Menschenhand, namentlich
die nördliche, die von Natur wenig tief ins Land geht und mit weiter Oeffnung grade dem heftigen Nordwinde
ganz preisgegeben war. So wurde hier der Bau eines gewaltigen Steindammes nöthig, der auch m
seinen Trümmern noch grossartig unter dem Abhange des Akropolis ansetzend in nordwestlicher Richtung
in das Meer vorspringt2); ihm entsprechend trat ein weit kürzerer Steindamm, auch dieser heute noch
kenntlich, von der gegenüberliegenden Seite der Bucht vor. Doch ist die Einfahrt des Nordhafens offenbar
nie eine so enge gewesen wie die des südlichen, der auch schon von Natur geschlossener erscheint
und zwischen seinen zwei künstlichen Molen, deren alter Ursprung nicht zu begreifen ist, nur eine schmale
durch Ketten verscbliessbare Einfahrt behielt. Die Endpunkte der beiden jetzt fast ganz unter dem Wasserspiegel
liegenden Steindämme des Südhafens, von denen der an der Westküste ansetzende der längste
ist, sind heute auf allerdings erneuten Fundamenten durch zwei Leuchtfeuer bezeichnet3). Strabo 4) sagt,
auch den heutigen Augenschein bestätigend, dass der Südhafen der geschlossene war, bei dem nördlichen
hebt er ebenso zutreffend die Grösse und Tiefe und den schützenden Damm hervor, der grade hier wie
gesagt am mächtigsten ist. Ueber den heutigen Zustand der Häfen, die grade durch die alten Dämme
beförderte Versandung derselben habe ich schon gesprochen, auch, erwähnt, dass im Alterthume als weitere
Erleichterung für den Seeverkehr ein heute nicht mehr kenntlicher, jedenfalls vorwiegend künstlicher
Kanal von einem Hafen zum ändern lief. Megalopolis, sagt Pausanias (VHI, 30, 2) wird durch den Fluss
Helisson durchschnitten, xa&à Si] xal KviBov xal Misjäjqüjj Biya oi sSpixoi vepousiv. ^ Es bildete dieser Kanal
also nicht etwa eine Befestigung der Stadt nach der Landseite hin, sondern eine wie der heutige Bazar durch
die Stadt selbst schneidende Wasserverkehrsstrasse. Auf diese Weise ist es zu verstehen, wenn bei Strabo3)«
von einer Insel die Rede ist, auf der ein Theil der Stadt'liege. Der ältere Kern. derselben lag natürlich
auf der sogenannten Insel, wie Diodor «) auch ausdrücklich sagt. Auch die Beschreibung des Longos
(Daphnis et Chloe 1 ,1) ist mit dem Gesagten im Einklang: IIóXic ioti i% Aeopoü MorAfjVY], ¡le-faXi) xal xaXf)-
BietXiprcai fàp s&piitoit òiteiopeoóai]« -ri); Baldrrqi, xal xsxóop.T,T:at yetpópai? C«ro>5 xal Xeoxoo Xifloo, Nop.iosia;[av]
oò mSXiv ópàv ÄXXa vrjaov 7). ' • _ .
Die besprochenen topographischen Verhältnisse sind wichtig zum Verständnisse zweier Vorgänge im
peloponnesischen Kriege, der Belagerung der Stadt durch die Athener und des. Gefechtes des Kallikratides
1) H e r b s t , der Abfall Mytilenes von Atben.(Köln 1861) S. 21 ff.
2) Nach B o u t a n (a. a. O. S. 280) sind von Strecke au Strecke 1,50 M. breite Oeffnnngen in diesem grossen Molo, gelassen,
um einen Theil der Wogen durobanlassen und so den Andrang derselben leichter zu brechen.
3) Durchaus ungenau ist B o u t a n s Ausdruck a. a. 0 . S. 279: il ne reste dans le port du midi, gue Ies deux bases des
phares actuels.
4) S. 617. % ei ö’ ■*) MmXr|VT] Xipiva? 860, iov 6 voxtos xXsioxös xpwjptxös vaucl 7tevx-/]xovxa, 6 0e ßöpstos xal ßaöus,
axeirac6p.evo?. So lie st P l e h n Lesbiacorum liber p. 13 und versteht die Stelle offenbar vollkommen richtig. Der Sftdhafen war
der Kriegshafen.
5) nachdem er, wie eben angeführt, von den zwei Häfen gesprochen hat: 7tp6xeru<xi S’dpzpotv vrjoiov pipos lijc xiXsoic ix ov
a&x6{h <juvoixo6p.svov. '
6) XHI, 79. -f], plv Tip dpxulu niXtt ptxpd vfjoi« iottv, 4| 8t Svuepov xpooomc&eTiKi 1% dvTmipav äor.l Aicßou- mit |ifoo»
S’aötojv ealttv Eoptrcos oxevos xal hokdv rijv ic6Xtv ¿^opdv.
7) Vergl. M e in e k e im Philologus XIV, S. 6.
und Konon am Hafen von Mytilene. Ich hebe aus dem Berichte des Thukydides (III, 3 — 6.) über die
Belagerung das Wichtige heraus. Die athenische Flotte und Streitmacht, der es nicht gelungen ist, die
Mytilenäer beim Feste des. Apollon Maloeis ausserhalb der Stadt zu überraschen, da das Fest nach recht
zeitig eingetroffener Warnung unterblieb, sehen sieh zur Gewalt genöthigt, gestatten aber erst noch einen
Waffenstillstand, nin eine Sendung nach Athen abzuwarten; sie liegen während dessen im Norden der
Stadt und zwar iv rjj MaXe*. Das Schiff, welches die Mytilenäer ungesehen von den Athenern nach Sparta
absandten, wird also aus dem Südbafen ausgefahren sein. Als die Gesandtschaft in Athen Nichts ausgerichtet
hat, .fehm en die Feindseligkeiten, die Athener, jetzt sehr verstärkt, legen sich nun auch auf die
Südseite deststadt und befestigen jetzt zwei Lager, ausser dem an ihrem bisherigen Lagerplatze im Norden
der StadlÄÜich ein zweites im Süden derselben, so dass sie nun durch Bedrohung beider Häfen die
Mytilinäer gegen das Meer ganz abschtiessen. Die Verbindung mit dem Lande bleibt aber den Belagerten
noch offen, nur. die nächste.« Umgebung ihrer beiden Lager beherrschen die Athener. Von diesen
beiden Lagern ist immer noch das zuerst von ihnen, bezogene im Norden der Stadt, nämlich f] MaXea, ihre
Hauptstation. Später erst, nachdem die Mytilenäer zwischen dep beiden Lagern der Athener hindurch den
Zug in 'd ie Insel gegen Methymna und die übrigen; Städte "gemacht haben, kommen athenische Verstärkungen
Und sehiiessen auch den Raum zu Lande zwischen den beiden Lagern durch eine Belagerungslinie
ab, , so . dass nun erst die Stadt zu Lande und zu Wasser völlig .eingeschlossen ist. Hier ist die volle
Klarheit, die den Thukydides in seinen topographischen Darstellungen auszeichnet, Anstoss hat nur der
Namen f^MaXsa gegeben. So Mess das bedeutend südlich von Mytilene gelegene Südostvorgebirge von
Lesbos, Welches mit. dieser Belagerungsgeschichte Nichts .zu thun hat. Nun wird ja aber der Nordhafen
von Mytilene bei Aristoteles de ventis *) ebenfalls o MaXBeis genannt. Der Kaikias, der Nordostwind, beisst
es da, von Tbebe am Ide, also aus dem Meerbusen von Adramyttion herwebend, beunruhigt den Hafen
Maloeis. Das kann nur der.nördliche se in 2), der sich grade nach der bezeichneten Weltgegend und zwar,
wie gesagt, mit einer auch trotz der Dämme noch immer weiten Mündung öffnet. Dass nun überhaupt ein von
einem Beinamen der Hauptgottbeit, Mer des Apollon, hergenommener Ortsnamen sich in einer Gegend
wiederholteivkann nicht auffallen. Ob dasjenige Heiligthum des Apollon Maloeis bei dessen Festfeier die
Athener^ie Mytilenäer zu überfallen dachten, hier nördlich vor der Stadt lag, wie sich mit einiger Wahrscheinlichkeit
vermutheii lässt, oder wo es .sonst lag, dafür fehlen .uns bestimmte Beweise. Genug, wir
sehen ktihen Grund, Thukydides eines Irrthums in dem Namen Malea zu beschuldigen 3). Es kann einen
so benannten Platz an der Küste gleich nördlich von der Stadt gegeben haben, nahe am Nordhafen, der
auch davpn Mess: Es ist sogar nicht unmöglich, dass die Athener in dem Nordhafen selbst, wenn auch
nur in seinem nördlichsten Theile hinter dem kleinen Molo lagen. Ein eigentlich geschlossener Hafen war
er ja nicht; die Mytilenäer, die dicht vor dem Hafen gleich heim Anrücken der athenischen Flotte zurückgeschlagen
wurden 4), konnten schwerlich die weite Einfahrt sperren 3). Lagen die Athener aber wirklich
Mnter dem Hafendamm, so erklärt lieh, weshalb hier, wo sie also Schutz für die Schiffe hatten, ihre bleibende
Hauptstation war. Dass aber, was für diese Möglichkeit ein wesentlicher Punkt ist, der Nordhafen
1) ¿voyXeT St töv MimXi)vn£uiv Xi|ieva, (laXiora 8e tov MaX8svxa. Klar is t die Stelle allerdings erst, wenn man tous Mut.
Xipivas liest, von einem Hafen muss doch aber jedenfalls die Rede sein, der grade vom Winde leidet, nicht ein beliebiger Platz
an der Küste kann gemeint sein, wie W e s t, in Paulys Realencyklopädie (u. Mytilene) will. Unrichtig sind da auch die beiden
Häfen beschrieben.
2) dennoch behauptet B o u t a n (a. a. 0 . S. 279. 284) das Gegentheil, wie auch P l e h n (a. a. 0 . S. 17) vor Nachweisnng des
Apollo-Tempels den gemeinten Hafen nicht bestimmen zu können glaubte.
3) P l e h n a. a. 0 . p. 18. Z a n d e r s (a. a. O. S. 13 ff.) Auslegung is t zu künstlich.
4) ditapdoxeuoi f |i oi MoxtXrjvaiot xal ¿S|a(cpvY|s dvaYxaaüsvxes noXep.eiv, IxttXoov [lev Tiva ¿Ttof/joavxo xtov ve<2v tos ¿7« vaup.a)£{qc
öXiYOV Ttp.o tqu Xipivoc, eTtstxa xaxa8tu))(9ivxss 6x8 xtnv ’Axxtxtuv vetüv Xoyous rjoi) itpoa&pEpov xots arpaiTjYois —
5) Bei Thuk. könnte man n ur die Worte darauf beziehen: xd te aXXa xtuv xEi^av xal Xtpivtov Txepl xd -fjjMTlXEOxa cppa£d|xsvo
¿cpiXaaaov.