
setzte ich nach dem sogenannten Palaiökastro oder Eski-Kaie über, welches im nördlichen Theile der
Bucht an einem kleinen ins Wasser vortretenden Hügel liegt. Auf den ersten Blick erkennt man hier nur
die verstreuten Trümmer einer jedenfalls nachchristlichen Ansiedlung, auf dem Hügel selbst sah ich keinen
Stein aus einer früheren Zeit. So glaubte ich anfangs, hier könne die alte Antissa nicht gelegen haben
und da nun die Landzunge, auf der das Kastell des heutigen Sigri steht, wenn sie auch klein ist, doch
so recht die Bildung eines griechischen Städteplatzes hat, so meinte ich, der alte Ort müsse auf der Stelle
des neuen gelegen haben. Am Nachmittage, nachdem wir Morgens mit dem Boote nach Sigri zurückgekehrt
waren, suchte ich jedoch das Palaiokastro auf dem Landwege noch einmal auf und fand nun, dass.
ich am Morgen bei weitem nicht die ganze Ausdehnung des Ruinenfeldes kennen gelernt hatte, indem ich
damals nur jenen kleinen Hügel bestieg. Dieser füllt nun nicht, wie es durch mein Versehen auch auf
unserm Plane (Taf. I a) nach der englischen Karte wiederholt ist, den grössesten Theil des Landvorsprun-
ges, auf dem er liegt, aus, sondern bildet, im Verhältnisse zu dem ganzen Raume des Vorsprunges nur
sehr klein, dessen äusserste Südwestecke. Hinter ihm auf der Strecke nach der nördlichst sich hineinziehenden
hier sehr seichten Bucht zu sind nun die alten Trümmer weit zahlreicher, als auf ihm selbst. Auch
hier ist kein irgendwie zusammenhängender Theil eines Baus noch vorhanden. Der Boden wird jetzt
bebaut und dabei sind die hinderlichen Steintrümmer nach und nach zu kleinen Mauern auf den Feldergrenzen
aufgehäuft. Inschriften habe ich nicht gefunden, aber verschiedene Baustücke, Quadern, ein korinthisches
Kapital und eine attische Säulenbasis von weissem Marmor, auch von solchem Marmor zwei
unkannelirte Säulen aus sehr später Zeit, ein Stück Fussgliederung von grünem Marmor und Geringeres.
Ausserdem werden auf den Feldern hier Münzen gefunden; die mir gezeigten waren byzantinische; Nachdem
ich also so die Palaiopolis in ihrer ganzen Ausdehnung kennen gelernt hatte, musste ich meine Ansicht
über die Lage von Antissa ändern. Es kam dabei noch in Betracht, dass auf der Stelle des heutigen
Sigri nach Aussage der Einwohner nie alte Ueberreste gefunden seien und dass der um das Kastell
freiliegende Felsboden durchaus keine Spur alter Bearbeitung oder Benutzung zeigt. . Die Palaiopolis war
Antissa *); ihre Ruinenstücke aus später Zeit wie sie sind, beweisen, dass die von den Römern im Jahre
167 v. Chr. für die Beherbergung der Schiffe des Königs Perseus über die Stadt verhängte Zerstörung
und Ueberführung der Einwohner nach Methymna ihrer Existenz nicht völlig ein Ende gemacht hat. Von
Natur fest war Antissa nicht, der Stadtboden liegt ziemlich in einer Fläche, nur auf der Südwestecke mit
dem kleinen Hügel; der alte Hafen kann nördlich von der Stadt gelegen haben. Dass die Stadt anfangs auf
einer Insel gelegen hätte und erst nach nnd nach durch Anschwemmung mit der Küste vereinigt worden
wäre, wie Strabo, Plinius und Ovid 2) angeben, erschien mir der Bodengestaltung nach nicht sehr wahrscheinlich,
ebensowenig aber beim heutigen Sigri. Ich muss es dahingestellt sein lassen, wie es sich mit
dieser Nachricht verhält. Sie wird doch nicht etwa aus Namendeutung entstanden sein? eine Stadt Issa
oder Issa als Namen der ganzen Insel, der dann Ant-issa sollte gegenüber gelegen und so den Namen
erhalten haben, ist grade auch sehr schlecht beglaubigt.
Noch gegen Abend verliessen wir Sigri und nach einem Ritte von drei Stunden grossentheils durch
ganz kahle Bergstrecken hin war es nahe vor Sonnenuntergang, als wir das grüne Thal von Erissos überblickten,
mit einer Menge felsiger sehr mannigfach gestalteter Höhen umher, die im Lichte der Abendsonne
lange Schatten warfen. Die Häuser des Dorfes stehen sehr freundlich zwischen Bäumen; in einem
der bestaus sehen den, welches Papa N ik o la o s, so hiess der Eigenthümer, zur Mitgift für seine Tochter neu
1) B o u t a n a. a. 0 . S. 323 h ält das wenigstens für möglich. E r spricht gegen die älteren Versuche, Antissa bei P e tra oder
bei dem Vriokasto bei Kalochori (Pococke) anzusetzen, wogegen noch andere Gegengründe vorzubringen wären.
2) p i e h n a. a. O. S. 20 f. Was B o u t a u a. a. 0 . S. 324 von einem Zusammenhänge von Antissa mit der Insel Nesope vor
der Bucht sagt, is t mir unverständlich.
gebaut hatte, quartierte mein Diener uns halb m i t Widerstreben der Bewohner ein. Wir bemerkten später,
dass sie doch die Tochter erst in ein anderes Haus gegeben hatten, als sie uns wirklich aufnahmen. bonst
wurden wir ganz gute Freunde, namentlich auch Papa N ik o la o s und meine Branntweinflasche, der meist
seine erste Aufmerksamkeit galt, wenn er zu mir ins Zimmer kam. N ik o la o s m u s s t e ein wohlhabender
Mann sein; denn es gehörte hier zu einer ordentlichen Aussteuer eines Mädchens zwei Hauser, eins im
Orte und eins unten, wo die Gärten sind; er hatte aber schon fünf Töchter so ausgestattet. Dazu war
das Haus in dem wir waren, nach Landesart sehr gut. Ich schlug meine Wohnung im ersten Stocke auf;
von da konnte ich unten in der Strändebene die Anhöhe sehen, auf der schon Pococke richtig die Ruinen
der alten Eresos erkannte; über das Meer hin erschien darüber Chios mit seinem spitzen Berggipfel. Ich
wurde- durch reiche Ausbeute in Erissos mehre Tage festgehalten und konnte mich während dieser Zeit
ganz, besonders der Bekanntschaft des griechischen Schullehrers D im it r io s Ch. T z a n n d to s erfreuen.
Er hat mich bewirthet, meinen Führer mehrfach gemacht und'in allerlei Schwierigkeiten, die sich grade
hier boten, mir treulich beigestanden. | I
Gleich am ersten Morgen früh ging mein Weg vom Dorfe hinunter m die fruchtbare Ebene, wo die
besten Ländereien der Einwohner von Erissos liegen, um vor Allem den Platz der alten Stadt naher kennen
zu lernen (s. die Karte auf Taf. II). Gleich unterhalb des Dorfes beginnen Gärten voll Feigen, Wein
und dergleichen, nach abwärts weitet sich das Thal und auf hügligem Terrain dehnen sich Kornfelder aus.
Das Jahr waren sie aber völlig von der Heuschrecke abgefressen. Man hatte die gegen diese Plage beson-
. ders wirksam gehaltene Reliquie, die xdpoc, wie' Sie schlechthin heisst, den Kopf des heiligen Michael Syn-
nädon vom Athos kommen lassen, doch dieses Mal ohne Erfolg. So war wohl damals grade m Enssos
das Brod ganz besonders schlecht, wie ich es kaum irgendwo auf der Reise wieder gefunden habe, da,
wo vor Alters, wie Archestratos1) sagt, Hermes für die Götter das Gerstenmehl holte weisser als Schnee.
Eresos führt auch eine Aehre auf den Münzen. Quer vor dieser Fruchtgegend legen sich nach Süden hin
felsige Höhen, von NNW nach SSO verlaufend, deren höchste abgesondert nahe am Meere gelegene die
Ueberreste der alten Akropolis von Eresos und einer auf ihren Grundlagen erbauten spatem Festung tragt.
Sie heisst das Palaiokastro. Von ihrem Gipfel überblickt man das Meer einerseits und andrerseits das
Thal mit den vielgestaltig zerrissenen Bergen, die es umschliessen. Hinter diesen Hohen gen Sudwesten
wird der Boden flach, die Kornfelder hören auf ihm bald auf und machen einem breiten Ufersande Platz,
in dem sich der vom Dorfe herunterkommende Bach verliert: Die ganze Strandgegend, in deren Mitte
ziemlich das Palaiokastro liegt, wird eingefasst im Nordwesten von einer vorspringenden Felshohe mit einer
kleinen Eliaskirche, im Südosten von den Bergen, welche am weitesten mit zwei Vorsprüngen AvsXixi und
Koitavo; in das Meer vortreten. Zwischen dem Palaiokastro und Aneliki bildet ein mit zwei Zungen scharf
herausspringender Felsgrat, der von zahlreichen kleinen Klippen umgeben ist, eine Theilung des Ufers m
zwei sandige Buchten. Eine eigentliche Hafenbüdung ist hier nicht; die Schiffe, welche bei der Lage der
Küste gegen den Nordwind hier guten Schutz finden, legen vor dem offenen Strande bei, wie es auch bei
Diodor SfKeisst, dass Thrasybulos mit seiner Flotte nur am Ufer' von Eresos vor Anker ging und hei em-
brechendem Sturme verliert er von seinen vierzig Schiffen dreiundzwanzig. Ein kleiner künstlicher Hafen
1) Bei Athenaeus III, p. 111 F.
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dXcptx’, Ixei&ev ¿u>v 'Epp/ijs aöxots ikfopafei.
Vers 3 nach Meineke. Vgl. R ib b c c k im Rhein. Mus. N. F. XI, S. 214.
2) X I V , 9 4 : ¿v xtp rca p d xdjv "E p e c o v a ty ia X tp xa^iupp.et.