
Ich will endlich wenigstens erwähnen, dass, wenn man an dem felsigen Südufer der Stadthalbinsel
von dem Hafendamme her bis ziemlich nahe unterhalb des kleinen Kastells 1) geht, an zwei Stellen Mosäik-
fussböden einfacher Art sichtbar sind. Es mochte hier ein besonders angenehmer Wohnplatz sein, wie
auch heute die südlichste Spitze der Halbinsel mit den verschiedenen Konsulatsgebäuden als ein bevorzugter
Stadttheil gilt.
Von jener grossen Wasserleitung, welche in römischer Zeit die Hauptstadt aus dem Innern der Insel
her versorgte, ist nahe bei der Stadt heute kein Stück erhalten; wir begegnen ihr erst auf der weiteren
Rundreise. Die auch auf meinem Plane angezeigten auf Bogenstellungen aufgemauerten Wasserleitungen,
welche von Südwesten her der Stadt zulaufen, sind mittelalterlichen oder jüngeren Ursprunges 2).
Ich habe jetzt noch die kleineren durch Schrift oder Kunstform bemerkenswerthen Stücke aufzuzählen,
die grossentheils in einen bestimmten topographischen Zusammenhang nicht mehr zu bringen sind.
Sie finden sich hie und da zerstreut, zum Theil in neueres Gemäuer verbaut und verwahrlost;-es ist aber
auch ein für den Orient bemerkenswerther Anfang zu einer Sammlung, antiker Ueberreste gemacht, die
in dem Erdgeschosse des griechischen Schulgebäudes aufgestellt sind. Der Anstoss hierzu ist allerdings
von Aussen gekommen. Es war der Engländer G ran v ille Murray, welcher zurZeit der Ausgrabungen in
Halikarnass New ton s Konsularposten in Mitilini versah, welcher die Sammlung angeregt, begonnen und
ich glaube ziemlich auf den Fuss gebracht hat, wie ich sie vorfand. In beliebtem Anschlüsse an altgriechische
Weise hat ihm zum Danke dafür der heutige ôctpoç der Mytilenäer im Lokale der Sammlung einen
Ehrenkranz mit seinem Namen an die Wand gesetzt. Zuerst verzeichne ich den Bestand dieses „Museums“
an Bildwerken. Als das merkwürdigste ist ein in nachgeahmt alterthümlicher Weise gearbeiteter unbärtiger
männlicher Kopf zu nennen. Er ist von weissem Marmor und etwa in Lebensgrösse, aber sehr
beschädigt. Von dem Gesichte sind -nur die Augen noch zu erkennen;' die schmal geschlitzt und sehr
schräg mit nach unten laufenden inneren Winkeln gestellt sind. Besser erhalten sind Haar und Ohren.
Das Haar läuft vom Scheitel aus in regelmässigen Strichen und ist von einer Binde umgeben. Vorn über der
Stirn bildet es den gewöhnlichen Kranz steifer Locken, ein Zopf fällt vor jedem Ohre in der Schläfe herunter,
am Hinterkopfe ist es unter die Binde zu einem kleinen Krobylos aufgenommen, fällt aber doch
noch lang im Nacken herunter. Von höchster Roheit später Zeit ist ein aus grauem Marmor gearbeitetes
Kybelerelief3) ; sie sitzt auf einem Throne, Haarlocken fallen von den Schultern auf die Brust herunter,
der linke Arm ruht auf dem Tympanon, der rechte auf den in ihrem Schoosse liegenden Löwen. Unter
1) das weisse Viereck auf dem Plane.
2) In einem Pfeiler befindet sich die im C. J . gr. n. 2209 enthaltene Inschrift.
3) Ein kleines Kybelerelief gewöhnlicher Art ist von Lesbos durch N e w to n in das brittische Museum gekommen. Die Göttin
sitzt von vorn zu sehen, mit hinten herabfallendem Schleier, zu jed er Seite ein Löwe; dem einen leg t sie die rechte Hand auf den
Kopf. Mit der Linken h ält sie das Tympanon hoch. Ebenfalls durch N ew to n sind folgende Fragmente lesbischer Skulpturen ins
brittische Museum versetzt: 1) Die linke Hälfte eines Reliefs mit dem Todtenmahle. Zwei Frauen und zwei Männer nahen anbetend
von links nach rechts; vor ihnen steht der jugendliche Schenk am Krater. 2) Fragment gleicher Art, hier ist die Seite rechts
erhalten. Der Verstorbene liegt mit dem Becher in der Hand auf der Kline, vor ihm steht, der Tisch, um dessen eines Bein sich
die Schlange in die Höhe windet. 3) Abermals Fragment eines gleichen Reliefs. Der auf der Kline liegende Mann mit dem Becher
in der Hand ist noch theilweise erhalten. Rechts von ihm sitzt auf einem Sessel, dessen Lehne vorn von einer Sphinx getragen
wird, die Gattin, mit der linken Hand den Schleier hebend. Vor dem Sessel richtet sich die Schlange auf. (Diese Beschreibungen
gebe ich, um wenigstens den Ueberblick über die geographische Verbreitung diesér gewöhnlichen Grabesbilder römisch-griechischer
Zeit zu vervollständigen.) 4) Stück eines Hochreliefs, ohne Zweifel auch sepulkral. Ein Mann mit nacktem Oberleib sitzt von vorn
gesehen auf einem Sessel, in dessen Füssen Sphinxe angebracht sind. An seine Seite lehnt sich eine Frau mit entblösster Brust.
Beide Köpfe fehlen. 5) Untertheil einer nicht grossen weiblichen Gewandstatue gewöhnlicher Arbeit. Endlich befindet sich unter
den so eben in das brittische Museum übergegangenen S tra n g fo rd s c h e n Marmorn ein sehr feines, reiches und anmuthiges Reliefornament
von weissem Marmor, in der Erfindung ganz gleichartig zahlreichen Ornamenten unteritalischer Vasenmalereien: Eros auf
einem Akanthoskelche zwischen den beiderseits auseinandergehenden Ranken stehend. Es ist das Beste, was mir von lesbischer
bildender Kunst bekannt ist.
den Füssen ist. ein Schemel angegeben. Zur rechten Seite der Göttin - und dadurch wird das Relief
merkwürdig,—' steht auf wenig breiterem Untersatze ein viereckiger Hermenschaft mit ruhigem männlichem
Geschlechtstheile. Leider ist der obere Theil des Steines mit dem Hermenkopfe und dem Kopfe der Kybele
abgebrochen und nicht vorhanden. Eine Inschrift findet sich nicht auf dem erhaltenen Theile. Sonst sind
nur noch drei Reliefs mit dem Todtenmahle oder wenigstens Stücke von ihnen noch vorhanden. Auf dem
besterhaltenen liegt der Mann auf der Kline, vor ihm steht der Tisch, von rechts nach links (vom Beschauer)
gewandt sitzt die Frau,' links steht der Knabe, der aus einem grossen Krater einschenkt. Eine
Inschrift war nicht darauf, auch keine ändern Figuren weiter. Das zweite Exemplar ist nur ein Fragment
und zwar die linke Seite des Reliefs; von der von Enks nach rechts gewandt sitzenden Frau ist nur ein
kleines Stück noch erhalten, von dem Todten Nichts.., Hinter der Frau nahen von Enks her zwei erwachsene
Personeny die vordere sicher ein Mann, mit; gehobener Rechten, zur Anbetung, ein Kind halt das
xavoSv zum Opfer und vor ihm ist ein Schaf als Opferthier sichtbar. Das dritte ffagmentirte Exemplar
enthält nur noch die Figuren dreier Anbetender. Es. braucht kaum bei dieser bekannten Darstellung
gesagt zu werden, dass alle drei Reliefs der römischen Zeit angehören.
Bei der Aufzählung der mir bekannt gewordenen Inschriften in Mitilini, von denen die meisten sich
in der Sammlung im Schulgebäude zusammenbefinden, folge ich zunächst der Reihenfolge, in welcher sich
dieselben ohne Rücksicht auf Zeitfolge oder Inhalt am bequemsten auf den Tafeln IV bis IX anordnen
Hessen und lasse dann diejenigen folgen, deren lithographische Abbildung unnöthig schien.
Taf. IV, 1. In der Schule. Kürzlich im Philologus Supplementband H, 1868, S. 581, n. 5 von
K e il mitgetheilt. ’ApioxoßooXa AicoXXtovta) yaTps.
Taf. IV, 2. Daselbst. Marmor. 0,17 M. breit. Bt«> Scooia irast?.
Taf. IV,'3. ; Daselbst.;-*Marmor. 0,16 hoch. 0,27 breit. 0,10 dick. Kürzlich von K e il in Philologus
Supplementband II, 1863, S. 579 ff. auf Grund einer Herausgabe in gewöhnlicher Unzialschrift durch
G. A r i s t e id e s *) behandelt. Bei der ungenügenden, Grundlage, welche diese Publikation ihm bot, konnte
Keil: daran denken zwei Fragmente zu vereinigen, die in der That nicht zusammengehören; das zweite
gebe ich auf Taf. VIH, 4. Den Schriftzügen, nach gehört die Inschrift in die vorrömische Zeit. In Zeile 3,
4, 5 und. 6 ist, vonftfursprüngEchen Inhalte der Inschrift Mehres durch Völliges .Weghauen der Oberfläche
des Steines getilgt (auf der Tafel durch Umziehen mit Linien und- Sehraffirung angegeben). Zeile 5 ist
dann ganz unausgefüllt so stehen geblieben, in Zeile 3, 4 und 6 ist in den nun vertieften Grund neu hin-
eingeschrieben. Bis auf das ßtipm in Zeile 2, welches der Stein bietet, gebe ich den Text nach Keil:
0 sb? x6)(a äyaftqjjlfl’O
xe Hilf] &Ö7jv lid Ten ßu>[p[a>] ras ’A(pp<58era; xa? nei&mc xctl rm 'Eppa, Huerm ipfjiov oxn xe SsX-r; xai epasv
xai .......................................xat ' ' . /
Taf. IV, 4. Daselbst. Dunkler Marmor. ,0,53 hoch erhalten, 0,20 breit. Steht bereits in C. J. gr.
n. 2204 und berichtigt II, add. 2204, Dem L IH am Ende,: von Boe ckh als das Regierungsjahr des
Kaisers nach ägyptischer Sitte erklärt, findet sich entsprechend auf der Grabschrift eines Nichtägypters
bei Ross inscr. gr. ined. n. 106 LÖS, gewiss nicht eine Marke des Steines aus dem Steinbrucbe, wie
Ross vermutbet.
Taf. IV, 5. Daselbst. 0,62 hoch. Es ist das einzige mir auf Lesbos bekannt gewordene Beispiel
eines runden Grabaltars, wie sie grade vielen Inseln und den westasiatischen Küsten eigenthümlich 2) sind,
wo auch in den Grabinschriften der ßropik als Theil des Grabmales besonders häufig genannt wird. Wie
gewöhnlich ist der Stein ringsum mit Laubgehängen, die hier auf Schalen und Widderköpfen, Andeutungen
der Todtenopfer, ruhen, geschmückt. Obenauf sind zwei. Schlangen, die als Grabesdämonen an den
1) N ia riavBtijpa tpoXX. n. 299, 1862 in einer Rede mp! rf)i xixtA töv peecMÖva xaraarümenc Tip Aioßou.
2) R o s s archäol. Aufsätze I, S. 64.