
kratische Ordnung der öffentlichen Verhältnisse diesem Anschluss vorausgegangen. Nach dem Bundesgenossenkriege
werden theils wieder oligarchische Verfassungen erwähnt, theils Tyrannen, wie Kammes
oder Kammys in Mytilene, Kleomenes in Methymna. Gegen sie hatte, um Einfluss zu gewinnen, schon
Philippos von Makedonien in mehreren Städten die Partei des Volkes unterstützt, aber wieder musste
Alexander nach der Schlacht am Granikos von Ephesos aus 334 Lysimaohos entsenden, um die oligarchi-
sehen Verfassungen zu beseitigen und demokratische einzuführen. Bald darauf gelang es Memnon, dem
Führer der persischen Flotte, und seinem Nachfolger, Autophradates, die lesbischen Städte wieder für Persien
zu gewinnen: die Säulen, welche die Verträge mit Alexander enthielten, wurden umgestürzt, die
Flüchtlinge kehrten zurück, und ausdrücklich wird die Einsetzung eines Tyrannen Diogenes in Mytilene
erwähnt, aber auch in den übrigen Städten traten solche auf, wie bald nachher Aristonikos und Chrysolaos
als Tyrannen von Methymna Vorkommen. Lange indessen blieben , sie nicht im Besitz ihrer Gewalt, denn
schon 332 vertrieb Hegeloehos, der Admiral Alexanders, die Tyrannen, und die Städte von Lesbos traten
wieder auf die Seite Alexanders. Als dieser 324 in Olympia an alle Griechen die Aufforderung erliess
denVerbannten Rückkehr in ihre Heimath zu bewilligen, galt dies natürlich auch den Städten auf Lesbos,
und dass auf diese Rückkehr und die neue in Folge derselben eingetretene Ordnung der Verhältnisse die
grosse Inschrift von Mytilene (C. I. Gr. 2166) gehe, hat Boeckh ohne Zweifel richtig erkannt.
Dass auch die Stadt Eresos Tyrannen hatte, welche von Alexander vertrieben wurden, wussten wir
bisher nur aus der einen Stelle des Demosthenes: 17 §. 7. Jetzt erhalten die wechselvollen Schicksale
der Stadt in jener Zeit unerwartetes Licht durch diese Inschrift.
Der Inhalt des ganzen Steines lässt sich als eine Sammlung von Aktenstücken und Aufzeichnungen
in Sachen der Tyrannen von Eresos und ihrer Nachkommen bezeichnen.
Eresos hatte zu verschiedenen Zeiten Tyrannen gehabt, von denen Hermesias (oder Hermon) und
Heräos etwas früherer Zeit, wohl der des Philippos, angehört zu haben scheinen, ebenso auch Eurysilaos,
obgleich er später als die genannten lebte. Agonippos aber gehörte wohl zu den durch Hegeloehos 332
festgenommenen und zu Alexander nach Aegypten gebrachten Tyrannen. Als Alexander (nach Arrian
3. 2, 7) diese in die Städte zurücksehiekte, damit dort das Drtheil über sie gefällt würde, wurde Agonippos
zum Tode verurtheilt, seine Söhne verbannt, die Güter der Familie eingezogen, und mit schwerem
Fluche bedroht, wer später einen aufhebenden Antrag einbringen würde. Von 883 Stimmen hatten 7 Ago-
nippos freigesprochen, die übrigen ihn verurtheilt.
Die Nachkommen jener früheren Tyrannen Heräos und Hermesias hatten die Vermittlung Alexanders
nachgesucht und Sühne für alles, dessen man sie beschuldige, gelobt, wenn man sie in ihre Heimath
zurückkehren lasse. Die Gemeinde von Eresos schlug das Gesuch ab.
Später hatten die Nachkommen und Verwandten sowohl des Heräos und Hermesias, als des Agonippos
und Eurysilaos wieder Alexanders Vermittlung angerufen und dieser ihretwegen-an die Gemeinde
von Eresos geschrieben. Aber auch jetzt beschloss die Gemeinde, nachdem sie Gerichte zur Revision der
Processe niedergesetzt hatte, auf deren Gutachten hin die früheren Urtheile aufrecht zu erhalten..
Dann folgte der allgemeine Erlass Alexanders vom Jahre 324 und zu der neuen Ordnung der Dinge,
welche bei der Rückkehr einer Menge vornehmer Verbannter nothwendig wurde, gehört wohl der Richtereid,
der den obern Theil der schmalen Seite füllt.
Aber Alexander hatte nicht allen Verbannten ohne Ausnahme Rückkehr erwirken wollen, sondern
ausdrücklich waren die Ivct^ei;, d. h. die mit Blutschuld Beladenen, ausgeschlossen. Vielleicht waren es
solche, die mit dem Zusatz auf der schmalen Seite gemeint sind: ai pev xotä rmv cpoYaSoiv xpioet; ai xptMaai
uid) XeüdvSpoo xoptat eaTuioav, xal cov xareyvat <poy7]V, tpsoyezwaav piv, 8k pij lorioaav. Indessen kann
er auch aus uns imbekannten Gründen andere Eresier von der Amnestie ausgeschlossen haben.
Dass unter diese, welche nicht mit nach Eresos hatten zurückkehren dürfen, auch die Söhne des
Agonippos gehörten, sehen wir aus dem letzten Aktenstück, welches der vorliegende Stein enthält, einem
Briefe des Königs Antigonos (wohl des ersten) an Rath und Volk der Eresier, dessen allein noch erhaltener
Anfang auf ein Urtheil hinweist, durch welches einem früher schon von ihm in derselben Sache
geschriebenen Briefe nicht entsprochen worden war.
So viel von dem geschichtlichen Inhalt. Aber auch in sprachlicher Hinsicht ist die Inschrift von
grösser Bedeutung, da sie uns den lesbisch-äolischen Dialekt in aller Treue und Strenge zeigt.“ >)
Der Aufenthalt in Erissos, erfreulich für mich durch alles Gewonnene, schloss am Morgen des
16. August mit einer unfreündschaftlichen Szene zwischen Papa Niköl aos und mir, da dieser mit einer
dem lieblichen entsprechenden Zahlung für gewährtes Quartier nicht zufrieden sein wollte. Die Vorstellungen
von meiner Zahlungsfähigkeit waren natürlich seit der Inschriftgeschichte sehr gestiegen. Doch
hatte ich wohl die bald an der Hausthür versammelte corona auf meiner Seite; wenigstens beeilte sich der
Pferdetreiber gleich beim Fortreiten mich zu versichern, dass der Papas gar nicht beliebt im Dorfe sei,
man hätte sogar zur Erntezeit schon einmal den Versuch gemacht, ihn mit einer Kornstiege, in der er
grade Mittags schlief, in Brand zu stecken. Mein nächstes Ziel waren die Dörfer von Kalloni am Meerbusen
gleichen Namens, doch machte der Weg dorthin einen Bogen über die Dörfer Misötopos, Agra und
Parakelä. Der Weg nach Misötopos führte zunächst in eine Gegend, die ich schon zwei Tage vorher von
Erissos ab am Nachmittage besucht hatte. Es ist das ein Thal, welches sich nordöstlich von dem grossen
Thale von Eresos abzweigt und ziemlich weit aufwärts in die Berge hineinzieht. So fruchtbar und bedeckt
mit Gärten und Feldern das Thal von Eresos ist, so öde, kahl und felsig ist dieses Seitenthal, üeber '
graufarbige Steine kommt ein breites, als ich es sah, trockenes Flussbett herunter, umgeben von den wildesten
Bergformen, Abhängen, Felsstürzen, Kegelkuppen und hohen steinigen Rücken. Es sind diese Berge,
welche mit so auffallend wunderlich zerrissenen Formen in das Thal von Eresos hinabsehen und es ist
hier auf der Insel def grösseste landschaftliche Gegensatz gegen den weichen, üppigen Charakter der
Natur, wie er im Osten, namentlich aber um den Meerbusen von Jera herum herrscht. Nach einem Ritte
von fünf Viertelstunden, von Erissos ab gerechnet, erreichten wir auf oft kaum gangbarem Wege die Stelle,
welche AaxxoitöSia heisst, wo eine Kirchenruine und zahlreiche jetzt zu Hürden für das Vieh aufgehäufte
Steineiben Platz eines früheren Dorfes zu bezeichnen scheinen. Man übersieht von hier nach Westsüdwesten
hin den Strand der Bucht von Eresos, wo von heftigem Nordwinde an der Fahrt nach den Dardanellen
gehindert sechs Kauffahrer vor Anker lagen. Auf gradem Wege fast unzugänglich gleicht diese
Stelle von Laktopödia so recht der eines Dorfes in den Piratenzeiten. Altgriechische Reste sind nicht vorhanden,
auf dem Rückwege, wie wir ihn nach Erissos nahmen, äfft aber das wie in einzelnen Blöcken
gelagerte natürliche Gestein, da es in einiger Entfernung täuchend dem Mauerwerke aus polygonen Steinen,
der Xsaßixi] oixoBopf] der Alten, gleicht. Sö hatte ich die Gegend von Laktopödia bei dem eigens
unternommenen Ausfluge dahin kennen, gelernt. Auf der Weiterreise zunächst nach Misötopos passirten
wir ziemlich dieselbe Strecke, nur nicht den alten Dorfplatz selbst, wieder und fanden auch auf den weiter
folgenden Strecken, die wir durchritten, zum grossen Theile kahlfelsige Gebirge. Nur einmal, ehe wir
nach zweistündigem Ritte von Erissos ab Misötopos erreichten, kamen wir durch ein Thal mit Gärten und
mit Pappeln, das als ein grüner Fleck in der übrigen Oede liegt. Bald hinter Misötopos erschien dann
wieder unten nach dem Meere zu ein kleines bebautes Thal. Wo sich Baumwuchs hier zeigte, waren es
die Korkeichen, die an der Nordküste um Telonia so zahlreich sind. Wir kehrten nun aber dem Meere
den Rücken und setzten, um zunächst Agra zu erreichen, unsem Weg ziemlich in nördlicher Richtung fort.
Ziemlich weit landeinwärts schon und kurz ehe vom Wege aus der Eingang in den Golf von Kalloni sichtbar
wurde, trafen wir auf die Fundamente eines vereinzelten althellenischen Thurmes, dem einzigen dieser Art,
den ich auf Lesbos gesehen habe. Der Grundriss bildet ein Quadrat von 9,00 Meter Seitenlänge. Der Bau
ist aus Quadern aufgeführt, welche nicht glatt behauen, aber an den Thurmecken mit der üblichen Aus*)
Die ganze Ausführung von S a u p p e s. Nachrichten von der Univ. u. der k. Ges. der Wiss. zu Göttingen a. a. O.