
Meine Arbeit in Kalloni war gethan. Das grosse landeinwärts gelegene Dorf Paraskewi, von einer
Höhlenkapelle so genannt, wollte ich nicht besuchen. Ein Naturforscher hätte sieh vielleicht schon durch
die Erzählungen von bedeutenden Hebungen und Senkungen im Boden, welche dort vor etwa zehn Jahren
plötzlich eingetreten sein sollen *), hinziehen lassen. Ich schickte meinen Diener mit dem Gepäcke nach
dem nächsten grösseren Orte, nach Agiasso am Fusse des Iliasberges, voraus und ritt selbst allein, um
auch das Ostufer des Golfs von Kalloni, namentlich die Kuinen von Pyrrha 2) (xdorpo sU ttj üiSppa), wie
man sie noch heute nennt, zu untersuchen. Durch das Dorf Tsumaehli oder Angismos, wie die Griechen
es nennen, führte mein Weg anfangs zwischen den Gärten und Getreidefeldern der Ebene hin, dann in die
sandigen ganz unbebauten Flächen, welche sich um das schon genannte Salzwasser der Aliki herum aüsdehnen.
Land und Meer haben sich hier noch nicht auseinandergesetzt, im Winter überschwemmt das Wasser des
Meerbusens hier herum Alles, während ich die Aliki trocken fand. Eine Brücke führte über die Stelle, wo sie
mit dem Meere noch am meisten in Verbindung steht. Ich folgte dann dem Ufer nach Süden hin und
etwa drei Stunden nach meinem'Ausritte von Kalloni war ich, zuletzt auf einer Brücke über ein kleines
zum Meere gehendes Wasser reitend, am Fusse der alten Akropolis, welche, wie gesagt, noch heute allgemein
als tö xdorpo, xb xaXaioxaarpo 1% Ilöppat bezeichnet wird. Ohne Zweifel lag auch wirklich hier die
alte Stadt 3), welche dem Meerbusen ihren Namen gab und die von den drei Städten, deren Lage um den
Golf wir nachweisen können, welche am längsten, wenn auch zuletzt halb verfallen, bestand. Es ist bemerkens-
werth, dass von den scheinbar so günstig an den beiden Binnenbuchten der Insel gelegenen Städten die
meisten früh ihre Selbstständigkeit verloren haben, die eine länger bestehende sich nie mit den Städten der
Aussenküsten hat messen können. Der Stadtberg von Pyrrha ist bei weitem nicht so hoch, wie drüben
das Xerokastrini, doch in der Gestalt seiner oberen Fläche einigermassen ähnlich. Sein westlicher Theil
schiebt sieh zwischen zwei flachsandigen Uferstellen in den Meerbusen vor. Jetzt bedecken Oelbaumpflan-
zungen seine Oberfläche, wie die Niederung rings umher, wodurch das Terrain im Ganzen weniger übersichtlich
wird; doch glaube ich dessen Gestaltung in den Hauptzügen richtig auf Taf. III. skizzirt zu haben.
Unter dem Nordfusse der Akropolishöhe, wo ich mich derselben zuerst näherte, liegt eine kleine Kirche
der h. Eudokia; der Platz muss schon im Alterthume seine Heiligkeit gehabt haben, denn an den untern
Felsen des Abhanges jener Kirche gegenüber finden sich alte eingehauene Vertiefungen zur Anbringung
von Votivplatten. Ich ging von hier unterhalb des Abhanges .bis ans Meer vor, wo noch eine kleine
Kirche, der h. Photirn geweiht, liegt. Dort erstieg ich die Höhe, deren Oberfläche eine einzige grosse
Oelbaumpflanzung ist. Wo der Felsboden sich zeigt, sind Spuren alter Behauung oft genug zu sehen,
besonders in Menge am OSO-Ende des Berges. Der Band desselben fällt so ziemlich überall als steiler
Fels ab, so dass die Festung von Natur da ist. So viel man jetzt sieht, sind nur da, wo dieser Abhang
einmal eine zugängliche Stelle bietet, Mauern in die Felsen eingeschoben. Sie sind aus Polygonen oder
>) Nach Plinius wurde das von mir am Wege nach Paraskewi angesetzte Arisba durch Erdbeben zerstört. V, 139: Arisbe
terrarum motu subyersa.
2) Hieraus wird P o c o o k e Pera, welches er als Namen eines Uferstriches im Osten des Meerbusens anführt, gemacht haben,
wenn er nicht das gewöhnliche neugriechische xipa (drüben) als einen Ortsnamen missverstanden hat.
3) Von den älteren Reisenden scheint P r o k e s c h -O s t e n die Ruinen von P y rrh a gesehen und richtig benannt zu haben
(a. a. 0 . S. 350 ff.), seine Beschreibung ist aber für mich ausserordentlich unklar. A n o g n o s t is kennt den Platz nur von Hörensagen,
dagegen h a t B o u t a n ihn besucht und die'Ruinen als die von Pyrrha beschrieben (a. a, O. S. 309 ff.). E r spricht von einem
alten Mauerstücke unterhalb der Akropolis, welches 14,00 Meter lang erhalten sei, von dem noch erkennbaren 3,00 Meter breiten
Eingänge der Akropolis gegen Südost, von dem Unterbau eines Tempels auf der Nordseite oben auf der Akropolis, alles Dinge, die
ich nicht gesehen habe. Möglich ist, dass die Oelbäume sie mir verdeckt haben. Auf der O h o is e u ls c h e n Karte bei P l e h n ist
P y rrh a im äussersten Nordostwinkel der Bucht angesetzt, wo gar keine Stadt lag. Es beruht diese Ansetzung auf einem Missverständnisse
der Worte Strabos (C. 617), wo er die Entfernung von Aigeiros an der schmälsten Stelle der Insel bis an den Euripos
der Pyrrhäe r (si; tov üuppaiuiv Eu'piuov), das ist der ganze Meerbusen, nicht bis nach P y rrh a selbst angiebt. Ganz unbegründet wäre
es, mit P o p p o und Z a n d e r (a. a. 0 . S. 29) Pyrrha g a r nicht innerhalb des Meerbusens, sondern an der Küste des äusseren Meeres
suclien zu wollen.
unregelmässigen Quadern zusammengesetzte Auch hier also war die Befestigungsarbeit anscheinend nur
ein Verstärken der natürlichen Form, wie in Arisba und der Stadt von Xerokastrini, Agamede.
Einen merkwürdigen Fund machte in aller Arglosigkeit mein Agogiat, als er bei unserm Umherwandern
oben auf der Akropolis eine Scherbe eines Thongefasses auflas, die dann in meinen Besitz übergegangen
ist. So unbedeutend sie an und für sich ist, theile ich sie doch auf dem Titelblatte unter 1 in
Originalgrösse und in ihren Farben mit, weil sie das ansehnlichste bis jetzt aus Lesbos vorhandene
Beispiel griechischer Kerameutik l) ist. Es ist eine flache Platte, deren Ränder
auf drei Seiten theilweise erhalten sind, nämlich oben (von a bis b), rechts (von c bis d)
und unten (die linke von d nächste grade Linie unter der Schulter der Frau). Auf ihrer
Rückseite giebt namentlich ein dick aufliegender halbrunder Wulst, der in der Breite (von
links nach rechts, wie ich eben die Bezeichnung gebrauchte) etwas näher dem oberen Rande querüber
verläuft, und auf beiden Seiten abgebrochen ist, Aufschluss über die Ergänzung des Fragmentes. Es lag
die Platte horizontal mit der ebenen bemalten Fläche nach oben auf dem Henkel eines Gefässes; jener
halbrunde Wulst auf der Unterseite ist der Rest des eigentlichen Henkels, welcher so unter der Deckplatte
ansetzte, wie ich das in der Zeichnung eines solchen Gefässes auf dem Titelblatte unter nr. 2 und 3
anschaulich gemacht habe. Namentlich bei 3 sieht man deutlicher, wie der abgebrochene Henkel unter
der uns allein erhaltenen Deckplatte, so wie es der Fall ist, als ein halbrunder auf beiden Seiten abgebrochener
Wulst erscheinen muss. An meinem Fragmente ist die Linie ab, die also am ganzen Gefässe
nach aussen zu stehen kommt, nicht grade, sondern leise konkav ausgeschnitten. Ausserdem war die untere
Seite meines Fragmentes, also am ganzen Gefasse die gegen innen nach dem Rande des Gefässes zu
gekehrte Seite, nicht wie an dem unter 2 gezeichneten Gefasse mit dem Gefassrande verbunden, sondern,
wie der erhaltene Rand zeigt, von ihm durch einen Zwischenraum getrennt, so dass also an dem Lesbischen
Gefasse die Deckplatte nach allen Seiten frei nur unten mit ihm verbunden auf dem Henkel lag.
1) Die einzigen nachweislich von Lesbos herrührenden Exemplare, Scherben allerdings auch nur, von bemalten griechischen
Thongefässen befinden sich von N ew to n gesammelt in der Vasensamralung des brittischen Museums zu London. So klein die Stücke
sind, liefern sie den Beweis, dass auf Lesbos die verschiedensten Vasenstyle Vorkommen. Ich verzeichne dieselben wie folgt:
' 1) Scherbe, braun auf weisslichem Grunde mit Ornament bemalt, namentlich das aus dem Boden aufsteigende Dreieck erhalten,
welches den ältesten Gefässen aus Thera, Melos, Rhodos, Phaleron eigenthümlich ist.
2) Scherbe, braun auf gelb mit Rosetten bemalt, ganz in der Art der sogenannten korinthischen Vasen z.B. der Dodwellschen.
3) Scherbe, mit blindem Schwarz auf weisslichem Grunde mit Omament bemalt, wahrscheinlich der erstgenannten Klasse
nahe stehend.
4) Zwei Scherben, mit reinem Schwarz auf gelbrothem Grunde gemalte Ornamente, die in ihrer Form einer häufig vorkommenden
Verzierung der Vasen mit schwarzen Figuren gleichen.
5) Scherbe, schönste glänzend schwarze Farbe au f rothem Grunde. Bruchstück einer Kampfszene; das Auge des Kriegers in
der gewöhnlich schematischen Weise geritzt.
6) Scherbe, schwarz auf roth. Ein Mann steigt au f einen Wagen. Auf seiner Hüfte ein Hakenkreuz geritzt.
7) Scherbe, schwarz auf roth. Bruchstück einer Kampfszene in kleinen Figuren.
8) Scherbe vom Halse eines grossen Gefässes, schwarz auf roth. Hin ter einem Pferdehintertheile eine Amazone (ohne weisse
Farbe, aber mit schmal geschlitztem Auge) mit zwei Speeren.
9) Mehre Scherben, schwarz au f roth, zum Theil m it Ornamenten; alles an bekannte Formen erinnernd.
10) Scherbe in schönem Roth auf Schwarz. Der Profilkopf einer F ig u r erhalten, die eine siebenseitige Kithara obgleich etwas
weit ab doch selbst zu halten scheint.
11) Scherbe, ro th auf schwarz in schon etwas flüchtiger Zeichnung. Obertheil eines Jünglings, wie es scheint, aus einer
bakchischen Szene, jedenfalls lebhaft bewegt.
12) Scherbe vom Rande eines grossen Gefässes. Roth auf schwarz. Umlaufender einfacher Blätterkranz, wie er auf unter-
italischen Gefässen häufig ist.
13) Hals mit Ansatz des Bauches und mit einem Stücke des Henkels von einer grossen Vase späten Styles, wie wir sie
namentlich aus Unteritalien kennen. Der Bauch war senkrecht geriefelt. An seinem obern Ende und am Halse Rosetten, Rankenornament,
Guirlanden. Weiss und hellrothgelb auf schwarzem Grunde.