Trotz dieser sehr bedeutenden Fortschritte namentlich der letzten Jahre erscheint denn doch
die Lehre von den Schwimmpolypen noch immer in manchen Puncten dunkel, oder wenigstens nicht
hinlänglich festgestellt, vor allem mit Bezug auf die Stellung dieser Thiere überhaupt, was namentlich
von der gänzlichen Unkenntniss der Entwicklung derselben und den Lücken in der Lehre von
ihren Geschlechtsorganen abhängt. So hält Leuckart die Schwimmpolypen ohne Ausnahme für
g e s c h l e c h t s lo s e T h ie re und deutet die als Geschlechtsorgane beschriebenen Theile* als Keime
v o n Qu allen , so dass mithin die Schwimmpolypen einfach ein J u g e n d z u s t a n d v o n Med u sen ,
Ammen von solchen wären, während auf der andern Seile Vogt zwar die Beziehung zu den Quallen
auch festhält, allein nichts destoweniger denselben genuine Geschlechtsorgane zuschreibt. Ausserdem
herrscht immer noch mancher Zweifel über die Bedeutung der von mii* sogenannten Fühler, über die
Anatomie und die Functionen der«lufthaltigen Theile besonders der Velelliden, über die Deutung der
Schwimmglocken, die Ernährungs- und Circülationsverhältnisse, die Bewegungen der Fangfäden,
die histologischen Verhältnisse und noch manches andere, so dass es immer noch demjenigen,
welcher diese Thiere nicht selbst beobachtet hat, äuss^st schwierig wird, sich richtige Vorstellungen
über dieselben zu machen. Ich glaube durch meine in dieser Schrift in extenso niedergelegten Untersuchungen
im Falle zu sein, über manche der noch streitigen Fragen ein bestimmtes Urtheil abgeben
zu dürfen und will nun noch im Folgenden die wichtigsten derselben in Kürze zusammenfassen.-
Bei allen Schwimmpolypen geschieht die N a h ru n g s a u fn a hm e durch die mit Ausnahme
einer kleinen Abtheilung der Diphyiden in grösserer, oft in sehr grosser Anzahl vorhandenen P o ly p
e n und zwar findet dieselbe, nach dem was ich gesehen habe, nie durch Aussaugen der Beute
statt, wie ältere Beobachter wenigstens für viele Gattungen annahmen, sondern durch wirkliches
Verschlingen von kleinen Thieren, vor allem von Cruslaceen, zu welchem Ende die Polypen mit
einem ausgezeichneten Gontractionsvermögen begabt sind. Immer und ohne Ausnahme ist der mittlere,
oft besonders ausgebuchtete Theil der Polypen der Ort, in welchem die Verdauung statt hat,
und finden sich auch hier bei vielen Gattungen drüsenartige Gebilde (die früher von M, Edwards
vermuthungsweise als Ovarien, von v. Siebold als Leber bezeichnelen Theile), die oft durch eine
braune Farbe sich auszeichnen und vielleicht alle, als leberartige Organe angesprochen werden dürfen,
um so mehr, da bei den Velelliden eine sehr entwickelte Leber an der Anheftungsstelle der Polypen
gefunden wird. Was die Polypen nicht zu bewältigen im Stande sind (namentlich Chitinhüllen, die
häufig in grösseren Ballen in ihnen gefunden werden), geben dieselben durch den Mund wieder von
sich, während das Verdaute wahrscheinlich zugleich mit gewissen Mengen von Seewasser aus den
Polypen durch ihre hohlen Stiele in den ebenfalls hohlen P o ly p e n stam m übergeht. In diesem
bewegt sich der Nahrungssaft, mit Ausnahme der Diphyiden, wo in grösserer oder geringerer Ausdehnung
ein Flimmerepithelium sich findet, nie durch Flimmerbewegung, sondern durch die Contractionen
der sehr muskulösen Wände des Stammes unregelmässig hin und her und gelangt aus
demselben auch in die grösseren Höhlungen der Fühler, Fangfäden und Hoden und die engeren
gefössartigen Kanäle der Schwimmglocken, Geschlechtskapseln und Deckblätter^ Diejenigen unter
diesen Organen, welche mit Contractilitüt begabt sind, wie namentlich die Schwimmglocken,. Fühler
und manche Geschlechtskapseln, werden natürlich, ebenso wie der Stamm und die Polypen selbst,
auf die Bewegung des Nahrungssaftes von Einfluss sein und ebenso muss auch die in den Fühlern
und Hodenkapseln constant vorkommende Flimmerbewegung in dieser Weise sich geltend machen.
Dagegen heisst es wohl zu weit gehen , wenn man die Fühler £ wegen der in ihren Spitzen vorkommenden
Wimpern als wesentlich der Circulation dienende Organe, “gleichsam als Herzen oder als
»chylomotorische« Organe (Leuckart) bezeichnet, indem diese Flimmerung, verglichen mit den andern
Factoren der Saftbewegung, doch nur als untergeordnetes Moment erscheint und ja auch in den
Hodenkapseln sich findet. Mir scheinen diese Wimpern eher den Zweck zu haben, auch in den Zeiten,
wo der Polypenstock ruhend sich verhält, die Saftbewegüng in den fraglichen Organen zu unterhalten,
was namentlich für die Ausbildung der Hoden, deren Spermasack überhaupt keiner, Contraction fähig
ist, und ebenso für viele Eikapseln von Bedeutung sein muss. Wenn ich dem Gesagten zufolge den
Schwimrapolypen eine regelmässige Circulation und eigentliche Gefüsse abspreche, so soll hiermit
nicht gesagt sein, dass nicht in vielen Fallen die Bewegung des Nahrungssaftes doch mit einer gewissen
Gesetzmässigkeit sich macht, so namentlich wenn ein solches Thier, wie es sehr häufig geschieht,
abwechselnd schwimmt und wieder eine Zeit lang auSruht, in welchem Falle regelmässig Contractionen
und Expansionen des eigentlichen Polypenf^ockes auf einander folgen und ein Strömen des Saftes
bald in die Schwimmsäule, bald in den eigentlichen Stock sich ergibt. Es ist übrigens bei diesen
Verhältnissen noch ein Moment ins Auge zu fassen, der bisher noch gar nicht gewürdigt worden ist,
nämlich das, dass bei allen energischeren Contractionen des Polypenslockes keine andern Organe,
auch die Fühler und Fangfäden nicht, an welche Organe vor Allem zu denken wäre, entsprechend
sich ausdehnen und daher in allen solchen Fällen von der im Stocke befindlichen Flüssigkeit durch
die einzigen Oeffnungen der Kolonie, nämlich die Mündungen der Polypen, eine gewisse Menge nach
aussen dringen muss, während natürlich bei den Expansionen wieder Seewasser einströmt. Sollte
Jemand einwenden wollen, dass ich durch diese Annahme ein regelmässiges Ausfliessen von Nahrungssaft
statuire, so wäre einzuwenden, dass der Inhalt der Polypen selbst, ausser wenn sie gerade
verdauen, doch kaum viel anderes als Seewasser ist und meine Annahme nicht involvirt, dass in den
gewöhnlichen Fällen von Contractionen und Expansionen mehr als der Inhalt der Polypen aus dem
Stocke austritt. Es würde mithin, wie ich die Sache mir denke, regelmässig mit den Bewegungen
dieser Thiere mehr weniger Nahrungssaft in die Polypen eingetrieben und wieder in den Stamm
zurückgezogen werden, während zugleich Seewasser aus- und einslrömt und auf diese Weise, abgesehen
von den Vorgängen beim Verdauen, in bestimmten Zwischenräumen etwas Seewasser dem
Nahrungssafte sich beimengen. Der Nutzen dieser Aufnahme von Wasser wird wohl vor allem in dem
Sauerstoff desselben zu suchen sein und in derselben gewissermassen ein Ersatz für den Mangel besonderer
respiratorischer Organe liegen. Uebrigens wird natürlich auch die ganze Körperoberfläche-,
namentlich die Organe, wie die Schwimmgloeken, Geschlechtsorgane, Fühler und Fangfäden, in
denen der Nahrungssaft nur durch dünne Wände von dem äussern Medium geschieden ist, in diesem
Sinne wirken, so dass es nicht möglich ist, ein Organ als besonders mit der respiratorischen Function
betraut anzusehen.
Um das Bild von der Ernährung und dem Stoffwechsel der Schwimmpolypen zu vervollständigen,
ist noch beizufügen, dass die Ernährung nur so sich machen kann, dass der Nahrungssaft aus
seinen besonderen Kanälen in die Substanz der verschiedenen Organe durchschwitzt, von denen er
dann entweder zum Wachsthume verwendet wird, wie bei den Geschlechtsorganen und den Knospen