darstellend, die Hände steif auf den Knien, einförmig einander gleich, mitunter weniger fremdartig und naturähnlicher,
mit reichen Haartrachten, schiefliegenden grossen Augen, stereotypem Lächeln, dichten Locken
auf der Stirne, alle dazu bestimmt, Iahrhunderte lang in den Zellen der vielfarbigen Tempel verehrt zu werden,
von welchen einige Bruchstücke der Dachrinnen, in den Farben rot und blau, sammt dem wunderbaren berühmten
Fragment der zwei Tänzerinnen, aus dem durchwühlten Boden wieder zu Tage traten,
fl In den durchscheinenden farbenreich eingesäumten Chitonen gehüllt, mit den auf den Schultern gelegten
Händen sich haltend, bewegen sich die zwei anmuthigen Geschöpfe rhythmisch, die linken Beine hebend und
mit den rechten kaum den Boden berührend, leicht und harmonisch, jugendlich und unreif, wie die • Kulturperiode
welcher sie ihr Dasein verdanken; sie sind schwache aber doch sichere Wahrzeichen des antiken
Rhegions, Körper ohne Lächeln, jeder Brustform bar, eine einfache rhythmische Bewegung, wie von sich
spielend ereilenden Wellen.
<|[ Kaum etwas anderes war, in diesem Museum, mit denselben vergleichbar, es sei denn die wunderbare
Tänzerin mit dem kurzen Chiton, dem goldenen Busen und dem gekrönten Haupte — aus einem Schutthaufen
wieder gewonnen — oder der kleine Laokoon, als jener von Reggio bezeichnet, zwischen den Bruchstücken
von Marmorsäulen, dort wo die ebenfalls zerstörte Kathedrale steht, ausgegraben, ein Bildwerk, nicht höher
als einundneunzig centimeter und nicht breiter als sechsundsiebzig centimeter einem griechischen Original,
welches edler und reiner als das vaticanische gewesen sein muss, nachgebildet.
f | Was bleibt hoch übrig ausser diesem jetzt dachlosen zerstörten Museum? Der traurige Rest des Souterrains
einer Kapelle der Ottimati, dort wo noch vor wenigen Monaten so viel jugendliches Leben pülsirte;
die vielfarbigen Marmormosaiken, die schönen Ornamente und die lachenden Putti der zerfallenen Kreuzigungs
Kapelle, an der Stelle wo die grösste Kirche Reggios sich erhob, ein Werk des Mori, welcher, nach
der Zerstörung vom 1783, den ganzen Plan der Stadt entwarf; auf der Anhöhe, noch die runden Thürme
des Schlosses, aus dem 16. Jahrhundert; aber vor Allem die ewige Natur, welche an Stelle der zerstörten
Monumente, der gestürzten Statuen und der traulichen Stimmen in den Strassen und an den wellenumspülten
Ufern tritt.
f[ In dieser ewigen Natur verkörpert sich noch Griechenland, die antike und' unzerstörbare Mutter Reggios.
fl Eine griechische Legende erzählt, dass der grosse Sänger Aristón von Rhegion einmal von Eunomos, Musiker
aus Lokris, zu einem Wettstreit im heiligen Delphis herausgefordert wurde.
fl Aristón der Reggianer kann nicht siegen, sagte Eunomos von Locris, da ein Sänger aus Locris nicht einem
aus Rhegion, wo selbst die Cikaden stumm sind, unterliegen kann.
fl Und Aristón war schon dem Siege nahe, als auf der Kithara Eunomos, bei der eine Seite gerissen war,
sich eine Cicade setzte und durch ihren Gesang ihm zur Besiegung Aristons verhalf.
fl Auch heute sind im verwüsteten Reggio die Cicaden stumm, wie in jener Zeit, als, nach einer ähnlichen
Zerstörung, jene Sage entstand. Aber wie es einstens geschah, werden auch jetzt die göttlichen Sendbotinnen
zu den duftenden Feldern wiederkehren und wird ihr Gesang von Neuem, um die wie-
dererstandenen Messina und Reggio, siegreich ertönen.
fl VITTO RIO SPINAZZOLA. ! ® Í g | §