G r a bma l d e s S c h è ch A b a bde in M in ieh .
Verehrung der Heiligen id auch unter den Bckennern des IsIàm oder der .Lehre des Heils* frommer Gebrauch.
Kein Oberprieder der Mohammedaner aber, wie hoch verehrt er fein möge, hat die Berechtigung, einen vor Jahrhunderten
Verdorbenen felig zu fprechen, kein Bonze die Macht, dem Volke Glauben an die Heiligkeit eines lebenden oder gewefenen
Menfchen aufzuzwingen. Der Mufelmanii erkennt nur einen VerkUndiger des Glaubens an: Mohammed, den Gottgefandten
und Propheten, — Allahs Frieden über ihn! — welcher der Welt und den Söhnen dee WUfte, den Nachkommen Ismaels,
insbefondere, des Glaubens Licht entzündete. Seine Heiligen erwählt und weiht fich das Volk felbd, heute noch wie vor
Zeiten. Mit feinen Heiligen verkehrt es, fo lange fie leben, zu ihnen betet es, nachdem fie verdorben; .angefichts ihres
Grabes verrichtet es feine Andacht; in oder vor der Kuppel, welche fich, als Merkzeichen dankbaren Gedenkens an die'
Thatcn eines menfchwUrdigcn Mannes Uber dem einfachen Grabdeine wölbt, drückt cs beim Gebete feine Stirn in den
geweihten Staub.
Heilig in den Augen des Mohammedaners, auch ohne Werkthaten der Milde und Barmherzigkeit, id Jeder,
deffen Geid nicht genügend fidi entwickelte oder vom Irrfinn umnachtet wurde, jeder Schwachgeidige, jeder Blöd- und
Wahnfinnige. Kein Frevler lebt unter den Gläubigen, welcher fich erfrechen Tollte, folchen Unglücklichen zu fchmähen,
zu verhöhnen; keine Hand würde fich linden, den »von Allah Gefchlagenen« zu fdiädigen. Heilig, unantadbar, erfcheint
er, weil er unglücklich id, weil der Menfch gerade dann Barmherzigkeit üben foli, wenn das Gefchick folchc vertagte,
weil der Schwachgeidige oder Irre dem Gläubigen zur Mahnung dient, fich unter die Hand des Allgewaltigen zu beugen.
Heilig aber im allgemeineren Sinne id folch beklagenswerter Menfch nur fo lange er lebt. Auf feinem Grabe errichtet
vielleicht die Liebe der Angehörigen, nicht aber die Andacht des Volkes ein Denkmal; zu feiner Ruhedälte pilgert Niemand.
Als Heiliger während feines Lebens wie nach dem Tode wird derjenige Mufelmann betrachtet, welcher von der
Zeit feiner Mannheit an ununterbrochen den Gefetzen des Propheten gemäfs gelebt und gewirkt hat. Unter den Bekcnnern
des IsIàm gibt cs keinen sündigen Pricderdand; denn jeder Einzelne id berufen, das Wort des Gottgefandten zu verkünden,
falls er Verdändnlfs befitzt dir das .Buch « den Khoritn, und féine dunklen Stellen, falls Andere meinen, dafs es .hm gelingt
den verworrenen Gedankengängen Mohammeds zu folgen, das Schwerverdändliche zu deuten, dem Unverdändlichen felbd
Sinn und Gedanken abzugewinnen. Der Handwerker, welchem ein gündiges Gefchick in der Jugend Unterricht zu Thcil
werden licfs, welcher vielleicht Jahre lang während feiner einförmigen Befchäftigung Uber dem Khoràn brütete, kann heute
hintreten vor alles Volk, fei cs in der MeskTe; fei es auf öffentlichem Markte, und predigen, lehren, erklären, zum
Glauben auffordem oder zur Bufse mahnen, den Segen fpenden Uber ein verbundenes Paar oder das letzte Geleit geben
einem Abgefchledenen: er whd gern und voll anerkannt werden als Prieder, auch wenn er gedern noch den Hammer
führte. Zum Gerüche der Heiligkeit gelangt er jedoch erd durch ein längeres, fleckenlofes Leben im Diende des Propheten,
durch untadelhaften Wandel angefichts feiner Glaubensgenoffen, durch eine oder mehrere Wallfahrten nach Mekka, und ob
er fie auch »gcheimnifsvoll,« d. h. nur vor den Augen der mit ihm Pilgernden ausfUhrc, obgleich er doch an feiner
Wohndätte während der Wallfalu ts/eit gefehen wird; zum Gerüche der Heiligkeit gelangt er vor allem erd durch erprobte
Werkthätigkcit im Diende der Menfchheit. Sich des eigenen Befitzthums entäufcem, Hab und Gut Bedürftigen fpenden,
Durdige tränken, für die Müden ein Obdach bereiten, Kranke pflegen, Sterbende tröffen, den Leichnam Gcdorbener wafchen
und begraben; folcile und andere Gutthaten an den Menfchen ohne Anfehen der Perlon, des Standes, des Glaubens, der Zeit
und Stunde, ohne Hoffnung auf Dank, Lohn oder Gewinn,'einzig und allein .um Gottes willen« freudigen Herzens verrichten:
das find Werke eines gerechten Dienere Allahs, des Allbarmherzigen und Allgnädigen, welche zuerd die Achtung, fpäterdie
Verehrung der Mitmenfchen cinbringen und in deren Augen zum Heiligen erheben.
Wir fprechen nicht von Menfchen, wie fie fein Tollten, fondere von folchen, wie fie find. Uns felbd id die
Gadfreundfchad eines .Heiligen« gewährt, uns felbd der Segensfpruch eines folchen Mannes gefpendet worden. Mitten in
der WUde, welche hier nicht einmal der göttliche Nil zu befiegen vermocht, hatte er das Denkmal feines, vormals gleich
ihm dem Diende der Barmherzigkeit lebenden Bruders errichtet und fich daneben angefiedelt, um Reifende zu erquicken
und zu därken, in der WUde felbd eine Hütte aufgebaut und mit einem Sclavenpaare bevölkert, um Verfchmachtende vor
dem Tode zu. retten. Von Niemand fordernd, höchdens freiwillige Spenden zu Gunflen Anderer annehmend, bot er freundlich
und ohne' lieh aufzudrängen Jedem, welcher (ich ihm nahetc, Obdach, Speife und Trank, leibliche und geidige Pflege.
Mit-einem Segensfpruchc hiefs er uns Fremdlinge willkommen, mit einem Segenslpniche gab er uns das Geleite. Wären
wir unglücklich, krank, elend gewefem .cr würde mehr an uns gethan haben, als .er diesmal thun konnte. Niemals id uns
die Gadlichkeit in edlerer Weife geboten worden als durch diefen Heiligen; niemals find wir mit tieferer Achtung von
einem Menfchen gefchieden als von diefem Einfiedler, deffen dunkelfarbenes, von einem langen, blendend wcilsen Barte
eingerahmtes Geficht dem Ghriden diefelbe freundliche Milde zeigte wie dem gläubig die Hand des Verehrten küffenden
Mohammedaner. Wir verdanden fortan, warum das Voik feinen »Heiligen« Grabmäler errichtet und warum diefe, wenn
irgend möglich, eben auch nur zu Andalten der Barmherzigkeit ausgebildet werden.
Das Schüch- oder Heiligengrab deht in der Regel auf einem irgendwie hervorragenden Punkte, fo dad es von
weitem fichtbar wird: im Stromthale womöglich auf einem Uferbeige oder hoch auf der höchden Stelle des Ufers, feltener
tiefer im Inneren des Landes. Reiche und vornehme Mufeimänner wetteifern miteinander, es zu unterhalten, zu umpflanzen,
zu vergrödere, zu bereichern, wie fie oder ihre Vorfahren es waren, welche die Mittel zum Baue felbd zufammendeuerten.
Die Form des Grabmales bleibt fich allerorten ziemlich gleich. . Auf einem gleichfeitigen Viereck fetzt fich ein Achteck,
auf diefem die Kuppel auf. Eine Thüre ftlhrt, einige Fenderöffnungen werfen ein düderes Licht in das Innere. Halbgrotten
mit mehr oder minder durchgebildeten Stalaktiten vermitteln den Ucbergang der verfchiedenen Grundformen des Bauwerkes
und bilden den am meiden hervorragenden Schmuck der Wand- und Kuppelflächen. Inmitten des Gewölbes erhebt fich
das eigentliche Grabmal. Einfach bearbeitete Steine oder Ziegelgemäuer und Gewölbe fetzen Grab und Decke zufammen;
fcuhdreich verfchlungene, oft farbenreiche Arabesken, aus fchwer zu lefenden Infdiriften, meid Khoränfprüchen, bedehend,
verleihen dem Mauerwerke Zierde und Bedcutfamkcit. Ueber dem Grabe felbd erhebt fich gewöhnlich noch eine auf
Säulen ruhende Holzkuppel, in deren Vergitterung und Ausfchmückung die arabüche Künfllerphantafie ihre Schwingen voll
entfaltet hat. Seidene Decken verunzieren manchmal, mehr als fie zieren; farbenreiche, gefchmackvolle Teppiche dagegen,
welche den Boden decken, gedalten den flillen Raum zu einem wohnlich erfcheinenden um.
Int Laufe der Zeit gelangt ein güiidig gelegenes Heiligengrab zu immer deigendem Anfehen. Müde Stiftungen
fließen ihm zu, um fo reichlicher meid, je gtöfser das Befitzthum wird. Rechtfchaffene Männer verwalten das Vermögen
des »Heiligen« treu und gewiffenhaft, ohne fich felbd von den Erträgen zu leiden; mildherzige Verehrer des »Heiligen«
fpenden in feinem Namen Wohlthaten an Bedürftige verfchiedener Art, namentlich an arme Reifende, welche die weithin
leuchtende Kuppel zur Einkehr ladet. Einen Genufs gewährt diefen das Heiligengrab immer: und fei es auch nur die
fehattige Kühle, welche die heben der Kuppel gepflanzten Sykomoren oder Mimofen verleihen, oder fei es das Waffergefäfe,
welches Von frommer Werkihätigkeit dets gefüllt erhalten wird. Reicher bedachte Grabmäler bieten mehr. Aus den
Gaben, welche dem »Heiligen« geweiht wurden, entliehen nach und nach ein Garten, eine Karawanfcrei, in welcher jeder
Obdach, der Hungernde auch meid ein einfaches Nachtmahl findet, ohne daß eine Hand ihm fich fordernd entgegendreckt.
Das Volk betrachtet jedes Sch&hgrab mit heiliger Scheu. Ohne ein Gebet zum Preife Allahs und feines
Propheten zu fprechen, geht Niemand an ihm vorüber. Das Grab felbd und alles, was es enthält, gilt als unverletzlich.
Jede in ihm niedcigelegte Koftbarkeit wird zur »Amäne,« zum Friedenspfande, welches Niemand anzutaden wagt. Wer in
dem Inneren des Kuppelgewölbes Schutz fucht, findet denfelben, fo lange der »Heilige« ihn gewährt.
Ein folches Heiligengrab id es, welches Werner uns vor das Auge führt, lebendig treu und wahr, wie alles,
was fein Pinfel wiedergibt. Wer Scheck Ababde oder Maabde war? Wir willen es nicht. Was er gethan, um Geh den
Ruf der Heiligkeit zu erwerben: — es id verklungen, id vergefien worden. Aber fein Andenken lebt fort bis auf den
heudgen Tag. Taufende von Reifenden, welche den langen WUdenweg glücklich zurückgelegt und bedäubt, verfchmachtet,
verdorrt bei Minieh an den Nil kamen, haben fich diefem Grabe zugewendet und find des Segens theühaft geworden,
welchen das Gedenken an einen Gerechten zur Spende werden liefe.
A . E . Brehm.