N il u f e r bei A chmim.
* H .gvoten ift der Nil mit feinen Schlammufern; alles Andere ift Feifen und Sand», lagt Julius Mofen in
einer wunderlichen und doch reizvollen Erzählung, damit aber nur Worte wiederholend, welche viele Jahrhunderte vor ihm
gefprochen wurden, Worte des hochgebildeten Griechen, dem wir fo lehrreiche Berichte Uber das alte Egypten .verdanken.
»Einen großen Theil diefes befagten Landes», fchildert Herodot, »erachtete auch ich, eben wie die Priefter erzählten, als
neu gewonnenen Boden. Denn was zwifchen dem Gebirge und Memphis liegt, fchien mir vor Zeiten ein Meerbufen gewefen
zu fein. Im arabifchen Lande, nicht fern von Egypten, ift ein Bufen des Meeres, fo das rothe heifst, welcher lieh hinein-
ftreckt lang und fchmal, und ift in demfelbigen Ebbe und Fluth alle Tage. Gerade ein folcher Bufen, glaube ich, ift Egypten
auch einmal gewefen, alfo daß der eine Bufen aus dem Meere nach Mitternacht hinein nach Äthiopien ging und der andere,
der arabifche nämlich, aus dem Meere von Mittag nach Syrien zu, und ihre Winkel Hießen aneinander, und war nur wenig
Land dazwilchen. Wenn nun der Nil einmal feinen Lauf gerichtet hätte in diefen arabifchen Bufen, follte er ihn nicht
zugcfchwcmmthabcn in zwanzigtaufend Jahren? Ja ich glaube, er wäre fchon zugefchwemmt worden in zehntaufend Jahren.
Und follte nun nicht in der ganzen Zeit, welche vor mir gewefen, ein auch noch viel größerer Bufen zugefchwemmt worden
fein von einem fo großen Fluße, welcher fo gewaltige Kraft hat? Darum glaube ich, was die Priefter Uber Egypten erzählen,
und fo däucht es mir felbft gar fehr wahrlcheinlich, wenn ich bedenke, daß man Mufcheln auf den Beigen fieht und ein
fähiges Wefen hervordringt, alfo dafs felbft die Pyramiden angefrelfcn werden, und daß das Gebirge oberhalb Memphis
das einzige in Egypten iß, welches Sand hat, dazu, daß der Boden von Egypten weder dem benachbarten .arabifchen, noch
auch dem lybifchen, noch dem fyrifchen Lande gleicht, fondem fchwarz und geborften crfchcint, dieweil er Moder ift und
Schlamm, welchen der Fluß aus Äthiopien heruntergcftlhrt hat. Libyen aber hat, wie wir wißen, röthlichen und fandigen
Boden, und Arabien und Syrien find thonig und felfig.»
Es giebt keine belfere Befchreibung von Egypten, dem Garten des Niles, welchen diefer felbft anlegte, indem
er Fruchtland Uber die öde WUfte breitete, und an delfen Vergrößerung und Gedeihen er noch heutigen Tages arbeitet.
Alljährlich zu beftimnuer Zeit hebt und trübt fich gleichzeitig das tief gefunkene und nach und nach geklärte Waßer, fchwillt
mehr und mehr an, brauft raufchend und fchäumend noch in Egypten zwifchen des Stromes Ufern dahin, Uberfluthet
diefe und fchUUet feinen Segen endlich Uber das dürftige Land, in welchem kaum jemals ein erfrifchender Tropfen aus den
Wolken zu Boden fällt. Gehcimnifsvoll crfchicn diefer Wechfel des Stromes der blindgläubigen Menge, geheimnisvoll
felbft noch unteren Zeitgenoßen, von denen einzelne, des klaren Blickes jenes gebildeten Griechen ermangelnd, wunderlichen
VViderfmn zu Tage förderten. Man fafelte von einer »Nacht des Tropfens», von einer beftiinmten Stunde, welche in unbekannter
Feme den Nil zum Steigen bringen follte; man wulfte Tag und Stunde auf das genaueftc anzugeben und that,
als ob man die Löfung eines Räthfcls gefunden habe, welches doch fchon lllr Herodot kein Räthfcl mehr gewefen war.
Aber freilich gehört zum Verliehen des Stcigcns des Stromes Kenntnifs des Quellenlandes des gewaltigen, zur Gottheit
erhobenen Niles oder doch Aufklärung, wie fie Herodot von den weifeften Prieftem des Alterthums geworden.
Heute wie vor Jnhrtnufcndcn find cs die während der Regenzeit im innern Afrikas unter Donner und Blitz zur Erde
raufchcndcn Gewitter, welche den Nil zum Steigen bringen. Monate lang lag das weite, zum geringllen Theile bebaute Qucllen-
land des Stromes in tiefer Erflarrung; die glühende Sonne hatte den Pflanzenfchmuck, welchen fie im Vereine mit dem Waßcr
felbft erfchaßen, vernichtet oder doch unter winterlichem Gewände verhüllt; es war eine Zeit eingetreten, deren Ende Menfch
und Thier gleich inbrünftig herbeifehnten. Der wenigftens noch die Nacht kühlende Nordwind war aus Süden ftrömendem
Lufthauche gewichen, diefer aber viel zu fchwach, um auch feine günfligen Wirkungen zu äußern. Doch unter der zunehmenden
Gluth felbft. verflärkt.er .fich von Tag zu Tage, und fchließlich bringt er von Süden her fchwere Wolken herbei.
Allmählig lieht man an dem dunkeln Himmelsgewölbe Blitze aufleuchten; »den belebenden Regen kündet der ferne Donner.»
Endlich raufcht diefer hernieder Uber das Land, wolkenbruchartig, unter einem nicht zu befchreibenden Aufruhr aller Elemente,
und zauberkräftig weckt er den Frühling mit allem feinem Leben und Reichthum. Aber noch vor dem erften Regen fieht
man: da, wo der Nilftrom aus dem weißen und blauen Fluße fich bildet, in allen Ritzen und Spalten des fetten Uferlandes
Waßer von innen nach außen riefeln, den dürren Letten' bald zu Schlamm umwandelnd. Und wenn erft die Regenzeit
wirklich eingetreten, dann wird diefes Riefeln llärker, gewaltiger; auf Meilen hin breitet feeartig fich der Strom, und mehr
und mehr von jenem Schlamme reißt er mit fich fort und trägt ihn durch Hunderte von Meilen hinab in das Tiefland, felbft
in das Meer hinaus, in diefem ununterbrochen neues Land zu dem alten fügend. Dies ift der Hergang der von dem Fgypter
noch heutigen Tages mit Freude begrüßten Nilfchwclle; jenen Gewittern verdankt er die Fruchtbarkeit feines Landes.
Aber nicht zehn- oder zwanziglaufend Jahre hat der Nil gebraucht, um Egypten zu dem zu machen, wes es ift.
Denn fo trübe auch fein Waßer, fo viel Schlamm er enthält, und fo ficher alljährlich fich etwas von dem letzteren auf allen
zeitweilig Uberfchwemmten Stellen ablagert, fo beträgt diefe Schicht doch unendlich wenig im Verhäitnife zu der bereits
vorhandenen Maße. Durch Berechnungen, welche man an den Bauwerken von Theben an Hellte, will man gefunden haben, daß
die Bodenerhöhung Egyptens in einem Jahrhundert 15 Centimcter beträgt; es fragt fich aber fehr, ob diefe Schätzung nicht zu
hoch gegriffen ift: denn es erfcheint höchft wahrfcheinlich, daß das Fruchtland, deffen Schichtftärke zu dreißig Meter
angenommen wird, in einem viel größeren Zeiträume angefchwemmt worden ift( ab jene Rechnung ergeben würde.
Es bedarf nach dem Mitgetheilten kaum einer befonderen Auseinanderfetzung, daß das Nilufer überall da, wo
der Strom im Laufe der Jahrtaufende den früheren Meerbufen anfttllte, ein höchft eigenthümliches Gepräge zeigt. Sanft
abfällende, fändlge oder kiefige Ufer giebt es in Egypten nicht; fie findet man erft hoch oben hier und da in Nubien
und mehr noch in den Quellenländem des Stromes. In Egypten fällt das Ufer überall jäh zum Nile ab, ändert fich auch
alljährlich mehr oder weniger; denn fo hoch es fich Uber den Spiegel des Stromes erhebt, immer befiehl es aus gleichmäßigem,
fchwarzem oder bräunlichfchwarzem Schlamme von einer in den Augen des Arabers unergründlichen Höhe. Von
diefem Schlamme nimmt der Strom alljährlich hier große Maßen weg, um fie anderswo wieder abzulagem, und es bilden
fich somit Schluchten und fcharfe Vorfprünge, welche aber nur ausnahmsweife mehrere Jahre fich erhalten, vielmehr immer
verändern, je nachdem es der Laune des Stromgottes gefällt. Dörfer, welche vor Zeiten unmittelbar am Nilufer Händen,
liegen gegenwärtig eine ziemliche Strecke von ihm entfernt, und andere, welche nicht unmittelbar an feinen Ufern lagen,
wurden im Laufe der Zeit an diefe gerückt, ja fogar gänzlich weggewafchen und ihre Einwohner gezwungen, tiefer im
Lande fich anzufiedeln. Wenn der NU langfam fich hebt, beginnt feine Arbeit an den Ufern- Ein mächtiges Stück wird
unterwafchen, der Schlamm in der Tiefe gelockert und aulgeweicht, durch das Gewicht der obenaullagemden Maße
zufämmengeprefst; ein dem Uferrande mehr Oder weniger gleichlaufender Riß bildet, erweitert fich zu eurem Spalte, und