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Starres Fefthalten an dem von den Urvätern Ererbten und Ucberkommenen, beharren auf uralten Sitten und
Gewohnheiten, gilt in den Augen des heutigen Morgenländern und des Egypters insbefondere, als hüchfte Lebensweisheit.
Fell und unerfchiltterlich, wie die Pyramiden und fonlligen Denkmäler aus vergangenen Jahrtaufenden, hängt der im
Nillande häufende Araber am Alten. Sein Glaube, Harr und unbeugfam, regelt fein Denken und Handeln, feine Sitten
Und Gewohnheiten. Derfelbc Grufs, welcher vor Jahrhunderten gefpendet ward, klingt heute noch von den Uppen wieder;
dicfclbcn Redensarten, welche die Bibel aus alten Zeiten auf uns Uberbrachte, vernimmt man noch täglich aus dem Munde
des Arabers. In feinem Leben und Treiben hat Einxelncs fich .geändert, ohne dafs das Gefammtgepräge verloren
gegangen wäre. An dem feftllchenden wie an dem leicht beweglichen Haufe aus gewebten Tüchern find Jahrhunderte
fpurlos vorüber gegangen, und der Bewohner der Behaufung ift im grofsen und ganzen dcrfelbe geblieben, welcher er
von. jeher war. Die neue Zeit mit ihren EmmgenfchSftcn gelangt in Egypten nur in fo fern zur Geltung, als das Gepräge
dcrfelbcn dem Lande gewaltfam aufgedrückt wird; auf den Bewohner des Landes aber macht-auch unfer Jahrhundert
ebenfowenig Eindruck wie alle früheren. Ein Fortfehritt in unferem Sinne ift dem Araber unfafslich; er läfst ihn Uber fich
ergehen, ohne Vorftändnife fiir ihn zu gewinnen, ohne ihn anzunehmen. Dampffchiffc, Eifenbahncn, Telegraphen und
fonflige Verkehrsmittel, Mafchinen, Fabriken und anderweitige ErgebnifTe der Neuzeit, welche im Lande gefchaffen wurden,
find von der Regierung gebaut, cingelUhrt und nufgcftellt worden, nicht aber aus den Wünfchcn der Gefammthcit der
Bewohner hervorgegangen. Diefe nimmt Neuerungen an, weil fie mufs oder zu müffen glaubt, fieht in den meiden jedoch
nichts anderes als Zwangsmittel. An dem Gewefenen hängt, in der Veigangenheit lebt der Araber; alte Zeiten fchnt er
fielt mit Inbnmft zurück; ein hundertmal gehörtes Märchen aus den Tagen des Chalifen Abd el Rafliid dünkt ihm
werthvoller und köftlicher als alle Weisheit fpäterer Gefchlechtcr und zumal als alle ÜcbertragUngen aus dem Lande der
Franken. Keineswegs unbegabt, im Gegentheile lehr geweckt und lernfähig, gewinnt er rafch Verftändnifs für eine fremde
Sprache, lernt bald in diefer fich auszudrückcn, fcheint auch" fremde Sitte anzunchmen: im Grunde kommt der auf euro-
päifchcn Schulen Gebildete zurück, wie er weggegangen; die Kultur hat ihn yvohl beleckt, nicht aber umgewandelt. Und
wenn er wirklich verhielten wollte, das in der Fremde- Erlernte weiter zu verbreiten, würde fein Wirken fo gut als cin-
flulslos bleiben auf die Gefammthcit (einer Stammesgcnolfen. Alljährlich flrömen Taufende von Reifenden, Hunderte von
Handwerkern und Gewerbetreibenden in das Nilland, ohne dafs eine maßgebende Einwirkung diefes Menfchenftromes auf
die alteingefelfcnc Bewohncrfcltaft erkennbar wäre. Europäer und Araber, Chriften Und '.Mohammedaner,, vereinigen, ver-
ntifchen, verquicken fich nicht, fdiliefsen fich eher von einander ab, gehen mindeftens gleichgiltig, ohne Liebe und ohne
Hnfs, neben einander her. In jeder Stadt, in welcher Europäer fielt anfiedcln, bildet fich ganz von felbll ein Franken-
viertel, welches von den übrigen Stadttlieilen fielt abtrennt; in ihm häufen und verkehren, arbeiten und wirthfehaften die
Fremdlinge fo gut als nach eigenem Belieben; Da, wo es endet, beginnt das Araberthum und tritt auch trotz des guten
und böfen Beifpiels der Fremden durchaus noch in uralter Weife auf. Der Diener und die Dienerin, welche ein Jahrzehnt
hindurch litt Haufe eines Europäers Befchüftigung fanden, deficit Sprache erlernten, defien Sitten Und Gewohnheiten bis zu
einem gewifien Grade annehmen ,mußten, werden von dent Augenblicke an, welcher ihnen zur Selblländigkeit verhalf,
wieder Araber,' wie fie cs waren; der Gehilfe des europäifdten Handwerker!, welcher diefent die ihm früher ungewohnten
Handgriffe ablernte, mit fremdartigen Handwerkszeug zu arbeiten fich gewöhnte, greift, Meifter geworden, wieder zudem
feinen eingeborenen Gewcrbsgenolfen geläufigen Geräth, fetzt fich, aus der mcchanifcltcn Weberei kommend, wiederum
an einen Webftuhl, welcher von Noah erfunden worden zu fein fcheint, mindeftens auf den Wandgemälden in den altägyptifchen
Grabkammern bereits getreulich dargeftellt ift; der Bauemfohn, welcher auf den Feldern des Khedive den Dampfpfiug zu
lenken hatte, lehnt fielt zurück nach feinem urfprünglichen Ackcrgeräth und fieht in dem aus Kamel und Stier beftehenden
Zugthieren ein ihm ungleich lieberes Gefpanh als in der dampfbewegten Mafchine.
Wer an der Wahrheit des Vorftehenden zweifeln könnte, braucht blofs einen Gang durch die Bafarc einer
ägyptifchen Stadt zu machen, um fich von dem Hange des Arabers am Althergebrachten zu überzeugen. Der Bafar
ift nicht allein Markt, fondern auch Wcrkftätte der morgcnländifchen Handwerker. Der Schmied bearbeitet hier, in einer
kleinen Verkaufsbude mehr fitzend als flehend, verfchiedenes Metall; der Kupferfchmicd hämmert unter ohrenbetäubendem
Getöfe Kefiel, Pfannen, Tigel, Kannen aus; der Waffenfchmicd fetzt mit Hilfe erbärmlicher Feilen, Hammer und Meifel
ein Gewehr zufammen, defien Schall er vollendete; der Drechsler rundet, mit der einen Hand den Drchbogcn, mit der
anderen und den Fufszeltcn den Meifsel führend, feine Hölzer; der Pfeifcnmachcr fetzt in ähnlicher Weife feine Bohrmafchinen
in Bewegung, während feine Gehilfen die gebohrten Röhre mit Seidenzeug und Golddraht umkleiden, bequaften und
verzieren; der Schneider verfertigt in einem Laden, defien Fufsbodcn nur fo viel Flächenraum hat, um ihm und feine
Gefcllcn nolhdUrftige Sitzplätze zu gewähren, kunftvoll gedickte, oft noch reich mit Gokldraht verzierte Gewänder wie die
cinfachftcn Anzüge für Vornehm und Gering; der Schuhmacher müht lieh in einem nicht minder beengten Raume der
feine Dicnlle hcifchendcn viel verlangenden Harämfchönhcit wie der anfpruchlofcn Fellahhc gerecht zu werden; der Oel-
händlcr und WohHuftvcrkäufcr milcht feine, alle Wohlgerüche Arabiens, Indiens und Innerafrikas yerftrömenden Eflenzen
nach Gefchmack und Belieben feiner-Kunden; der arabifche Apotheker wiegt Arzneimittel für wirkliche und geträumte
Leiden; heil- und zauberkräftige Stoffe gegen die Qualen der Eiferfucht oder verfchmähten Liebe, unfchuldige wie giftige
Pflanzen, unfchädlichC wie Leib und Leben zcrflörende Mineralien ab, ohne vom Gefetz und Marktaufiicht behindert oder
auch nur behelligt zu werden; der öffentliche-Schreiber bringt wahllos Bittgefuche, Prozefsfachcn, Liebes- und Gefchäfts-
angclegcnheiten zu Papier oder fchreibt, unter kaum zu rechtfertigender Beraubung der ihm wohlbekannten alten Dichter,
Verte nieder, welche bcliimmt fein follcn, in nächtlicher Stunde dunkle Augen zu feuchten und fpröde Herzen zu rühren.
Der nicht felbft erzeugende Kaufmann verfucht hier, feine Waarcn an den Markt zu bringen und feine Gefchäftsbücher
in Ordnung zu halten; der wie ein Hanswurft mit allerlei Waaren behangenc Trödler fucht hier Bieter und fchreit deren
Gebote in jedermanns Ohren; alle Übrigen Geiverbtreibenden bis zum Wafferträger, Volkslängcr, Märchenerzähler, Gaukler
und Bettler herab haben liier ihren feilen Stand. Sie alle find genau diefelben, welche fie vor Jahrhunderten waren. Die
Erzählungen aus »Taufend und einer Nacht« können auf fie bezogen werden.
Ein Marktbild, wieman es in jeder Stadt Egyptenlandes tagtäglich fehenkann, ift es, welches der Künlller uns vor
Augen führt An einem Stuhle, defien uralte Einrichtung auch ohne Worte erkennbar ift, fitzt der Bandweber, einer der
wenigen Handwerker des Morgenlandes, welche fo gut als ausfchlicfslich den Frauen dienen; Leib und Beine find gföfetentheils
in einem einfachen Loche verborgen, um die kcltenvcrfchlingcnden Tritte zu bewegen. Er webt aus fcinflcr Seide einen
brennendrothen Gürtel, beftimmt die Beinkleider von Weib und Mann über den Lenden zu befeftigen, während ein eben
vollendetes Stück derfelbcn Art bereits vor den Augen einer fchönen Käuferin Gnade gefunden hat Sem grüner Turban
kennzeichnet ihn als einen Scherif oder Nachkommen des Propheten, defien Zuneigung für das fehönc Gefchlccht er dualen mag.
A . E . B rehm.