N u b i s ch e s K in d .
D i e Stromfchnellcn von Aflüan trennen Nubien ebcnfo beftmimt von typten, wie die Alpen Italien von
Deutfchland, die Pyrenäen Spanien von Frankreich fcheiden. Jenfeits der Stromfchnelle oder des fogenannten erden
Katarakts bekunden Land und Volk ein von dem bisher beobachteten durchaus verfchicdencs Gepräge. Wie eine
Grenzmauer zwilchen beiden Ländern ziehen fich fchwarzc, glänzende SyenitmafTen queer durch den Strom, hier in Hunderte
von Infein zertrennt und gefpalten, zu beiden Seiten des Nils dagegen mehr oder weniger ununterbrochen fich noch auf
weithin fortfetzend. Diesfeits diefer Syenitzllge endet Egypten, jenfeits beginnt Nubien — ein neues Land, unter einem
anderen Himmel.
Der befruchtende Strom, welcher fich fein Kleinod, Egypten, im Laufe von Jahrhundcrttaufenden erfchuf, indem
er das erweiterte Thal mit dem durch Hunderte von Meilen herbeigetragenen Schlamme ausfUllte, führte diefen durch
Nubien, ohne mehr von ihm abzulagem, als hier und da einen fchmaten Rand, hier und da ein Eiland in feiner Mitte. Mit
Ausnahme weniger Stellen in dem langen gewundenen Slromthale, welches den Namen Nubien führt, drängen fich die
dunkelglänzenden Fellen mallen überall bis an das Ufer des Niles heran, und die WUlte rollt Uber fic hinweg und bis
in das Bett des Stromes hinein die goldgelben Sandwogen, welche fo wunderbar abftcchen von den fchwarzen Felfen,
und von denen fich wiederum die hier gar fpärlichen Dattelpalmen oder die nicht minder einzeln flehenden verurteilen
Tompalmen mit ihrem dunklen Blattwerk lebendig abheben. Glühend blitzt die Sonne hernieder von dem feilen oder nie
bewölkten Himmel; kein Regentropfen crfrifcht im unteren und mittleren Nubien die dürftige Erde, und erft in den
füdlichflen Theilen des Landes fällt wieder zeitweilig der belebende Niederfchlag, aus den vom Süden herauf getragenen
Wolken zum Boden herab. Selbft die Lebensader Nord-Oft-Afrika's fpendet dem Sonnenlande ihre Wohlthaten nicht: der
befruchtende Strom liegt gefcflelt zwifchen feinen hohen Ufern, und nur mit Mühe gelingt es dem Menfchen, hier und da
die fchlammhaltige Woge auf jene fchmalen Ränder zu leiten, welche er im Schweifsc feines Angefichtes zu Feldern
umgefchaflen hat. In Egypten erreicht der Nil die Wllfte, in Nubien die -WUlte den Nil.
Ebenfo verfeinerten wie die beiden Länder Egypten und Nubien find die beiden Völkerfchaften, welche fic bewohnen.
-Beide haben mit einander nichts gemein: weder Leibesgeftalt noch Haut, weder Abdämmung noch Sprache, weder Sitte
noch Gebrauch, kaum den Glauben, obwohl die Einen wie die Anderen das Bekenntnifs ablegen: »Nur einen Gott gibt
es, und Mohammed ifl fein Prophet!»
Die Egyptcr find Araber, eingewandertc Horden aus Jemen und dem Hedjäs, welche die früheren Einwohner
verdrängten, die Nubier Äthiopier aus dem Inneren Afrikas, welche, wie es fcheint, fchon zur Zeit der alten Egypter indem
Slromthale lebten. Jene reden noch heute die Sprache, in welcher Mohammeds1 »Offenbarungen» niedergefchriebcn
wurden, diefe fprechen eine Mundart des Älhiopifchen, welche fich im Laufe der Zeit zu einer befonderen, in mehrere
Zweige zerfallenden Sprache umgebildet hat; jene befitzen und pflegen ein uraltes Schriftthum, diefe haben nie ein folchcs 1
gehabt. Jene bekunden noch heutigen Tages den Emft der WUflenfÜhne, ihrer Vorfahren, fo wenig (ie auch fonft von
deren edlen Gcfinnungcn behalten haben; fic forgen fich mit der auch auf uns überkommenen Angft aller Morgenländer
während ihres ganzen Lebens um das Jenfeits und regeln nach ihren Träumen von dcnfelbcn Sitten und Gebräuche: diefe
haben fich die kindlich heitere Lebensfreudigkeit aller Äthiopier bewahrt und leben wie Kinder in den Tag hinein, das
ihnen Wohlthucndc mit Dank, das ihnen Schmerzliche mit lauter Klage entgegennehmend, das eine wie das andere aber
unter dem Einfluffc des Augenblickes leichtfertig vergeltend. Auf beiden laftet gleichmäßig das Joch des Frcmdhcrrfchcrs:
der Egyptcr trägt es (löhnend und grollend, der Nubier ohne zu murren und gleichmüthig; jener ift ein verbiffener Sklave,
diefer ein williger Diener. Jeder Egyptcr dünkt fich hoch erhaben Uber dem Nubier, hält fich feiner Abdämmung, Sprache
und Sille halber für edler als diefen, prahlt mit feiner Bildung, obgleich folchc nur fehr Wenigen feines Volkes eigen ift,
und flicht den dunkelfarbigen Mann ebenfo unbedingt zu unterdrücken, als er fich widerftandslos der über ihn verhängten
Kncchtfchaft fügt: der Nubier erkennt die leibliche Ueberlegenheit des Egypiers im allgemeinen, die geiftige Bildung
hervorragender Männer des Nachbarvolkes widerfpruchslos an, fcheint fich kaum bewußt zu fein, daß ihm eigene Bildung
abgeht, ift zwar auch geneigt, den minder Kräftigen zu unterjochen, (teilt fich aber felbft mit dem erkauften Neger auf
brüderlichen Fuß und ergibt fich geduldig in das auf ihm lallende Verhängniß, nachdem er mit Aufbietung all* feiner
Kraft, nach heldcnmüthigem Widerftande vergeblich verfucht, das ihm drohende Unheil abzuwehren. Er ift eben noch
Naturmenfch mit jeder Fafer feines Wcfens, während der Egyptcr als ein trauriges Bild eines verkommenen und mehr
und mehr verkommenden Volkes erfcheint. Er ift auf dem reichllen Boden der Erde zum Sklaven geworden: der Nubier
hat fich auf der unergiebigsten Scholle noch eine gewifle Freiheit bewahrt.
Diefe Unterfchiedc im Sein und Wcfen beider Völkerfchaften drängen fich auch dem Aüchtigften Reifenden auf.
welcher von Egypten kommend, Nubien betritt; fie werden ganz befonders bemerkbar, wenn man die Kinder der Nubier
mit denen der Egypter vergleicht. Diefe find emft wie ihr Vater, jene heiter wie ihre Mutter. Die einen wie die anderen
werden wenig oder nicht eizogen, fondem höchflens zur Arbeit angehalten, richtiger, nach Verhältnifs ihrer Kräfte ausgenutzt
und verwendet; in Egypten aber bleibt ihnen neben der Arbeit kaum Zeit zur Erholung, und wird der Knabe zum Knechte,
das Mädchen zum Weibe, ohne daß jener die Kindheit kindlich durchleben konnte und ohne daß man diefcs erft zur
Jungfrau heranreifen ließ. Anders ift cs in Nubien. Auch liier nutzt man die fchwachen Kräfte der Kinder nach
Möglichkeit, gönnt ihnen aber doch Zeit zum Spielen und läßt dem kindlichen Frohfinn gewähren. So klein der Knabe,
einen Dienll muß er leiden, ein Aemtchen verwalten; fo fchwach das Mädchen, der Mutter muß es helfen bei allen
Verrichtungen, welche hier den Frauen obliegen: nach der Arbeit aber vereinigen fich Knaben und Mädchen zum Spielen.
Jene laffen das Schöpfrad, deflen Zugochfen fie antreiben mußten, das Feld, in welchem fie dem Vater behülflich waren,
das junge Kamel, welchem fic traben lehrten, diefe das kleinere Gefchivifter, welches fie fchleppten, in der Hütte, den in
der Sonne gährenden Brotteig, welchen fie zu überwachen hatten, vor der Hütte, den Reibllein, an welchem fie bereits
helfen mußten, däs Korn zu zerkleinern. Alles eilt dem Strome zu, die Knaben meifl gänzlich nackend, die Mädchen
nur mit dem Rahhad, jener überaus kleidfamen LederftreifenfchUrze bekleidet und mit hörnernen oder eifemen Armbändern,
nicht aber auch mit Glasperlen und anderem Kettenzierrath gefchmückt; denn es gilt jetzt die volle Behendigkeit des
fchlanken, braunen Leibes, die ganze Gefchmeidigkeit der zarten Glieder zu zeigen. Plappernd und lachend zieht die
Gefellfchaft dahin, mit kindlichen Scherzen den Weg fich kürzend, bis fic den Spielplatz erreicht hat. Hier ordnen fich
die Häufchen, und das beliebte Kinderfpiel »Hafchen» beginnt. Wie dunkle Ameifen wimmelt es im goldgelben Sande,
zwifchen und auf den fchwarzen Felfen, bß der zum Flüchtling geflempelte Knabe, dem einiger Vorfprung gegönnt war,
das Zeichen zum allgemeinen Rennen gibt. Wie eine Gazelle läuft er Uber die fandige Ebene dem nächften Felfen zu,
wie hetzende Windhunde jagt die lärmende Rotte hinter ihm drein; wie eine Gemfe klettert er an den Felfen empor,
hernieder, und gemfengewandt heften fich die Verfolger an feine Ferien; wie ein erfchreckter Biber ftürzt er fich in den
Strom, zunächll gewandt in deffen trübe Tiefe tauchend und dann erft zum Schwimmen fich entfchließend: aber auch
hierher folgen ihm die Gefährten, Knaben wie Mädchen, mit Händen und Füßen flrampelnd und arbeitend wie fchwimmende
Hunde, rufend und fchreiend, fchwatzend, lachend und kichernd wie fchnattemde Enten. Lange fchwankt das Zünglein
der Wage, und gar nicht feiten gefchieht es, daß der breite Nilftrom überfchwommen wird: endlich aber muß fich der
kühne Vorfpieler doch gelangen geben, und des Spottens und Lachens ift nun kein Ende. Die gereiften Alten aber
flehen zufchauend am Ufer und freuen fich über die Gewandtheit ihres Nachwuchfes, und felbft der Europäer mufs
zugellehen, dafs ihm lebensfrohere, munterere Wefen nirgends vorgekommen, als diefe fchlanken, fchönen, duftigbraunen
Kinder es find.
A . E . Brehm.