A n s ich t d e r I n s e l P h il a e .
Die Infel Philae, welche am fildlichen Ende des zwilchen Aegypten und Nubien als Grenzfcheide fich hinziehenden
Kataraktengebietes liegt, iil einer der landfchaftlich fehönften Punkte im ganzen Nilthalc. Von weicher Seite aus
auch immer wir fie betrachten, ob vom Nubifchen Ollufcr aus oder von der ihr wcfUich gegenüberliegenden Fclfeninlel Bigeh,
ob beim Kommen von Norden oder Süden unlcr Blick auf fie lallt, überall tritt Philae, die von den geheimnilsvoll fiuftemden
Waffern des Niles umraufchtc, von duftenden Mimofen und fdilankcn Palmen fo lieblich umkränzte und mit hochragenden
fich fcharf in den reinen Aethcr hineinzcichnenden Tempeln fo herrlich gefchmückte Infel der lfis als ein entzückend fchönes
Bild uns entgegen. Unter den drei flkllichcn, von W. nach O. einander gegenüberliegenden Kataraktcninfcln: Hcffeh, Bigeh
und Philae ift fie die bei weitem kleinfte; während Helfeh wohl 6mal fo grofs als Philae ¡ft, hat diele die geringe Längcn-
ausdehnung von nur etwa 1200 Fufs und wird an ihrer breitcllcn Stelle wohl nicht über 420 Fufs melfen. Nach den Angaben
der franzöfifchen Gominiftion in der »Defcription de l'Jigyte« beträgt der Umfang der Infel 900 Meter. — Zum Schutze
gegen die andrängenden Fluthen hatte inan das ganze Eiland ringsum mit einer ebenfo feil gemauerten als gefchickt angelegten,
mehrfach in Winkeln vorfpringenden Uferunnvallung eingefaßt, die noch heute zum großen Thcil wohl erhalten
ift und Uber welcher auf der Oftleite der Infel fich ungemein malerifch ein Kiosk aus römifcher Zeit erhebt, das in der
vorliegenden Aufnahme die Mittclgruppe bildende i4fäuligc, frei auf der Terralfc
Heilende, nicht überdeckte und auch auf den vier Seiten nicht gefchlofleneTempelchen,
welches dem fchönen Bilde der Infel Philae einen ganz befonderen Reiz verleiht Der
Sculpturenfchmuck diefes Baues ift unvollendet geblieben, doch die wenigen an ihm
zur Ausführung gekommenen Darftellungen und Infchrillen reichen aus, uns Uber die
Entflehungszeit deffclben aufzuklärenwir erfahren aus der hicroglyphifchen Namens- ^
beifchrift, die mehreremal hier neben dem in Huldigung vor der lfis dargcltelken
Herrfcher hinzugelügt ift, dafs unter dem Kaifer Trojanus diefes kleine Tcmpelchen
auf -Philae erbaut worden. —
»Aegypten ift ein Gcfchenk des Niles,< bemerkte cinll mit Recht der gelehrte
Reifende von Malicarnass. Des wunderbaren Stromes Werk ift das frudttreichc
Land an beiden Ufern und feine Schöpfung find nicht minder die mit kulturlähigcm /M \
Boden Uberklcidclen Infein im Flußbetlc. ln vorhiftorifchcr Zeit, aus dem Herzen t itVwT
des Weltthcils fich nufinnchend, nahm er in der Riclttttng nach Norden zu feinen Lauf ■VT
und nun auf feinem langen Wege zum Meere hin, hier Steppen und Wüllen dttreltzicltend,
dort Widcrltand leidende Felswände in Trümmer legend und fich Bahn durah
fie brechend, wufch er da allmältlig ein fchmalcs, langgell rechtes Thal fielt aus, bedeckte
den von ihm gebahnten Pfad alljährlich dann mit feinen Ubcrfluthcnden Ge-
wälfern, ließ eine Schlammfchicht ftets zurück, die nach und nach nun immermeltr an
Ausdehnung gewann und fchuf fo in jahrtaufend langer Arbeit, in einem durch Jahr-
taufende fortgefetzten Kampfe mit feinen feindlichen Nachbaren, den beiden Wüllen
zur Rechten und Linken, fdilicßlicli inmitten einer gänzlich vcgctationslofcn Ocde jenes fo reich gefegnete Stück Erde,
welches als eine angenehm überreichende Ausnahme von dem allgemeinen Charakter der unwirtltfanicn Sand- und Feifen-
wüften Nordost-Afrika's uns heule dort entgegentritt. Wie alfo der Leben und Segen fpendende Nil cs ift, dem das
fruchtbare Land an feinen Ufern Enlftehung und Erhaltung verdankt, fo find auch nicht minder die mit kulturlähigcm
Boden überdeckten Infcln ¡111 Mulle lediglich fein Werk. An dem dem Nubifchen Ufer zugekehrten Ollrandc der Infel
Philae, und zwar nach Süden hin zur Seite des vorerwähnten römifchen Kiosk, dort feiten wir mehrere Gruppen von
mächtigen Granitfclfcn fich erheben, die heute die SUdofteckc der Infel bilden, doch ehemals aß ifolirtc Felsblöcke
hier, getrennt von anderen, tliciß größeren, theils kleineren Granitmafien, in ödefter Einfamkcit aus den fie umfehäumenden
Wogen herausftarrten. Diefc Granitfclfcn nun, welche in Gegenwart, wenn wir Philae, wie in der vorliegenden Aufnahme,
von SUdoften her betrachten, uns dann die auf der Wcftfeitc der Intel errichteten Monumente verdecken, und zwar die
beiden an der Sudwcllcckc der Infel fielt lühziellenden Colonnadcn ganz und gar und den nach Norden zu ihnen vorgelegten
großen Tempel der lfis zum größten Theil, fo dafs von diefem nur das vorderfte hohe Pylonenthor zu sehen ift, diefc
Fclsmafien find es. gewefen, welche in einer heut nicht mehr zu bellimmenden Vorzeit die Entilehung und Bildung der
Infel Philae veranlaßlen. An ihnen pralltenjahrtaufendc hindurch die hier mit reißender Gewalt fich vorwärts drängenden
Fluthen des mächtigen Stromes ab, die an dem Widerftand leidenden Gellein zcrfchellenden, an demfelben Halt machenden
und in den Feßfpalten verlaufenden Gewäfler fetzten nun an dieferStclic alljährlich einen Thcil jenes fruchtbaren Schlammes
ab, den die Wärter des Niles mit (ich Alhren und aus jener in unwandelbarer Regelmäßigkeit fich wiederholenden Land-
anfehwemmung entftand denn im Laufe der Jahrhunderte die fchöne Infel Philae, lö wie fie heute vor uns liegt.
Nach den Monumenten zu urthcilcn, mufs auf der weftlichcn Nachbarinfel Bigeh die Bodenbildung weit früher
vor fielt gegangen fein, aß auf Philae, da dort fich Rcftc von Denkmälern befinden, die bß ins alte Reich zurückgehen,
wie z. B. eine Graniiftattie des Königs Ufert.efen III.,.des 5. Herrfchers der 12. Dynaftie, alfo noch dem 3. Jahrtaufend
vor unferer Zeitrechnung angehörend, während die Monumente auf Philae nicht über das 4. Jahrhundert v. Chr. hinauf-
reichen. Das bß jetzt aß ältelles Denkmal auf Phiße nachgewiefene Bauwerk ift der kleine, in feiner Anlage dem
öftlichen Kiosk feltr ähnliche Tempel auf der SUdwcftecke der Infel, errichtet einll, wie die am Architrav und an den Säulen
angebrachten Bauinfchriftcn befagen, unter der Regierung des zweiten Nectanebus, des letzten cinheimifchen Herrfchers
Aegyptens, jenes unglücklichen Königs, der nach langer und tapferer Gegenwehr,
fehließlich der Uebermacht feines mächtigen Feindes unterliegend, im Jahre 345 v. Chr.
an den Großkönig der Perfer Artaxerxes Ochus fein Reich verlor. In nördlicher
Richtung vor diefem von Nectanebus II. der Ifis-Hathor geweihten Heüigthume ziehen
fich nun die beiden überdeckten nach den Außenfeiten gefchloflenen, nach innen zu
mit ihren 'Außenfenftem nach der Infel Bigeh hin gewendete und eine unvollendet
gebliebene töläulige, die zur Rechten. Nun folgt in weiter fortgefetzt nördlicher
Richtung das Hauptdenkma! von Phiße, der große Tempel der lfis, an welchem fall
während des ganzen Zeitraumes der Ptoloinäerhcrrfchaft, von Ptolomäus II. Phiß-
dclphus an, und auch noch unter der Regierung der elften römifchen Kaifer gebaut
worden. Ein mächtiges, hochragendes Pylonenthor — in unferem Bilde zwilchen dem
Kiosk und der (lidöftlichcn Fcßgfuppe hervorblickend — eröffnet auch hier wieder,
wie bei jedem größeren ägyptifehen Kultustempel den Bau. Das zwifchcn den beiden
Thorthürmen cingetügic Hauptportal durchfehreitend — noch ein Nebeneingang
ift in dem linken (dem weltlichen) Pylonenflügel angebracht — gelangen wir nun in
einen offenen, zur Rechten und Linken von Seitengebäuden eingefaßten Vorhof, diefem
folgt ein zweites Pylonenthor, welches den Zugang zu dem vorderften, von 10 Säulen
getragenen hypoftylen Saale bildet, an den fich nun die Räume des Profekos und
Sekos anfchliefscn. — Noch ein kleines, der Göttin Hathor geweihtes Heiligthum
ift auf der Olthälfte der Infel angelegt, ziemlich eben fo weit von dem Kiosk ent-
Neben hieroglyphifchcn Infchrillen ift hier auch eine griechifche Weihinfchrift Uber
cingemeilfelt, allo lautend: '.A KABOUATPA UAJBJGM KAI
tTAIAOPOAITUI" wonach .der König Ptolomäus (und zwar der
IX. Euergctes 11.) und feine königliche Schweller und Gemahlin Cleopatra die Ehre für fich in Anfpruch nehmen,
diefes kleine Heiligthum der Aphrodite geweiht zu haben. Ein dem Imhotep-Asklepios zu Ehren erbautes Tempelhaus
befindet fich in geringer Entfernung llldlich von dem vorderften öftlichen Pylonenflügcl, mit feiner Südwand anftoßend an
die töläulige örtliche Colonnade. Auch hier ift Uber dem Portale wieder in griechifehen Lettern eine Infehrift angebracht,
ähnlichen Inhaltes in Bezug auf den Gott Imhotep, den ägyplifchen Aesculap, wie die oben mitgetheilte in Bezug auf die
Hathor-Aphrodite.
Grundriß, welchen ich zur Orientirung über die Monumente auf der Infel Philae befcegeben, ift aus Lepfius
großem Denkmälerwerke c
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