D e r I s is t em p e l au f P h il a e .
W enn 11131» bpi einer ftroraaufwärts gerichteten Nilfahrt an der füdlichen Grenze Egyptens angelangt ift, verändert
lieh mit einem Male die Phifiognomic der Landfchaft. Das zivifchen Cairo und dem Affuancr Katarakt fich ausbreitende Egypten
ift ein von Norden nach Süden fich hinziehendes Längenthal, bald von den im Oftcn und Wellen cs begrenzenden Höhcn-
zUgen eingeengt, bald zu einer weiten Ebene fich ausdehnend, durchweg ungemein fruchtbar und reich an bevölkerten
Ortfchaften, und der Character der egyptifchen Landfchaft ift fall überall ein friedlich lieblicher. Nubien dagegen ift eine
zum gröfsten Theil Öde, die geringe Zahl der armfeligen Bewohner kaum nährende Fclfenwildniß, deren kulturläliigcr
Boden oft auf meilenweite Strecken nur einen wenige Fuß breiten Uferftrcifcn ausmacht. Ein Strom, der fall durchgängig
auf beiden Seiten von hohen Felswänden eingefaßt ift, und dem in feinem Laufe fortwährend mächtige Syenit- und
Granitblöcke hindernd entgegen treten, liic und' da einmal eine von Schlingpflanzen umrankte Palmcngruppe oder ein
-grünendes Saatfeld, hie und da einmal ein paar vereinzelt flehende ärmliche Hütten auf dem fchmalen Uferftrcifcn,
das ift das Bild, welches wir bei einer Fahrt durch das Nubierland vor uns haben. Die Gegend ift zumeill unendlich öde,
aber, als Landfchaft betrachtet, grofsardg fchön. Eine Fahrt auf dem egyptifchen Nile, gewiß, auch fic bietet manches
fchöne Bild, und namentlich fehlt auch der egyptifchen Landfchaft nicht jene fo Uberrafchend fchöne, dem Orient eigene,
Morgen- und Abendbeleuchtung-, gewiß, es entzückt uns auch hier an jedem Moigen und Abend immer wieder aufs Neue
die wunderbare Farbenpracht des glänzenden Feierkleides, in welches beim Kommen und Gehen des Sonnengottes Himmel
und Erde fich hüllt, gewiß, es llrahlt auch hier beim Auf- und Niedergang der Sonne die Gegend um uns her mitunter
in einem wahrhaft zauberhaften Lichte, im Großen und Ganzen aber haben wir, einige wenige Punkte ausgenommen in
Egypten beinahe fortwährend diefelbe Landfchaft, in welche auch die zahlreichen Ortfchaften, an denen wir auf der Fahrt
vorüber kommen, wenig Abwechfclung bringen, denn Stadt und Dorf, cs lind immer dielelbcn erdgrauen, aus getrockneten
Nilfchlammziegeln aufgefUhitcn Hütten, eingelaßt von Palmen, Sykomoren und Mimofengruppen, zwifchen denen dann gewöhnlich
einige Minarets gcfchmacklofefter Bauart und die thürmförmigen, in der Regel an dem oberen Stock der Gebäude angebrachten
Taubenliäufcr hervorragen, Achmim oder Minieh, Affuan oder Esnch, Edfu oder Dendera, das eine lieht aus wie das andere
und was die beiden Höhenzüge betrifft, welche das grünende Thal, mit den blauen Walfem des Stromes in feiner Mitte,
auf der Oft- und Weftfeite begrenzen, fo wird durch diefes Sonnenverbrannte, in feiner Formation unendlich monotone Gellem
ebenfalls keine befonderc Abwechslung in die cgyptifche Landfchaft gebracht. Ganz anders hinter dem Katarakt von Affuan;
von hier ab ein anderer Strom, ein anderes Land, ein anderes Volk! Nicht mehr auf den Wogen des in majcftätifchcr
Rulie ein fruchtbares Thal durchziehenden Geiväffers treibt nun unfer Fahrzeug dahin, fondem vorwärts geht cs jetzt zwifchen
öden, wild zerklüfteten Felfcmvändcn, vorwärts, durch die zifchenden Wellen eines in eiligem Laufe uns cntgcgenflUrmcndcn
Bcrgftromes, der mit weithin fchallcndem Gctöfc, hier Uber Granitblöckc ftürzend, dort zwifchen ihnen fich hindurchzwängend,
in wilder Hall das Nubicrland durchbrauft, gleich einem ficgesbcwufsten Krieger immer eiliger und eiliger vorwärts dringend,
bis endlich an den ihm den Einlaß verweigernden Steinthoren von Affuan die letzten Riegel er fprengt, welche feinem
Wege lieh entgegenfetzten. Wie alfo in Betreff des landfchaftliehen Charactets Egypten und Nubien fich wefcntlich
von einander unterfcheiden, fo ift auch die Bevölkerung in beiden Ländern eine durchaus verfchiedcne. — An Stelle der
gelblich braunen Araber, oder vielleicht beffer gefügt, der die arabifche Sprache redenden Bewohner, welche, hie und da
mit Kopten vermifcht, den Hauptbellanddieil der egyptifchen Bevölkerung bilden, treten nun die bronzefarbenen Abkömmlinge
der alten Aethiopcn, welche in Körperbildung und Sprache, in Tracht, Sitten Und Gebtäuche von dem egyptifchen Fellah
durchaus abweichen. — Gleichviel ob von Norden oder Süden, ob aus Egypten oder Nubien kommend, an der GrenZfcheide
beider Länder tritt ein Bild von Ubcrrafchendcr Schönheit uns entgegen, und diefes Bild ift cs, welches Carl Werner auf
der vorliegenden Tafel zur Anfchnuung bringt: die Nilumraufchte, Palmenumkränztc Infel Philae mit ihren der Ifis geweihten
Tcmpclhallen. Wie ein verzauberter Palall im Märchen, taucht das heut veriaffenc Heiligthum der egyptifchen Göttin
vor uns auf, inmitten einer wüften, waffcrdurchbrausten Schlucht, aus welcher dumpf das Toben des Katarakts zum Ohre
tönt, inmitten eines wilden Felfenchaos, deffen dunkelglänzende Granitblöckc, bald, wie von der Hand eines Riefen hinab-
gcfchlcudcrt, im Strome umher liegen, bald zu ungeheuren Mafien vereinigt und in den feltfamften Gebilden übereinander
gcüiürmt, emporftarren. Feierlich cmft und doch auch wiederum fo freundlich grüßen uns hier, gehüllt in das Gewand
unbelchrciblicher Änmiith, und getaucht in den Glanz feligllens Friedens, die der hehren Göttin errichteten Prachtgebäude!
die mit ihren hochragenden Pylonen (ich in das ewig ungetrübte reine Himmelsblau hineinzeichnen, fö recht als ein Bild des
nach dem höchllen Ziele der Erkcimtnifs ringenden Geiftes, fo recht als ein Bild des auf den Fittigen der Andacht zur
Gottheit fich emporfchwingcnden Gedankens. — . Der emlle, gegen die dunklen Felfenmaflen aber doch fo freundliche Tempel,
in der tiefen Stille der Einfamkeit von den immer und immer von neuem dahinwallenden WafferltUrzen umbraußt; eingerahmt
von balßmduftenden Mimofen und fchlanken Palmen, lieht an einem zur Verehrung der alten Gottheit Egyptens paffendes
Orte, wie es keinen zweiten, ähnlichen geben kann. Hier mußte fich das Gemüth der Zöglinge, welche die Prielter heran-
bildeten, von felbft dem Hohen und Erhabenen zuwenden, hier mußten fie, wenn man ihnen die Myfterien und Orakelfprücha
deutete, die Hicroglyphenfchrift lehrte oder das Bild von Saß entfdilcierte, aus allen den bedeutungsvoll verhüllten Dogmen
ohne Hülfe ihrer Lehrer leicht den Kern erkennen: . .Es giebt nur einen Gott!«« — Was Brehm, deffen .Reifefkizzen ain
Nord-Oft- Afrika« ich diele Worte .entnehme, hier aß Vermuthung auslpricht in Betreff der altegyptilchen, auch von Philae’-
Pridlcrfchaft vorgetragenen Glaubenslehre, das findet in der That in den Infchriften feine Beftätigung. Hat auch die Forfchung bß
jetzt noch nicht zu voller Klarheit kommen können über die religiöfen Ideen der alten Bewohner des Nilthaies, ift es uns auch
noch nicht gelungen, den viel verfchlungencn Wegen in dem weiten Labyrinthe des religiöfen Gedankens hier überall mit
Sicherheit nachzugehen, die Lehre von einer ewigen, in Allem waltenden Gottheit jedoch und die von dem Fortleben des Menfchen
nach dem Tode lind durdi eine Menge von Infchriften zweifellofen Inhaltes uns verbürgt- Eine unerfchaffene, einige Gottheit
regiert die Welt, fie lieht Uber Allem und waltet in Allem; von ihr ift Alles ausgegangen, auch die uniterbliche Seele des
Menfchen ift ein Theil-von ihr, und nach Ablauf der irdifchen Pilgerfchaft kehrt diele wieder zurück in ihre ewige Hebnath-
das waren die beiden Hauptartikel des egyptifchen Glaubensbekenntniffes, fie bildeten das Fundament, auf welchem der nach
und nach immer komplicirter werdende Bau der egyptifchen Glaubenslehre Geh erhob. Die vielen, vielen Götter, die man
in den Tempeln Egyptens verehrte, hier fo, dort anders genannt und geftaltet, fie Hellten nur die mannigfachen Formen dar
unter denen man die eine große Gottheit in ihren verfchiedenen Eigenfchaften und Kräften fich anfchaulkh machte. Ja felbft
die heiligen Thiere,. ob auch im rohen Glauben der ungebildeten Malle des Volkes verkörperte Götter, waren ficheriich in
den Augen der Eingeweihten nichts anderes aß Perfonificationen der verfchiedenen in der Welt zur Erfcheinung kommenden
Kräfte, nur .Symbole des einen göttlichen Geiftes nach feinen verfchiedenen Richtungen.« Aus den bildlichen Darflellungen
und Infchriften an den Tempelwänden geht hervor, daß jedes größere cgyptifche Heiligthum feinen befonderen Kult haue,
und zwar wurde gewöhnlich in; dem ; ;in der Capitale der betreffenden Provinz befindlichen Haupttempel neben
anderen Gottheiten untergeordneten Ranges vorzugsweife eine Trias verehrt, in der bald das männliche, bald das weibliche
Prindp den Vorrang hatte. Diefe in der Trias den Vorrang habende Gottheit war nun die eigentliche Landesgottheit, welche
zugleich maßgebend war für den Kult des Tempeß. So wurde im Reichstempel von Kamack die Trias: Amon, Mut und
Chunfu verehrt; in ihr hatte Amon den Vorrang, und er war die Landesgottheit des ThebaXfchen Gaues. Im Tempel von
Ombos war cs der Krokodilköpfige Sebak-Ra mit den beiden, ihm beigegebenen Gottheiten: Hothor und Chunfu, und fo
finden wir in ähnlicher Weife in allen Haupttempcln der verfchiedenen Provinzen Ober- und Unteregyptens eine Trias. Die
Trias nun, welche vorzugsweife auf Philae eine ganz befonders hohe Verehrung genoß, beiland aus den Gottheiten: Ofiris,
Ifis und Horus. Den Vorrang unter dielen Dreien hatte hier die Ifis, wie dies aus zahlreichen Infchriften des Tempeß
deutlich hervorgeht,, in denen fie wiederholt genannt wird: .Ifis die große Göttin, die Herrin des Himmels, die Herrin aller
SaXs unter dem und dem Namen angerufen wird, fie ift es, welche ift in jeder Stadt mit ihrem Sohne Horus und ihrem
Bruder Ofiris, Ifis, die große göttliche Mutter, die Gemahlin des Ofiris, die Herrin von Philae.« Das Ipedell der Ifis von
Phiße geweihte Heiligthum befindet fich auf der Weftfeite der Infel, von welcher die vorliegende Aufnahme uns ein Stück
zur Anfcliauung bringt. Das untere Gemäuer mit dem Vorfprunge an der linken Ecke ift nicht etwa eine dem großen
Ifistempel angehörende Wand, fondem ein Theil von dem Quai, mit dem man zum Schutze gegen den hier mit befonderer
Heftigkeit andringenden Strom die Intel eingefaßt halte, und über diefem Quai wurde nun hier längs der Weftfeite in
römifcher Zeit eine bedeckte nach vom offene Colonnade angelegt. Die dem Fluffe zugekehrte Hinterwand derfelben