Hessen. Tacitus (Germ. 28) erzählt uns ferner, dass die Helvetier
vor ihrer Niederlassung im Gebiet der jetzigen Schweiz, die ihnen
ja schon zu Caesars Zeit zu eng geworden war, zwischen dem her-
cynischen Wald, dem Rhein und dem Main sassen, und der Geograph
Ptolemaeus (im 2. Jahrh. n. Chr.) kennt noch für diese
einst von den Helvetiern bewohnte und später verlassene Gegend
die Bezeichnung 7) t<3v 'EIootitîcov sp/ip-o? (Geogr. 2, 11, 6 Riese XIII.
87 S. 382). Endlich wohnten als dritter Keltenstamm in der be-
zeichneten Gegend die Boji, die ursprünglich in Böhmen gesessen
waren, an dem ihr Name auch nach ihrer Vertreibung durch die
Markomannen bis auf den heutigen Tag haften blieb. Sie wohnten
etwas weiter östlich als die Helvetier (Tac. Germ. 28, Strabo IV.
6, 8 pg. 206, Riese XIII. 25. Caesar B. G. I. 5, 3) *). Die Reste
*) Nach der zuletzt genannten Caesarstelle waren die Bojer allerdings
nach Noricum gewandert, blieben aber offenbar stets in regem Verkehr mit
den Helvetiern, so dass diese sie bei dem Versuch ihrer Auswanderung aus
der Schweiz nach Gallien zu Caesars Zeit wieder als Bundesgenossen gewinnen.
Felix Dahn (Urgeschichte S. 13) sagt: „Aus der grossen Völkerschaft
der Bojer begegnen Splitter in den verschiedensten Ländern Europas:
Bojer waren unter den aus Gallien nach Italien gewanderten Kelten, andere
Bojer waren mit den Helvetiern südwestlich in die Schweiz abgezogen und
nach dem Sieg Caesars bei den Äduern in Gallien aufgenommen worden.
Bojer wehrten in dem nach ihnen benannten Böhmen die Kimbrer ab ; von
hier aus nach Osten gewanderte Bojer kämpften neben den Norikern gegen
den Andrang der Daken, wurden aber von diesen samt den Norikern zuletzt
verdrängt bis auf schmale Beste: die Römer nannten daher jenes aufgegebene
Land „das Ödland der Bojer“ (um den Plattensee) . . . . An dem Lande
Böhmen aber haftete der Name der Bojer so fest, dass sogar im 6. Jahrhundert
n. Chr. noch die germanischen Markomannen hiernach die Männer aus
Baja, Bajuhemum, d. h. Bajuvari genannt wurden.“ Das Überwiegen der
bojischen Münzen im Decumatenland gegenüber denen anderer keltischer
Stämme erklärt sich nur entweder dadurch, dass mindestens ein Teil von
ihnen auch längere Zeit hier gewohnt hat, oder dass sie doch mit den hier
ansässigen Helvetiern, Tectosagen etc. in regem Verkehr blieben. Strabo VIII.
2, 2 pg. 293 (Riese I. 16) sagt geradezu, dass sie zu den Helvetiern an die
Donau gezogen seien, womit dann doch wohl nur die Gegend an der oberen
Donau gemeint sein kann. Er rühmt auch (I. c. und IV. 3, 3 pg. 193 Riese
I. 17) den Goldreichtum der Helvetier, die er tcoXüxpuooi nennt ebenso wie
Athenaeus VI. pg. 233 D. Vrgl. auch F. Dahn, Urgeschichte II. S. 20 A. 1. —■
Über keltische Ortsnamen im Decumatenland handelt Bacmeister, Alemannische
Wanderungen I (Stuttgart, Cotta 1867), ergänzt ans seinem.Nachlass von
J. Hartmann WJB. 1874 I. 197 ff. Von der Verehrung keltischer Gottheiten,
wie Apollo Grannus, Taranucnus (Taranis), Teutates (mit Mercurius identifiziert),
Hesus (Mars Caturix), Diana Abnoba, Senones Matronae u. a. legen
zahlreiche in Württemberg gefundene Inschriften Zeugnis ab: W. I. S. 145
dieser drei keltischen Stämme, zu denen, nachdem die Hauptmasse
der Helvetier das Land verlassen hatte, noch zahlreiche Ansiedler
auch aus anderen gallischen Bezirken kamen, hat wohl Tacitus im
Auge, wenn er (Germ. 29) sagt: „Non numeraverim inter Ger-
maniae populos, quamquam trans Rhenum Danuviuipque c.onsederint,
eos, qui decumates agros exercent: levissimus quisqqe GaHorum et
inopia audax dubiae possessionis solum occupavere; mox limite
acto promotisque praesidiis sinus imperii et pars provinciae haben-
tor,« — Vortrefflich stimmen mit diesen 1 itterarischen Nachrichten
die Münzfunde überein. Von den 45 bei uns gefundenen Münzen,
die man mit Sicherheit einzelnen’keltischen Stämmen zu weisen kann,
gehören 33 den Boji mit 22 Fundorten, 4 den Volcae Tectosages
mit 4 Fundorten, 2 den Helvetiern mit 2, 3 den Arvernern mit 3,
2 den Morinern mit 1 Fundort und 1 den Häduern an. — Schatzfunde
wurden von keltischen Münzen nur zwei gemacht: in Schönaich
(Nr. 12. 4 ff,) fand man 2 goldene und 20 silberne derartige
Münzen, von welch letzteren die eine noch nachweisbare den Volcae
Tectosages angehört. Da nun auch die 3 ändern bei uns gefundenen
tectosagischen Münzen im Gegensatz zu den fast immer (31
unter 33) goldenen der Boji auch von Silber sind, so wird man
auch die übrigen 19 für die Tectosagen in Anspruch nehmen dürfen,
und man fühlt sich versucht auch den zweiten Schatzfund, die im
Jahr 1838 bei Heidenheim gefundenen 700 keltischen Silbermünzen
(Nr. 162. 17) auf diesen Stamm zurückzuführen. S Ausser diesen
Münzen, deren sich auch in Baden 25 fanden (Bissinger III, S. 40),
hat aber jene keltische Periode unseres Landes auch noch andere
Spuren zurückgelassen. Abgesehen von Ortsnamen wie Belsen und
Nehren, die wahrscheinlich auf keltische Göttinnen (Belisama u. Naria)
zurückgehen, gehören dahin, wenigstens grossenteils (Tac. Germ. 27),
jene massenhaften vorrömischen Grabhüg e l , deren man jetzt in
Württemberg etwa 3000 an 400 Fundorten (P. F. Stälin, Geschichte
Württembergs I. S, 10) zählt, sowie die ebenfalls an vielen Orten
Nr. 1. S. 148 f. Nr. 2. S. 154 Nr. 4. S. 162 Nr. 4. S. 163 Nr. 7 und 8. S. 164
Nr. 3. Auf die inschriftliche Erwähnung eines Helvetiers und einer Helvetierin
in Rottenburg (W. I. S. 150 Nr. 7 und 8) ist nicht viel Wert zu legen, noch
weniger natürlich auf das Vorkommen bojischer (W. I. S. 160 Nr. 9) und
helvetischer (W. I. S. 163 Nr. 6. S. 168 Nr. 7 und 8) Hilfstruppen, obwohl
ersteres immerhin bemerkenswert ist im Blick auf Tac. Germ. 29. Vrgl.
hiezu P. Stälin Gesch. Wiirtt. I. S. 5 ff., 36 f. Dahn, Urgeschichte I. S. 8 ff.,
24 ff. Arnold, Deutsche Urzeit S. 26 ff. Zeuss, Die Deutschen und die
Nachbarstämme S, 170 ff. Gerlach zu Tac. Germ. 29 S. 147 ff.