Das n a l ü r l i c h e S y s t em d e r Vögel.
risiren und den Begriff von Species in sicli selbst entwickeln und selbst ollenbaren
zu können.
\Mr nennen die zimäclist folgende höhere Vcreinigungssliil'e mehrerer, wieder
unter gemeinsamen Mcrknialeii fibercinsliiviriieiiiler Arten die G a t l i i i ig — genus —.
Auch die Gattung erscheint mehr oder minder dciillicli begriiiiilct in der Natur und
ollenbart sich unter etwas erweiterter Grenze ühereiiistiiiiiiieiiil, sowol habituell als
durch die Seele zu ihren Lebenserscheiiiiingcii hetliätigt mul cliiirakterisirt, aber wie
weit diese Grenze sich erweitere, sagt uns weder die Schule der Wisseiisclial't wört-
hch, noch liegt uns für sie eine iiniiiUcrhrocheiic Beilie von Boohaclitmigeii vor, vom
Anbeginn der Schöpfung ihrer Arten bis auf den heiitigoii Tag, Im Gegentheil hängt
auch die Begrenzung der Gattung wie ihrer Arten nur von dem in der Natur Gegehenen
ab und beide können sogar mit einer jener liöheren Classilicalionsstiil'eii zusammen-
falleii mul als ideiitiscli ersclieinen, wo bei der Ariiiiitli au Formen die Tlieiliiiig nicht
weiter sich zu spalten vermochte. Die Art, wie die Gatluiig, kann folglich nach den
verschiedenen Anschauungen der Classilicatoreii, besonders wo (liesclhen die disharmonische
Zersplitterung einer iiaturgemäfsen liarnionischen Vereinigung vorzieheti, bald
als Linie und Reibe, als Gruppe und Heerde, als Tribus mul Familie, ja bei zer-
splilteriingssiicluigeii Ordnern in ihren an Ordiimigen überreichen Systemen sogar als
Inbegriff einer ganzen Ordnung erscheinen. Naturgemäfser isl aber Harmonie als
Disharmonie und das Bestreben der Natur selbst, sich zu ordnen, liegt mehr im Vereinigen
als im Zertrennen. Alles Vereinigen aber wie alles Zertrennen mufs auf in
der Sache selbst liegenden, d. h. natürlichen Gründen beruhen.
Nächst der Kenntnifs über ihre Entwickelung liegt dabei eines der wiclitigsten
Momente für die Bestimmung der Art in der Erfaliriiiig über den Bezirlt ihrer Verbreitung.
Eine richtigere .Anscliauung von der Bedeutung der Arten und Gattungen
für das grofse NaUirlebon hat uns immer tiefer liineingeff*rt in die Erkennliiifs j e L r
Harmonie , welche als Zweck und als Resultat des Daseins der organisirten Natur auf .
unserer Erde erscheint und welche die Pniclileii unte r alle Organismen in unergründlicher
Weisheit verlheilt hat. Geschähe aber diese Vertheiliing, um jenes Gleichgewicht
zu erhalten, welches bei derMannichfaltigkeit der gegeneinanderwirkenden organischen
Kräfte als das höchste Wunder in der lebendigen Welt sich uns fortwährend offenbart,
so mufs auch jeder Art ein bestimmter Verbreitiingsbezirk angewiesen sein, innerhalb
dessen sie wirkt, den Aufgaben, die ihr gestellt sind, wie den Fähigkeiten, mit
denen sie begabt ist, hinlänglich entsprechend. So linden wir weiter die Vertretung
der Gattungipi durch äliiilictie Arten in den entfernlesteii Dislricleii. So ergab siclg
dafs die Falken und andere Formen auf Neiiholland als sehr nahe verwandte Arten
erscheinen, aus denselben Gattungen, welche Europa bewohnen, dort zur Zflgeliiiig
übermäfsiger Vermehrung ähnlicher Tliierarten geschaffen und ihnen als Wächter bestellt,
wie' bei uns. Finden wir mehr als eine Art derselben Gatliing in demselben
Verbrcitnngsbezirke, so ergieht die Beobachtung gewifs bald eine Verschiedenheit in
den Aufgaben, die beide zu lösen bestimmt sind, und manche Art scheint darauf angewiesen,
in gewissen Perioden des Jahres eine bestimmte Art von Insekten zu zügeln
oder sich von ein und derselben Art von Saamen zu nähren. Die Beobachtung der
Oekonomie in der Natur ist der Weg zur richtigen Erkenntnifs der gegenseitigen Bedeutung
und Arlcnliestimmung der Thiere.
Da sich ergehen hat, dafs die Zahl der Classificationssliifen in jeder Ordnung und
Cohorte, wie in jeder Familie und Triluis immer nach dem Reiclithiime der vor-
rälhigen Formen sich richtet, so folgt auch darans, dafs da, wo die Formen am
zalilrciclisteii sind, auch die ClassiCcalioii sich am meisten zerspaltet und die Zahl der
Stufen daselbst durch immer wiederholte Theilung am höchsten hiiiansteigt. Wenn
wir ferner gesehen haben, dals der Gattungshegriir in lörrnenarmen Gruppen schon
mit dem Begriffe der Familie oder Trihiis zusammeii/ällen kann, wie z. B. die Gatliing
Rhynchops zur Tribus geworden, dagegen hei Dazwischenkuiift der vollständigen
Stufenreilie weiter liiiiaiisgesclioheri wird, so geht daraus nolhwendig hervor, dafs
hei so oft wiederholter Zerlhcilung der Masse die Unterschiede immer geringer, die
Charakteristik immer subtiler aiisfallen mufs. Nicht Willkühr, sondern Wesen der Sache!
Die schwierigste Dcslimmuiig bleibt aber die, zu sagen, wo der Begriff der Gattung
einlreten soll. Auch die Gattung erscheint uns in der kurzen Geschichte der
Ornithologie als ein Kind ihrer Zeit. Unstreitig ragt B r i s s o n von 1756 an als
gröfsler Meister durch Scharfsinn und Lösung aller .Aufgaben der Systematik bis in
unsere Zeiten hinein. Auch das Gute, was B u f f o n ’ s fleifsiger Arbeiter D a u v e n -
t o n gab, rührte grofstenthcils von ihm her. V i e i l l o t , L e v a i l l a n t und T e m m
i n c k bearbeiteten und analysirten späterhin mit grofser Saclikeiiiitnifs ganz oder
theilweise die Ornithologie und losten manche Gatliing in mehrere auf. L i n n é und
G m e l i n hatten vor ihnen vieles vereinigt und auch C u v i e r behielt noch in L i n n e s
Geiste seine grofsen Gattungen bei, führte aber die von L i n n é und G m e l i n z.B.
bei P e l a c a n u s und C o l ym b u s begonnene Theilung derselben weiter und benannte
diese Sectioneii der Gattung mit untergeordneten Namen. Die Erfahrung hat gelehrt,
dafs bald Niemand mehr die allgemeinen Gattungsnamen für die Arten behielt und benutzte,
sondern jene Sectionsiiamen wurden genannt, wenn man die unter sie gehörenden
Arten bezeichnen wollte. Bis zu welchem Grade sich diese Sitte der Trennung
und Auflösung gröfserer Gattungen in kleinere durch V i e i l l o t und L e s s o n ,
mit ausgezeichnetem Scharfblick durch deiiPrinzen C h a r l e s L u c i a n B o n a p a r t e ,
durch D e L a f r e s n a y e und D ’ O r b ig n y , durch V ig o r s und S i o a i n s o n , wie
durch G. R. G r a y und durch G o u l d , durch B o j e und B r e h m , wie durch
K a u p und C a b a n i s fortgesetzt hat, ist uns Allen bekannt, und wir sehen, dafs der
Gattungsbegriff durch C u v i e r ’s vermittelnde Methode, ohne seinen Willen offenbar
ein ganz neuer geworden und in vielen Fällen dem Speciesbegriff gewifs selir nahe
gekommen. Das Bestreben, den Cliarakler schärfer zu diagnosticireii, hat offenbar so
weit geführt, dafs die weitläiiligeii sogenannten „nalürliclien Charaktere“ gar keine
Diagnosen mehr sind oder enthalten, wenigstens nicht aus sich hèrausiiiiden lassen,
weil eben nur die Gesammtheit des momenlanen Eindrucks des Objectes eine iinhe-
stimmte snhjective Vorstellung, ja mir eine düstere Ahnung gebiert, die wir nicht mit
Worten zu fassen und auszudrfickcn vermögen. Daher kommt es, dafs wir so viele
Gattungen der Neueren, wie dies mit B o j e begonnen, mir dem Namen nach kennen,
wälirend uns die Autoren derselben Bild und Diagnose schuldig geblieben, weil sie
selbst mir eine dunkle Idee davon batten -oder ilire klarere Anschauung, wo sie dennoch
statlfand, nicht in herkömmlicher Weise aiisgedrückt zu werden vermochte.
Auch aus dieser in reifsenden Progressionen grofsartig gewordenen ümnebeliiiig
der Wissciiscliaft erlöst uns nichts als die Rückkehr zur Natur seihst und zur Walir-
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