
f o rme n gäbe, die ich, weil sich jede von diesen Formen leicht auffinden
läfst und somit vielfältig uns kund gibt, so dafs sich alle vorkommenden
Formen auf diese bestimmten Schädel- und Beckenformen
reduciren lassen, U r f o rm e n nenne; wenn ich
2) beweise, dafs diese Urformen auch bei den sogenannten Menschen-
Racen, bei den Amerikanern, Malayen, Mongolen und Aethiopiern
Vorkommen; und wenn ich somit
3) darlege, dafs diese Urformen mit den Racenformen conform seyen.
Merkwürdig ist es, dafs in den frühesten Zeiten der Anatomie eine Lehre von
gewissen Normen der individuellen Schädelbildung, figurcte craniorum, schon bestand,
dafs sich diese jedoch nur bis in die Zeiten der Italienischen Schule der Anatomie
in Ansehen erhielt.
Die erste Quelle dieser Lehre findet sich in einer ächten hippokratischen Schrift
(de vulneribus c. 1.), wo vier verschiedene Schädelformen angegeben werden: bei der
ersten ist das Vorderhaupt mehr aufgetrieben und vorragend, ihre Nähte bilden den
Buchstaben T , und sind, der Beschreibung nach, wahrscheinlich die Pfeilnaht und
die Rränznaht; die zweite hat eine Auftreibung (»■{o/3oa«) am Hinterhaupte, ihre Nähte
bilden ebenfalls ein T , und sind die Lambdanaht und die zur Stirnnaht fortgesetzte
Pfeilnaht; die dritte hat sowohl vorn als hinten jene Auftreibung und ihre Nähte,
nämlich die Lambdanaht, Pfeilnaht und Kranznaht, bilden ein H; die vierte endlich
hat gar keine Auftreibung und ihre Nähte, die mit der zur Stirnnaht verlängerten
Pfeilnaht sich kreuzenden Kranznaht, stellen ein X vor. — Diese Lehre bildet Galen
(de ossibus c. i. und de usu part. I. 9. c. 7.) weiter aus und gibt die Nähte jeder
einzelnen Schädelform genau an. — V e s a 1 bildet fünf Schädelformen ab und seine
Beschreibung derselben kommt im Ganzen mit der Ga len sehen überein, aufser dafs
er die von Galen als unmöglich verworfene fünfte Schädelform, welche ihre Auftreibung
an der Seite hat, in Schutz nimmt und ähnliche Köpfe an Geisteskranken
gefunden haben will.
Allein Eus ta ch und insbesondere Caspar Bauchin widersprechen schon mit
Recht dem von den Alten angegebenen Zusammenhänge der Nähte mit den Schädelformen
gerade zu, und die Bestimmungen der Schädelformen sind überhaupt auch von
der Art, dafs sie nur mehr geschichtlichen Werth haben. Dafs aber diese Lehre,
wegen ihrer Unvollkommenheit, bis auf die jetzige Zeit ganz aufser Acht gelassen
wurde, da sie doch so leicht einer Vervollkommnung fähig und werth ist, mufs jedem
auffallend seyn4).
4t Anatomisch - physiologisches Realwiirterbuch zu umfassender KenntmOS der körperlichen und geistigen Natnr
des Menschen im gesunden Zustande. Herausgegehen von Dr. J. E. Pierrer und Dr. L. Goulant. 4. Bd. S. t t .
Noch auffallender aber ist es, dafs weder in den Lehrbüchern der Anatomie,
noch in denen der Geburtshülfe von bestimmten Formen der Becken je die Rede
war. Nur von einem männlichen und weiblichen Becken ist daselbst die Rede, und
von mifsgebildeten Becken.
Es gibt aber auch hier gewisse Normen der individuellen Bildung, Ur-Becken-
formen.
Ich habe gleichfalls zuerst im Jahre 1823 in meinen vorhin angeführten Abhandlungen
bestimmte Beckenformen oder Beckennormen aufgestellt. Nur Prof. G. W.
Stein spricht, zuerst im Jahre 1823 in seiner Lehre der Geburtshülfe (Seite 51—52)
von vier unterscheidbarsten Varietäten der Form der obern Apertur des Beckens,
(die da sind: 1) die einem abgestumpften Kartenherzen ähnelnde; 2) die mit ihrem
gröfsten Durchmesser nach den Seiten gerichtete Ellipse; 3) die Zirkelgestalt; und
4) die Ellipse, deren grofser Durchmesser nach der Conjugata gerichtet ist), und
bildet auch diese vier Beckenformen ab 5).
Da ich eben auch in der besondern Form der obem Apertur des Beckens die
bestimmten Beckenformen öder Urformen gefunden habe, so wird wohl jeder unbefangene
Mann mir die Priorität dieser Lehre • zugestehen, wenn auch S t e in es
nicht der Mühe werth hielt, sie nur in seinem Lehrbuche anzudeuten, — dagegen
er sich eine andere Stelle meiner angeführten Abhandlungen zu mifsdeuten erlaubte 6).
Was die Betrachtung und Bestimmung der Schädel und Becken betrifft,, so
müssen wir folgende Bemerkungen vorausschicken.
1) Bei der Bestimmung der Form eines Schädels nehmen wir nicht allein
auf den Gesichtstheil des Schädels oder nur auf den Gehirnschädel Rücksicht, son-
5) Lehre der Gehurtshülfe, als neue Grundlage des Faches, insonderheit als Leitfaden hei Vorlesungen.' Verfasser
G. W. S t e i n , Professor zu Bonn. Erster Theil. Geburtslehre. Mit 18 Abbildungen yon T is c h -
b e i n. Elberfeld 1825.
6) S t e i n sagt a. a. O. S. 64: In der neuesten Zeit ist (We b e r , in Gr a e f e s u. W a l t h e r s Journ. d. Chirurgie
Bv 4., St. 4) die Meinung bekannt gemacht worden, dafs zwischen Theilen des Kopfes und dem
Bechen einer Persön ein gewisses Verhältniis statt finde, so dafs eben von jenen auf das Bechen zu schliefsen
sey. Ob man nun schon dergleichen nicht abläugnen möchte, ehe man sich nicht durch Versuche und
Messungen vom Gegentheile überzeugt hätte — versteht sich, so lange die Sache auf Personen angewendet
werden sollte,, deren Bechen - Verschiedenheit innerhalb der Breite des Nüancenspiels der Natur liegen
sollte, so würde es doch ganz anders seyn, sobald man es auf das mifsgestaltete Bechen anwenden wollte.
Denn da ist oft eine gröfsere Verschiedenheit in dem Bechen zweier Personen, a ls es a n i h r e n
K ö p f e n . n u r i r g e n d mö g l i c h i s t . Durch solche späterhin wirklich begehrte Ausdehnung der
öaehe hat der Urheber derselben selbst das Ganze schon wieder um allen Credit gebracht. — ln meinen
l<e lu ?^en angeführten Abhandlungen aber sage ich nur folgendes: dafs selbst bei gewissen Knochenranhheiten,
und namentlich bei der Bhachitis, eine Enibilduiig nicht nur des Bechens, sondern auch
es -Schädels statt findet, bin ich innig überzeugt5 w ie w e i t a b e r d i e E n t b i l d u n g d e s Ko p f e s
u n _ ? es ^ e c h e n s g l e i c h e n S c h r i t t h ä l t , v e rm a g ich b i s j e t z t n'o ch n i c h t a n z u geben.
Tt h enl *?nkefangenen Manne mufs hieraus klar werden ? dafs ich die Conformität des Kopfes und
ftlte .*4 rhachitischen Subjecten n u r b i s z u e i nem g e w i s s e n P u n k t e o d e r Gr a d e an nehm e ,
und dals ich wohl glaube, dafs Fälle existiren, wo die DifFormität des Bechens weit von der des 'Kopfes
aDweicht. Dals aber in den ersten Stadien der Bhachitis Kopf und Bechen noch gleich difform sind,
somit bis zu einem gewissen Grade, habe ich eben in der Abhandlung: Neuer Beitrag von der Lehre
<-'onf°rinität des Kopfes und des Bechens etc. erwiesen, und durch zwei Abbildungen, welche glcich-
alls der wachere Künstler T i s c h b e i n mit besonderem Fleifse und Sorgfalt entworfen hat, erläutert.