466 Erdschaft und itinderachaft. kommt, wird über kürz oder lang wieder vererbt werden. Ist nun der Teil vom ganzen Tschlna, der zm einer gewissen Exogamie zwingt, anders entstanden als die übrigen Teile mit ihren Satzungen, die noch gegenwärtig unter den Augen des Beobachters entstehen? Wenn nicht, dann wäre es unnötig, über einen anderen ausgetüftelten tieferen Sinn und Zweck der Einrichtung und über deren Herkunft aus grauer Vorzeit zu grübeln. Man hätte es mit willkürlichen, unter zauberischen Gebräuchen von Zünftigen bis in die Neuzeit auferlegten Satzungen zu tun, wozu dann natürlich auch die von Vereinen und Bünden aller Art etwa freiwillig übernommenen zu rechnen wären. Im Süden des Kongo findet sich die Einrichtung ähnlich wie in Loängo, nur erscheint dort die Sippe, die Clanschaft neben der Mutterfamilie schärfer abgegrenzt. Bei den Ovaherero in Südwestafrika, wo ich aus dem reichen Wissen unserer deutschen Missionäre schöpfen konnte, liess sich die Angelegenheit leicht feststellen. Wie bei den Bafiöti gehört dort das Kind, in die Familie — eända, plur. om’ända (omaända)^- der Mutter, und wird an das orüso des Vaters gebunden. Orüso, plur. otnso, entspricht ungefähr dem Tschlna. Es betrifft, ausser Kultushandlungen, nicht bloss Speisen, sondern Schmuck, Kleidung, Haartracht und namentlich äussere Merkmale in Färbung und Zeichnung des zu haltenden Viehes. Und auch hier wussten es unsere Missionare nicht anders, als dass das Orüso von den Zaubermeistern : onganga, plur. osongänga — stamme. Da bei den Ovaherero Rinder die Hauptrolle spielen und der Häuptling die Seinen durch Viehleihe verpflichtet, könnte man, wie bei den Bafiöti von Erdschaften, geradezu von Feldschaften oder Rinderschaften, nämlich von Weidefeldgenossenschaften, mithin von staatlichen Verbänden reden, die, unbeschadet der Mutterfamilie, je durch ein Orüso zusammengehalten würden. Aber in Loängo bindet nicht, oder bindet nicht mehr, das Tschlna eine ganze Erdschaft, obschon deren Mitglieder durch eine A rt Landleihe vom Erdherren abhängen. Freilich: die Bafiöti als Ackerbauer brauchen Arbeitskräfte, Menschen, die Ovahörerö als Viehzüchter haben an etlichen Wächtern genug. Bei den hier behandelten Völkern mag sich die Einrichtung eigenartig entwickelt oder bereits zersetzt haben, sie mag verfälscht, übertrieben worden sein. Jedenfalls erscheint sie lange nicht so einfach wie, laut Berichten, bei anderen Wildvölkern, deren Zustände mit Ausdrücken wie Tabu, Totemismus, Stammessymbol, Unverletzlichkeit, Heiligkeit, Exogamie, Sippe, Familie, freilich auch mehr umschrieben als beschrieben und aufgeklärt werden. Trotz der schon im Paradiese tabü oder tschlna gemachten Frucht darf man sich den Anfang wohl so vorstellen, dass die Urmenschen Zweierlei Verwandtschaft. 467 gegessen und getrunken haben, lange bevor sie über das Wie und das Was nachdachten, lange bevor sie heilige Scheu empfanden, ihre Götter verspürten, nach Symbolen suchten und Gelübde taten. Wenn sie gewisse Nährstoffe vermeiden lernten, so geschah dies aus ganz natürlichen Gründen, wie noch heute. Die Erfahrung, ob richtig, ob falsch gedeutet, war ihre Lehrmeisterin und ging auf die Nachkommen über. Sie wurde zur Regel, zum Brauch, und als nachher durch weise Leute das Bindende hinzukam, zur Sitte. Eine spätere Zutat war es, wenn die Enthaltsamkeit über ihren diätetischen W ert binauswuchs und in bewusster Anwendung, vielleicht auch als Gelübde, eine gesellschaftliche, wirtschaftliche und religiöse Bedeutung gewann. Die Volksphantasie mengte Mythisches, an Namen Haftendes hinein, griff über zu Gestirnen und Erscheinungen und machte sie zu verkettenden Gemeinschaftssymbolen der Lebenden und der vor ihnen Gewesenen. Wie in einem anderen Kapitel, bei Behandlung der Ehe- und der Verwandtschaftsverhältnisse, ausführlicher zu erklären sein wird, haben wir bei unseren Westafrikanern zwei nach ihrer Bedeutung streng gesonderte Verwandtschaften. Die eine hat die Mutter, die andere den Vater als nächstes Oberhaupt. Wir haben die Familie, die Mutterreihe: aus einem Bauche, von einer Nabelschnur, und daneben etwa die Stammbaumlinie, die Ahnenkette oder Vaterreibe: aus einem Gemachte, von einem Kopfe. Die Verwandtschaft der Familie pflanzt sich nur durch die Gebärenden fort und endet bei allen Erzeugenden. Sie beruht auf Geburtsakt, Placenta und Nabelschnur, auf Einheit des Fleisches und des Blutes. In ihr vererbt sich Rang und Besitz. Die Verwandtschaft der Sippe dagegen endet bei allen Gebärenden und pflanzt sich nur durch die E rzeugenden fort. Sie beruht auf Zeugungsakt und Einheit der Übermittlung, des Übertragenen, nämlich des Lebensstoffes, des Lebenswurmes (Seite 296). In ihr vererbt sich die Art, die Potenz der Vorväter. Kurz gefasst: vom Vater das Sein, das Geistige, von der Mutter der Aufbau, das Leibliche. Noch kürzer: dort Ahnenschaft, hier Blutschaft, oder, im Sinne der Leute als unmittelbar kennzeichnend: Kopfschaft, Schnurschaft .N eben Familie und Sippe pflegt man in ethnologischen Angelegenheiten mancherlei Ausdrücke zu gebrauchen, als da sind: Clan, Gens, Geschlechtsgenossenschaft, Phyle, Phratrie und wie die Verbände sonst noch heissen mögen. Um so wünschenswerter ist es, sich zu verständigen und ein für allemal streng sondernde eindeutige Bezeichnungen anzuwenden. Man könnte Vatersippen und Muttersippen oder, weil das vielartig gebrauchte Wort Sippe missfällt, Vaterreihen und Mutterreihen, Vatergruppen und Muttergruppen, am sinngemässesten wohl AbnenSchaften 30*
27f 32-2
To see the actual publication please follow the link above