460 F etisch-Tschlna. Kahne, das Lagern auf blanker Erde oder an einer Seite des Feuers, das Antasten oder Besteigen mancher Bäume oder das Eintreten in deren Schatten, das Verrichten gewisser Arbeiten, das Aussprechen gewisser Worte, das Denken an gewisse Tiere, Pflanzen oder Dinge. Es gebietet, jede Rede mit einem bestimmten Worte zu beginnen, beim Sitzen, Liegen, Schlafen, Essen, Trinken mancherlei Stellungen einzunehmen, das Haar in absonderlicher Eorm zu scheren, die Haut zu bemalen, die Zähne zu stutzen, bei gewissen Begegnungen oder anderen Vorkommnissen Hände und Arme in eigenartiger Weise zu verwenden: eine geballte Eaust auf den Magen zu stemmen, die Zeigefinger zu verhaken, die Daumen zu schieben oder einzuschlagen, ein paar Einger zu strecken, die Hinterbacken zu klappen, die Seiten oder Wangen zu reiben, dabei stets nach rechts oder links auszuweichen, zu knixen, mit einem Eusse zu scharren, sich um die eigene Achse zu drehen, sich nicht umzuschauen, nie den nämlichen Weg zurückzugehen und dergleichen mehr. Manches gilt nur bei ab- oder zunehmendem Mond, bei Voll-, Viertel- oder Neumond, während der Hegen- oder Trockenzeit, zur Heise-, Eisch- oder Erntezeit und so fort. Kurzum, das Fetiscb-Tschlna enthält eine erstaunliche Menge von Hegeln, von komischen und nichtigen bis zu tief greifenden und ernsten Dingen, je nach Ermessen der Bangänga. Ereilich, was zum Leben notwendig ist, wird von diesem Tschlna höchstens eingeschränkt, auch wird Selbstverstümmelung, wie Unterbinden oder gänzliches Abschnüren oder Abhauen von Gliedmassen, nicht gefordert. Doch mögen die Leitregeln den Strenggläubigen die Freiheit der Lebensführung sehr beengen. Wer viele Fetische besitzt, vielleicht ausserdem noch mit den Seinen das Tschlna von Gemeindefetischen oder Erwerbsfetischen, ferner, gleich Hausgesetzen, ein ererbtes Tschlna zu beachten hat, kann in seinem Tun und Lassen arg behindert sein. Der vielbelastete Grossmann vermag sich beim besten Willen nicht immer gegen Übertretungen so zahlreicher verzwickter und oft vom Zufall durchkreuzter Verhaltungsmassregeln zu wahren. Da ist es denn nicht zu verwundern, wenn die allerbesten Zaubermittel entkräftet werden. Der herbeigerufene Ngänga findet Erklärungen genug, die den Fetischen nicht zum Schaden gereichen. Irgendwie muss das Tschlna verletzt worden sein. Der Meister fragt, prüft. E r stösst auf Unsicherheit. Nun, da hat man’s ja. Immer tragen die Menschen oder die Verhältnisse die Schuld, und die Unfehlbarkeit des Systems bleibt gewahrt. Die Hegeln dieses Tschlna gelten, solange män sich der Fetische bedient, und zwar viele ununterbrochen, viele bloss zeitweilig. Sie erlöschen mit der Verwerfung der Fetische oder sobald der Zweck erreicht ist. Demnach liegt es bei den Gläubigen, sich gänzlich oder teilweise von den Schranken und Banden zu befreien. Kranken-Tschma. 461 Anders verhält es sich mit dem bei Erkrankung auferlegten Tschina. Das bleibt bestehen, bis der Ngänga es wieder löst. Zweifler und Leichtsinnige mögen freilich die Fesseln auch selbständig lockern oder zerreissen, wenigstens solange ihr Gesundheitszustand sie dazu ermutigt. Derlei Anordnungen sind von grösster Tragweite im Heilverfahren. Die Bangänga schärfen sie ihren Kunden nachdrücklich ein. . Meistens liegt die Sache einfach genug. Es handelt sich um Diät, um Prophylaxe, um Erziehung. Nehmen wir an, unter uns leide jemand an einem Herzfehler. Der Arzt verbietet ihm das Tanzen. Das ist ein Tschlna. Der Arzt warnt vor hastigem und starkem Trinken, vor dem Bergsteigen. Noch und noch ein Tschlna. Andere fühlen sich unpässlich oder leiden an Friesei nach dem Genuss von Krebsen, von Erdbeeren. Kruster und Früchte werden tschlna. Mancher schaufelt mit dem Messer Speisen in den Mund, juckt sich, kratzt sich den Kopf, trinkt zu viel. Das wird tschlna. So verfährt man auch in Loängo. Der Ngänga mit weniger Wissen, aber vielleicht mit grösserem Selbstvertrauen, und sicherlich mit guter Menschenkenntnis. Was an seiner Diagnose, die man aber nicht gleich verwerfen soll, zweifelhaft ist, ersetzen Glaube und Zuversicht wie bei uns auch. Jemand sei erkrankt, leide schwer und lange. Die Arzte begreifen, dass alle ihre Künste keine Besserung bringen. Seelen oder Hexen kommen nicht in Betracht. Die Leute sind ratlos. Da hören sie, dass der Kranke bei einem Feste Manatusfleisch verzehrt habe, dass er schon einmal erkrankte und auch damals von einer Seekuh gegessen hätte; einem Verwandten soll es einst ebenso ergangen sein. Man erinnert sich noch anderer Vorfälle. Nun ist das Rätsel gelöst. Beide Tatsachen stehen in engster Verbindung. Stirbt der Patient, so hat das Manatusfleisch ihn umgebracht, gesundet er, so ist das Manatus für ihn tschlna. Auch seine nächsten Angehörigen tun gut, sich dessen zu enthalten. Es kann sich natürlich auch um andere Tiere sowie um Früchte, Gegenden und so weiter handeln, auch bloss um bestimmte Teile von Tieren, Früchten, Wurzeln. Nur die zum Leben notwendigen alltäglichen Nahrungsmittel werden nicht verboten, vielleicht aber etliche Zubereitungsweisen. Auch werden tiefgreifende Verordnungen nicht um Kleinigkeiten gegeben. Auf Wunsch wird ein Tschlna auf Ungeborene gelegt. Eine ängstliche F rau , die Mutterfreuden erhofft, der vor ihrer schweren Stunde bangt, oder eine Familie, die schon mehrfach Unglück mit ihrem Zuwachs gehabt hat, hält es angezeigt, eine weise Frau, einen Ngänga beizeiten zu Eate zu ziehen. Regelmässig scheint das zu geschehen, wenn ein Meister einem bis dahin kinderlosen Ehepaare zur Stillung ihrer Sehnsucht verholfen hat. Die Dankbaren rufen ihn vor der Entbindung, damit er auch das Gedeihen des Kindes sichere. Gewöhnlich haben die
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