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befressen und das Fürchten verlernt hatten. Der Hunger zwinge sie, hiess es, weil die wilden Tiere, die Büffel, Antilopen, Affen und Vögel jedesmal einen vom grossen Sterben heimgesuchten Landstrich zu verlassen pflegten. So die Eingeborenen, die sich auf Überlieferung beriefen. Ausser den echten Leoparden trieben noch unechte ihr Unwesen, nämlich Männer, die, in Leopardenfell verkleidet, Menschen überfielen, sie zerfleischten und töteten. Dies wurde zur Gewissheit, als ein mutiger Jäger in der Verteidigung ein solches Scheusal erstach. Demnach hatte man es auch mit Angehörigen eines blutgierigen Geheimbundes zu tun, der, bis dahin aus den Ogöweländern bekannt, nach Süden vordrang. Nun begab es sich in der Faktorei, wo der Meuchelmord geschehen war, dass der Leibdiener des Herrn am hellen Mittag auf der Mordstelle von einem Leoparden besprungen und fortgeschleppt wurde. Zwar rettete ihn ein mutiger Hund mit Aufopferung des eigenen Lebens, aber der Knabe starb an den erhaltenen Wunden. Dieser selbe Knabe hatte damals den Meuchelmörder erkannt, verraten, und somit nach Erdrecht dem Tode überliefert. Zum zweiten Male seit Menschengedenken hatte ein Leopard ungereizt einen Menschen überfallen. Natürlich war diese Bestie ein Werwolf, nämlich der auf des Knaben Zeugnis hingerichtete Mörder. Der Vorfall verstärkte das Entsetzen. Echte und falsche Leoparden, Gespenster und andere Erscheinungen ängstigten die Eingeborenen. Die paar noch an der Yümbabai ausharrenden Europäer fürchteten „Tigermenschen“. Niemand getraute sich mehr des Nachts ins Freie und des Tages allein zwischen deckende Vegetation. Dazu immer neue Hiobsposten von weiteren Bluttaten, von spurlos Verschwundenen, von umgehenden Verstorbenen, von grässlichen Erlebnissen, von fürchterlichem Heulen und Jammern in den Wäldern. Kurzum, die Zustände waren greulich, und die übertiebenen Gerüchte steigerten die Aufregung auch in den südwärts sich dehnenden Landschaften. Dazu der Mangel an Nahrung, und das Sterben, das grosse Sterben. Sechs Jahre später, als ich Yümba abermals besuchte, hatte zwar die Hungersnot aufgehört, die Seuchen waren erloschen, auch etliche der frechsten Leoparden waren erlegt worden - ||l einer in der Küche, einer im Ziegenstall —, aber die „Tigermenschen“ trieben es ärger als zuvor. Neuerdings machten sie auch Gebiete bis zum Kullufluss hin unsicher. Ih r Dasein konnte nicht bezweifelt werden, denn mehrere der verkleideten Würger hatte man auf frischer Tat gefasst und hingerichtet. An der Hülle von Leopardenfell, deren sie sich bedienten, waren die Tatzen zu einer Art Fausthandschuh umgearbeitet und an Stelle der Krallen mit eisernen spitzen Nägeln und Messerklingen besetzt. So wurde erzählt. Während der grossen Not kam nun abermals das Gerücht von der gespenstischen Karawane auf. Bald da, bald dort war sie erschienen. Ganz wie Händler reisen, in langer Reihe, folgte sie den Pfaden, zog sie durch Wald und Gras, durch die Dörfer, langsam, stumm, unhörbar. Tote trugen Tote; sie schritten rückwärts und hatten die Köpfe unter den Armen. Nein! sie wanderten wie Lebende, Licht ging von ihnen aus wie von Packeln; der Vorderste schlug die tschingöngo, die doppelte Geleitsglocke. Nein! sie schwebten grausig still ihres Weges; es war dunkel um sie, nichts zu erkennen. Die Hunde heulten, verkrochen sich in den Ecken, verliessen die Dörfer. Und so weiter. Wer den Zug erblickte, musste sich anschliessen, zog mit davon und ward nie mehr gesehen. Woher kam die Karawane und wohin ging sie? Wer kann das wissen? Wer hat sie gesehen? Wir nicht. Wer sie sah, ist fort mit ihr. Woher dann euer Wissen? Das wissen alle. Es ist so. Das Land ist leer. Wo sind die Menschen geblieben? Die Erzählungen vom Erscheinen des Totenzuges regten das Volk furchtbar auf und verbreiteten unglaubliches Entsetzen. Der Schreckensschrei, dass sie nahe, der Ruf bulembu! bulembu! vermochte die Leute völlig zu lähmen, aller Willenskraft zu berauben. Wie mir versichert wurde, standen sie jählings starr, hilflos, stürzten wie tot zu Boden oder verfielen in Krämpfe und Raserei, und zwar auch am Tage, wenn nichts Bedrohliches sich zeigte. Diesen Anfällen erlagen einzelne wie Trupps von Menschen jeden Alters und Geschlechtes. Widerstandslos liessen sie alles über sich ergehen. Und das scheinen andere benutzt zu haben, um zu rauben, vielleicht auch um.Gänge nach dem Inneren abzuführen und zu verhandeln. Verständige Häuptlinge verboten den Schreckensruf und dämpften allmählich das wahnsinnige Gebaren. Auf einmal verbreitete sich die Nachricht von einem grossen Wunder. Der berühmte, als Manatus gestaltete Fetisch Mänsi (Seite 383), dessen Zauberherrschaft um das J a h r 1860 ein denkwürdiges Ende nahm, wäre wieder da. Und zwar jetzt lebendig. In Mbüku, seiner früheren Heimat, in einer Ausbuchtung der trägen Gewässer des Nänga, unfern vom Seite 283 beschriebenen auffälligen Rundbau, wäre Mansi aufgetaucht. E r hätte einige Zaubermeister angerufen, vieles mit ihnen geredet, ihnen wichtige Geheimnisse anvertraut und zuletzt F e tt von seinem Leibe gegeben. Dieses F e tt oder Öl war etwas ganz Unvergleichliches, noch nie Dagewesenes. Man pries es als ein unfehlbares Heil- und Schutzmittel, bestimmt, das Volk von allen Leiden zu erlösen. Natürlich wollte jedermann davon haben. Mänsis Vertraute zogen von Dorf zu Dorf, hatten ungeheuren Zulauf und heimsten von den Betörten guten Lohn ein. Ihre Behandlung war einfach: sie betupften mit dem kostbaren Oie alle sieben Öffnungen des Leibes. Wen sie derartig gesalbt hatten, der war fortan gefeit gegen alle Übel und Gefahren. Keine Seuche, keine Seele, kein Gespenst konnte ihm etwas anhaben.


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