In Zeiten der Not und des Elendes, wenn alle Künste der Zünftigen und Unzünftigen versagen, sind die Gemüter empfänglich für wunderbare Geschehnisse, und rettende Gedanken. Da erstehen Weissager und Weltverbesserer, die durch die Dörfer laufen, das Volk aus seiner Dumpfheit aufrütteln und zu den seltsamsten Handlungen verleiten. Sie reden von der guten alten Zeit, von den Vorfahren, von Nsämbi, vom bösen Treiben der Menschen, von ihren heillosen Zauberkünsten, die alles verschulden. Das packt unter Umständen wie eine Offenbarung und führt zu einer oft weitgreifenden Umwälzung. Es wird aufgeräumt mit allem Zauberkram, mit den Fetischen, die verbrannt, zerschlagen, vergraben, ins Wasser geworfen werden. Auch manchem Ngänga ergeht es wie seinen Werken, damit alle fernere Zauberei unmöglich werde. Mancher Sünder verfällt der Wut des Volkes. Solche und andere Tollheiten, Ausbrüche der Verzweiflung und krankhafter Überreizung, mit manchmal recht schlimmen Begleiterscheinungen, entstanden in verschiedenen Gebieten während der Leidenszeit zu Anfang der siebziger Jahre. Vor einem Menschenalter sollten sie sich ebenfalls, aber in umfänglicherer Weise ereignet haben. Durch Vater Merolla wissen wir, dass bereits vor mehr als zwei Jahrhunderten in Kaköngo ein wütender Bildersturm gegen Fetische tobte, weil sie sich bei einer allgemeinen Seuche nicht bewährt hatten. Die erste Bewegung, die zu unserer Zeit stattfand, scheint von Gebieten südlich des Kongo ausgegangen zu sein. So behauptete man wenigstens in Böma, wo viele Fetische vernichtet, gleich anfangs einige Zaubermeister umgebracht und die Arbeiter in mehreren Faktoreien zu Baub und Mord, zur Verjagung der Weissen aufgewiegelt worden waren. Europäer vollzogen damals in Böma ein grausames Strafgericht an aufrührerischen Sklaven. Unter den Eingeborenen schienen stellenweise Zustände grösser Unsicherheit zu herrschen. Personen jedes Alters und Geschlechtes, selbst Leute von Bang und Ansehen verschwanden spurlos. Es hiess, sie wären lebendig begraben, in den Kongo versenkt, über den Strom nach Süden geschafft, übers Meer verkauft worden. Sogar aufgegessen sollten sie sein, was freilich nicht wörtlich zu nehmen ist. Auch von Verhexung und unsichtbarer Verschleppung sowie von Werwölfen wurde erzählt. Diese Vorgänge blieben auf südliche Teile unseres Gebietes am Kongo und im Inneren beschränkt. Im Vorlande verlief die Bewegung in einer viel milderen Form und erstreckte sich nicht bis zur Küste und nordwärts nicht bis zum Königsgau. Dafür entwickelten sich im Kullugebiete und weiterhin bis über Yümba hinaus andere Begebenheiten. Um diese zu verstehen, hat man sich den allgemeinen Notstand in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, der auch so schwer auf unserer Expedition lastete, zu vergegenwärtigen. Die Not war allenthalben gross, am grössten in vielen Gauen des Nordens. Infolge der mehrere Jahre ungenügend gefallenen oder strichweise fast gänzlich ausgebliebenen Regen waren die Dauergewächse auf den Schlägen verkommen, Saatkorn und Haustiere waren aufgezehrt. Hunger und Seuchen, namentlich die Blattern, verbreiteten Tod und Verderben, ■störten im Verein mit der kurz zuvor eingeschleppten neuen Hage der Sandflöhe Handel und Verkehr und trieben die Eingeborenen von ihren Wohnsitzen. Ganze Dörfer lagen ausgestorben (I 162, 164, 177). In •und an den verfallenden Hütten moderten Reste von nicht beerdigten Toten. Familien und Erdschaften waren gesprengt. Die Angehörigen fristeten zerstreut ein elendes Dasein im Busch, gaben sich jedem zu uigen, der sie haben und füttern wollte, oder verfielen auf ihren Streif- .zügen einsam dem Tode. Kein Wunder, wenn sich entwickelte, Wo,von die Geschichte aller Völker berichtet, wenn in solcher Bedrängnis Menschen, die allezeit von Furchtgebilden geplagt werden, deren zügellose Phantasie ihre ungeschulten Verstandeskräfte beherrscht, ausser sich gerieten und oft in I r r sinn, in Raserei verfielen. Wie den Lebenden erging es den Toten. Die hungrigen Seelen trieben es über alle Massen arg. Die Aufregung wurde durch immer neue Schauermären gesteigert. Weissager eiferten, Zauberer durchliefen die Dörfer, Geheimbünde wagten sich dreister hervor. In Yümba, wo das Elend am grössten war, veranstalteten trotzdem ¡Bewohner zweier Gebiete einen argen Spuk, den ich zum Teil mit erlebte. Sie wollten einen in einem Wlldniswinkel hausenden missliebigen Händler verscheuchen, einen anderen zwingen, seine versuchsweise aufgetane Buschfaktorei an einen ihnen genehmeren Ort zu verlegen. Flammen schossen .auf und huschten über Wege und Plätze; Wände und Dächer wurden durch mächtige Schläge erschüttert; Steine fielen vom Himmel, wo sich Personen im Freien zeigten. Auf den Zugangspfaden begegnete man Leuten, die längst gestorben waren, und anderen unbeschreiblichen Gespenstern. Zuletzt getraute sich niemand mehr zu den beiden Faktoreien; das Gesinde lief davon. - In dem Anwesen, dessen Besitzer schliesslich dem Spuk weichen musste, war überdies der Handelsgehilfe eines Abends meuchlings erschossen worden, als er vor der Tür des Wohngebäudes eass. Ein in die Gegend verschlagener Ersatzmann verübte bald darauf .an der nämlichen SteUe Selbstmord. Diese beiden Toten spukten im Hause, erschienen des Nachts dem gequälten Händler und machten ihm •den Aufenthalt vollends unerträglich. Bevor er seine Buschfaktorei schloss, erlebte er noch neue Schrecken. Ein äusserst frech gewordener Leopard tauchte bald hier, bald dort auf, •und drang sogar am hellen Tage in Dörfer und Gehöfte ein. Wahrscheinlich waren es mehrere Raubkatzen, die unbeerdigte Leichen 29*
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