Der Drang, die allenthalben spürbaren Kräfte zu meistern, zeitigt auch den Fetischismus, der eine erstaunliche Ausbildung erlangen und als System ein beachtenswertes Erzeugnis des Menschengeistes sein kann-. Seine wesentlichen Züge, mehr oder minder hervortretend, finden sich bei allen Völkern, zu allen Zeiten, in allen Religionen. Ob er als die niedrigste Art religiöser Betätigung, gleichsam als Keim aller Religion aufgefasst wird oder nicht, ist Sache der Meinung, nicht der Erfahrung. Nichts wissen wir über die Anfänge, und nur wenig über Art und Inhalt ursprünglicher Gedankenkreise. Es ist darüber mehr erdacht als erforscht worden. Alles wird ja wohl anf Beantwortung der Frage hinauslaufen, was Menschen früher und stärker beschäftigt hat: der Tod und die Seele, oder die Gegenstände und ihre Eigenschaften. Der Fetischismus muss nicht das Ursprüngliche, er kann ein späteres Beiwerk sein, das'sich aus einem abhängigen zu einem selbständigen Vorstellungskreis entwickelt hat. E r mag ältere Vorstellungen durchwuchert und überwuchert haben, weil er die Gemüter packt vermöge des Unmittelbaren und Anschaulichen, das in ihm steckt. Seine mannigfaltige Ausbildung vollständig zu entwirren, wird kaum im einzelnen, geschweige denn im allgemeinen gelingen. Immerhin ist der Versuch, den Fetischismus einer Gemeinschaft tunlichst gesondert zu behandeln, insofern berechtigt, als dadurch eine gewisse Übersichtlichkeit gewonnen wird. Namentlich dort, wo recht gut unterschieden werden kann, zwischen religiösen Vorstellungen, die Götter anerkennen, und einem Fetischismus, der mit Stoffen und Kräften hantiert. An der Loängoküste tritt der Fetischismus unter allen Verhältnissen auffällig hervor, ist vollständig mit dem Dasein der Leute verquickt. Er durchdringt und beherrscht ihr öffentliches wie ihr häusliches Leben, ihre sittlichen Anschauungen wie den allgemeinen Inhalt ihres Wissens, ihr Staatswesen, Recht und Gesetz wie ihre Überlieferungen. E r ist zu einem dem Selbsterhaltungstriebe entsprungenen System geworden, das, bei aller Einfalt, immerhin als ein Meisterstück von ausgetüftelter Mannigfaltigkeit erscheint. Nach meiner Erfahrung gibt es keinen Stamm, der sich in dieser Hinsicht mit den Bafiöti messen könnte. Jedenfalls ist ihre Heimat der Brennpunkt des urwüchsigen westafrikanischen Fetischismus. Nach Norden wie nach Süden hin verliert dieser an Eigenart und Bedeutung, nach dem Inneren hin in solchem Masse, dass er jenseits des Gebirges nicht mehr augenfällig ist oder war. Denn die Mustergläubigen dürften infolge des gesteigerten Verkehrs bald Schule machen, während allerdings ihre Glaubenssätze selbst sich schnell wandeln werden. Als Ursache dieser bemerkenswerten Erscheinung könnte die mittelbare Ein- und Nachwirkung der frühesten Missionstätigkeit südlich vom Kongo betrachtet werden. Die alten Missionare, die hauptsächlich tapfer darauf los tauften, vermochten zwar die Gemüter zu erregen, aber nicht zu zügeln und in der neuen Lehre zu festigen. Auch konnte der Kultus, dem sie huldigten, die Eingeborenen kaum anders anmuten, als eine neue wohlgeregelte und prunkvolle Art von Fetischismus. Aber diese naheliegende Erklärung befriedigt nicht. Denn nach allen Berichten waren schon vor mehr als drei und dritthalb Jahrhunderten die Bafiöti ebensolche Mustergläubige wie sie noch heute sind. Damals hatten jedoch Missionare die Loängoküste noch nicht einmal berührt, und von ihrem erst beginnenden Wirken jenseits des Kongostromes wird um jene Zeit in Loängö gewiss noch nichts zu verspüren gewesen sein. Deswegen wäre es nicht gerecht, den frommen und eifrigen Vätern die Schuld an diesen Zuständen aufzubürden. Einige allmählich aufgekommene Besonderheiten, wie das Kreuzigen von Verbrechern gegen das Erdrecht, die menschenähnliche Gestaltung mancher Hauptfetische, das Benageln solcher Stücke, das Anräuchern sowie manche Formen der Beschwörung dürften allerdings von der Missionstätigkeit entlehnt worden sein. — Gleich allen Menschen fühlen sich die Bafiöti von sichtbaren und unsichtbaren Gefahren bedroht, deren Abwehr der Selbsterhaltungstrieb fördert. Gleich allen Menschen haben sie Wünsche, deren Erfüllung ihnen am Herzen liegt. Wie alltägliche Ereignisse lehren, sind die Gefahren nahe, Nsämbi hingegen ist weit. Man hegt zu ihm kein unbedingtes Vertrauen.- Denn die Erfahrung zeitigt Zweifel, ob er sich um das Schicksal einzelner, um ihre Leiden und Bedürfnisse kümmere, ob er um kleiner Angelegenheiten willen aus seiner Gleichgültigkeit heraustrete. Ist doch die Zahl der Bedrohten wie der Begehrenden sehr gross, und noch grösser die Zahl ihrer mannigfaltigen, oft widerstreitenden Wünsche. Duldet doch Nsämbi das Treiben der schlechten Seelen und Menschen, die sicherlich nur aus ihrer bösen Natur oder vermöge ihrer Kenntnis geheimer Kräfte andere gute Menschen verderben. Unsere Eingeborenen, ganz und gar mit sich und mit dem Nächstliegenden beschäftigt, verstehen nicht, Kleines dem Grossen anzupassen, sich mit sinnigen Erklärungen zu trösten. Wäre ihr Nsämbi ein eifriger und tüchtiger Gott, aufmerksam und willig, so müsste er auf jeden hören, alle immerzu väterlich überwachen, wilde Tiere, Hungersnot, Seuchen, Seelen, Unholde abhalten, jedem Guten das Dasein behaglich machen, jeden Bösen strafen und vernichten. Da es hiermit hapert, weil Nsämbi sich fast zur Ruhe gesetzt hat, ist die Welt nicht völlig geordnet. Die erhabenen Vorstellungen versagen vor den gemeinen Sorgen des Lebens. Und so geschähe es wohl überall, wo nicht durch nachdrückliche Fö rderung der Lehre die Gemüter beständig auf Höheres hingelenkt würden.
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