sogar, das Kind, das nach der Mutter ruft, weil es ihm auf Erden schlecht ergeht, zu sich zu holen. Und umgekehrt: zu einer Mutter, die sich im Gram um ihren verstorbenen Liebling verzehrt, kann das Kind zurückkehren, es kann wieder geboren werden. Dass auch der Gedanke an ein Wiedersehen drüben vorhanden ist, hörte ich von unserem Maboma. Als ich kurz vor seinem Tode nochmals bei ihm weilte, sagte er mir in Gegenwart seiner Leute, mit ihm wäre es vorbei, er ginge nun zur Erde, zu Mutter und Vater. Anscheinend gibt es auch einen Verweser an der Schwelle des Reiches der Abgeschiedenen, der gelegentlich wieder mit dem politisch einst so wichtigen Fährmann in Verbindung gebracht wird. Da hätten wir den Charon. Nur war leider darüber gar keine Klarheit zu erlangen. Es kann ein beliebiger Unhold gemeint sein. Ob dieser, als Wächter am Totenreiche gedacht, etwa die einziehenden Seelen wasche oder weiss färbe, war niemand bekannt. Die Vorstellungen vom Sein nach dem Tode, von der Seele als Abbild des Leibes führen zu Handlungen, die auf Abfindung der Toten, in der Hauptsache immer auf Schutz der Lebenden gerichtet sind. Ein System solcher vorwiegend abwehrender Handlungen, denen jedes, auch das derbste Mittel recht ist, als Seelenkultus zu bezeichnen, erscheint bedenklich. Indessen kommt es auf die Auslegung an. Wie wir schon wissen, gehört es zu den höchsten Wünschen der Lebenden, recht schön begraben, festlich beklagt und gut beredet zu werden. Das ist nicht bloss Grosstuerei. Vielmehr soll die Seele versorgt sein, standesgemäss ins Jenseits gelangen, und bald ihre Ruhe finden. Gleich unseren Kleinleuten, die es sich vielfach am Munde abdarben, um einst eine schöne Leiche zu sein in Staatskleidern eingesargt zu werden, den Totenschmaus reichlich ausrichten zu lassen, so sammeln die Eingeborenen, die auf sich halten, bei Lebzeiten Ballen von Stoffen zum Einwickeln ihrer Reste, und andere Schätze, darunter auch Rum, womit der Aufwand für die Leichenfeier, der manche Familie zu ruinieren vermag, bestritten werden soll. Schaffen die Angehörigen nachher von diesem Ersparten beiseite, legen sie nicht vom Eigenen hinzu, um die Beerdigung prunkvoll zu gestalten, die Klagefeste recht oft und lange zu wiederholen, so bekunden die zu kurz gekommenen Seelen ihre Unzufriedenheit. Und das ist bei Seelen von Grossleuten sehr ernsthaft zu nehmen. Deshalb kümmern sich um sie nicht bloss die Angehörigen und Freunde, sondern die Gemeinde, die Erdschaft und die Nachbargebiete. Sie für die Zukunft sich wohlgeneigt zu stimmen, strebt man schon bei Lebzeiten ihrer Träger an, besonders wenn man glaubt, dass es mit ihnen zu Ende gehe. Solche Regungen sind nicht unwesentlich für eine Entwicklung des Mitgefühles. Von weither kommen Bekannte, raten, trösten, bringen Geschenke. Die Seele, die wer weiss was anrichten, wer weiss wen nachholen könnte, soll freundlich gesinnt scheiden und nachher in Ruhe lassen. Als es mit unserem Maböma zum Sterben kam, eilten Besucher in Menge herbei, unter ihnen Fürsten vom fernen Waldlande. Allerdings war unser Maböma ein beliebter und hochgeachteter Häuptling. Doch glaube ich, dass man sich um einen recht bösen, gefährlichen Grossmann noch mehr bemühen würde. Übrigens wird Blutsbrüderschaft vornehmlich um der Seelenversorgung willen geschlossen und ist in diesem Sinne eine Art Versicherung fürs Jenseits. Wegen der Seelen von Kindern, von Kleinleuten, von Ausgestossenen, Leibeigenen und Hörigen, die der Herr nicht besonders wert hielt, wird nicht viel Aufhebens gemacht. Es ist im Tode wie im Leben. Um die Seelen, deren Träger unter ihresgleichen nicht viel zu bedeuten hatten, ist es schlecht bestellt. Sie mögen sehen, wie sie auskommen. Übler daran ist man mit den Seelen der Menschen, die frühzeitig und gewaltsam, sei es durch Hexenwerk, sei es durch offenen Mord, das Leben verloren haben. Sie sollen mindestens noch so lange umgehen, wie ihr irdisches Sein gedauert haben würde, wenn es nicht frevlerisch verkürzt worden wäre, finden aber leicht Geschmack am Umgehen und treiben es weiter. Jedenfalls können sie nicht Ruhe finden und plagen ihre Angehörigen, bis die Verbrecher entdeckt und bestraft worden sind. Daher die Blutrache und die schonungslose Vernichtung ausgefundener Hexen, die nicht in die Erde gelegt werden dürfen, mit deren Leibe auch das Böse, das Abbild, die gefährliche Seele zerstört werden soll. F ü r eine ordentliche Seele ist die Beerdigungsfeier so wichtig, dass sie solche auch dann fordert, wenn die Hinterbliebenen den Körper gar nicht erlangen können. Der Mensch hatte sein Heim, die Seele will für ihre Hülle ein Heim haben: die Grabstätte in eigener Erde. Um ibr und allerdings auch den Mitmenschen zu genügen, wird ein Scheinbegräbnis veranstaltet. So tun wenigstens Leute von Familie. Wir haben es erlebt, dass unser Dolmetscher in dieser Weise für seine im Meere versunkene Schwester sorgte. Umgekehrt will man Seelen von Fremdlingen - f r bätua — nicht an seine Erde binden, weil sie mehr fordern, spuken könnten, will man sich mit dem Verscharren von Toten nicht befassen, um sich keine Verpflichtungen aufzubürden, weil der erbt, der begräbt. Daher die Verweigerung des Grabes, Palaver und Scherereien, wie im zweiten Kapitel geschildert worden ist. Die Leiche eines Erdfremden, die längere Zeit unweit unseres Gehöftes und des nächsten Dorfes in der üblichen Aufmachung hing, tL oangIo. 20
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