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296 Unsterbliclikeitsglaube. in männlicher Gestalt, die ganz Ungeheuerliches darbieten. Aber das ist, wie später zu erklären, bloss Marktschreier ei. Bei ihnen und ihren Meistern suchen Männer insgeheim Trost und Stärkung. Tänze, Aufzüge, überhaupt irgendwelche Veranstaltungen, wobei der Phallus eine Rolle gespielt hätte oder auch nur zu sehen gewesen wäre, haben wir nicht beobachtet. Dagegen schreibt Degrandpre, dass er bei der Leichenfeier eines Königs (1787) einige maskierte Personen mit einem ungeheuren, mittelst Federkraft bewegten Priap vor versammeltem Volke unzüchtige Tänze aufführen sah. E r betont, dass namentlich die anwesenden Weiber des Verstorbenen sich über diese Vorstellung sehr belustigten und dass Kinder zugegen gewesen seien. So wie wir die Eingeborenen und ihr Gefühl für das Schickliche kennen gelernt haben, würden wir ein solches Schauspiel in Loängo nicht für möglich halten. Allein Degrandpre berichtet als Augenzeuge und erweist sich in jeder Hinsicht als ein glaubwürdiger Mann. Dieses Beispiel lehrt wiederum, wie selbst bei jahrelangem Einleben mit einem Volke Vorgänge verborgen bleiben können, die mit allen übrigen E rfahrungen nicht in Einklang zu bringen sind. Vielleicht handelte es sich damals um eine Rüpelei, wie sie allerwärts einmal vorkommt, vielleicht um eine anderweit bedeutsame Vorführung, die, gleich dem sagenhaften Kudyemba, nur bei Feierlichkeiten allerersten Ranges stattfand. Was von Ahnendienst vorhanden ist, oder dahin gedeutet werden kann, wird sich aus dem Folgenden ergeben. Man könnte viele Monate in Loängo verweilen, und nachher versichern, je nach zufälligen Auskünften und Beobachtungen, dass ein ausgeprägter Unsterblichkeitsglaube die Gemüter erfüllte, dass keine Spur eines solchen vorhanden wäre. Das ist unsere eigene Erfahrung. Beides wäre unrichtig. Freilich behaupten Gewährsleute, mit dem Tode oder mit der Totenfeier sei alles vorüber. Aber ihre Herzensmeinung ist das nicht, denn ihre Handlungen widerlegen ihre Worte. Solche Redensarten sind vielsinnig und beziehen sich oft auf ganz anderes, als man wissen wollte. Die Bafiöti glauben allesamt an eine Fortdauer. Der Tod ist nicht der Abschluss alles Lebens, sondern bloss eine Scheidung zweier Formen des Daseins: des körperlichen und des seelischen. Niemand zweifelt daran, dass vom Menschen nach dem Tode noch etwas Selbständiges übrigbleibe. Dieses bald zu erklärende Etwas, meinten Männer, stecke beim Lebendigen im Rückgrate und reiche bis in das Gemächte, es gleiche einem Wurme oder sei darin enthalten, wobei sie gewiss an Rückenmark und ejaculatio denken. Sie vergleichen auch Weib und Erde, Regen und keimende Saat. Im Menschen sind zweierlei Leben: einmal die körperliche, die pulsierende Lebendigkeit — möyo, sodann das Leben, das geistige Leben, die Dauer, das Sein -$■ luslngu. Der lebendige Mensch ist eine Einheit. Der tote Mensch, der unbeerdigt daliegt, ist eine Zweiheit, fast eine Mehrheit. Diese besteht aus dem Leichnam — tschivlmbu, plur. bivimbu — und aus dem Weiterlebenden, das die Hülle oder den Körper — nitu, nyitu, plur. sinltu, sinyltu zu dem es gehörte, verlassen hat. Dieses Fortdauernde, nicht möyo, sondern luslngu, ist des Menschen nicht greifbare Hälfte, ist seine Natur, seine ganze Wesenheit — lupängulu , wovon nur ein Teil die Seele ist. Möyo ist gänzlich zu Ende, ist tot, und mit ihm haben aufgehört alle Verrichtungen des nun zerfallenden Körpers. Luslngu dagegen stirbt nicht. Es bleibt mit den Äusserungen des Geistes, mit dem Wünschen, Fordern, mit dem Willen: lusölu. Kusöla: wollen, lieben, oft zugleich auch tanzen, nämlich den Becken- oder Hüftentanz. Und das ist bedeutsam. Tanz, so hingebend und feierlich betrieben, ist nicht Gottesdienst, aber Ahnendienst: er gilt den gewesenen und den kommenden Geschlechtern. E r verherrlicht die Übertragung des Seins durch die Vermittler an die, die sein werden. Sonach hat die Seele zwar ein Sein — luslngu, aber sie ist keineswegs das Leben — möyo - B selbst, das im Herzschlag — bäga möyo — pulst, im Blute — menga — sitzt, und mit diesem verebbt oder mit ihm durch List und Zauber zerstört wird. Die Seele ist auch nicht der Schatten, obschon der Glaube gäng und gäbe ist, dass Tote und Gespenster keinen Schatten werfen, was aber nur in gewissem Sinne zu verstehen ist. Die Seele entweicht mit dem letzten Atemzuge — mvümuku, aber sie ist keineswegs der Atem — muvü selbst, die fühlbar und hörbar aus und ein gehende Luft. Der Atem hört beim Todep|lljlufuä, eigentlich das Sterben ¿s- auf, eben daran stirbt der Mensch. Die Wesenheit, die den Körper verlässt, besteht aus dem Abbilde des Menschen, aus der Seele, sodann aus dem gesamten geistigen Vermögen, nennen wir es Potenz, worunter zu verstehen isti Lebens-, Genussund Zeugungskraft — lunyensu — Verstand und Einsicht — lünsi und luvindu, Gewissen, Herz und Gemüt -Hntlma und luntlmu. Es wird gesagt, dem Narren fehle es an lünsi und luvindu, im Irrsinnigen sei beides verwirrt, während ihnen doch luntlmu und lunyensu und die Seele nicht abgesprochen werden. Bei hastigem Verfahren könnte man von einem Glauben an zwei, drei, auch vier Seelen reden. Diese wären: die Potenz, das Schöpferische als Ahnen- oder Abkunftswesen, vielleicht auch als Teil einer All- oder Weltseele. Sodann die Personen-, Art- oder Gelüstseele. Schliesslich, wie sich nachher ergeben wird, die Traumseele und die


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