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dem Seelenglauben verbunden, wonach Vergangenheit und Zukunft in eins zusammenfliessen, fast ein Wunder im Zusammenhänge mit den Gewesenen, was auch für das Eintreten der Probejungfern, der Bakümbi, beim Zuge des Ma Loängo bedeutsam erscheint, und was uns späterhin zur Erklärung von mancherlei anderen Einrichtungen zu dienen haben wird. Bei Grossleuten und überhaupt hei Leuten, die auf sich halten, ist dadurch auch die Wahl der Gattin stark beeinflusst. Zur Königszeit hatte Bünssi oder Mkissi nssi eine ganz andere Bedeutung als heutzutage. An seinen Verehrungsstätten, wo auch die Opferplätze lagen, brannten die von jedem Herrscher erneuerten Staatsfeuer, deren Hüter, Priester und Reichsschmiede zugleich, mit nicht geringer Machtbefugnis ausgestattete Beamte waren, etwa wie die Eergen namentlich an den Grenzflüssen des engeren Reiches. Nach Aussagen der Kundigen im Königsgau, die freilich nicht unbeeinflusst von Eitelkeit und Missgunst sein dürften, gab es ursprünglich nur je eine Verehrungsstätte in jedem einem Mfümu nssi unterstellten Gau. Mit dem politischen Verfall hat sich, wie im zweiten Kapitel geschildert worden ist, vieles geändert. Zwar bestehen noch alte Einrichtungen, und noch hat das Tschina seine Kraft nicht gänzlich verloren. Aber die Hüter der Verehrungsstätten sind nicht mehr eine durch einheitliche Auffassung verbundene, dem Staate dienende Genossenschaft. Viele betreiben nebenbei die einträglichen Künste der gewöhnlichen Zaubermänner oder Eetischmeister. Sie sind ebensowenig einig wie die Herren von Stücken der wiederholt aufgeteilten alten Gaue, von denen ein jeder am liebsten als mächtiger Erdherr gelten und eine Verehrungsstätte auf seiner Erde haben möchte. Wo es keine gibt, lässt man neue entstehen oder verlegt alte dahin, namentlich die wirksamen Opferplätze. Das ist politisch klug. Deswegen sind geweihte Stätten, die sogenannten Tierschädelfetische, meistens unechte, zahlreicher als anderswo in Gebieten, wo der Handel blüht, wo die Emporkömmlinge gedeihen, besonders in einiger Entfernung vom Königsgau und von alten Fürstensitzen. Auch mag daher der Brauch kommen, die Stätten mit Namen zu belegen und diese Namen dem Titel ihrer Hüter beizufügen, was deren Selbstschätzung sehr befriedigt. Priester und Häuptlinge — die Würden beider sind oft in der nämlichen Person vereinigt — obgleich selbst befangen, sind natürlich bestrebt, das Ansehen ihrer geweihten Stätte, das Geheimnisvolle, das sie umwebt, nach Kräften zu erhöhen. Während Altgläubige versichern, es gäbe nur ein Allwaltendes, einen Mkissi nssi, eben Bünssi, glauben andere an eine Vielheit und wenden die Pluralform an, und zwar die, die sonst nur für Personen gilt: sie reden, und das ist auch kennzeichnend, von Baldssi ba nssi. So ist denn der alte, ehrwürdige Bünssi gleichsam zu einem politischen Fetisch geworden. Bis zu einem gewissen Grade wird das auch in der Königszeit so gewesen sein. Damals lag jedoch die Macht in den Händen einer Familie, einer Kaste, bei wenigen, die natürlich dafür sorgten, dass Einrichtungen, womit sie standen oder fielen, unangetastet blieben und ihren tieferen Sinn behielten. Da ein Ma Loängo nicht mehr regiert, da die Staatsfeuer beinahe seit vier Menschenaltern erloschen sind, da immer neue Gewalthaber und Erdherren aufstreben, so weiss das Volk nicht recht, was es eigentlich vom Bünssi oder Mkissi nssi zu halten .hat. E r wird doch nur so lange waltend gedacht, wie ein Oberherr auf Nsämbis Erde thront. Kein Ma Loängo, kein heiliges Feuer, kein Bünssi. So ungefähr lehrt die Überlieferung. Trotzdem vermeint man im Laufe der Zeit sein Walten noch zu spüren, und man hat es während der schweren Heimsuchungen in den siebziger und achtziger Jahren wieder mit Schrecken erkannt. Das Volk schwankt in seinem Glauben und in seinen Stimmungen, so wie fette und magere Jahre, leibliche Not, Krankheit, Streit, Handelskrisen, und wiederum Lebensfülle, behagliches Dasein miteinandei wechseln. J e nachdem pflegen unerklärliche Vorgänge, seltsame Erscheinungen in der Natur und im Menschenverkehr die Gemüter kaum leise zu berühren oder mächtig zu erregen. Vergangenes steigt dann herauf, Vergessenes wird wieder lebendig, Altes und Neues übt in unentwirrbarer Mischung seine Macht. So wird es erklärlich, dass die im Volke verbreiteten Ansichten über das Wesen Bünssis ihn bald als Gottheit, bald als Fetisch nehmen. Die meisten der Gewährsleute, die eine höhere Einsicht beanspruchen, gestehen ihm die bereits angeführten Eigenschaften zu: E r ist unsichthar, wohnt in der Erde; er regelt nach Verdienst der Menschen Niederschläge und Fruchtbarkeit; wer sich an ihn wenden will, muss zu ihm pilgern. Im übrigen gehen aber die Meinungen namentlich bei der grossen Masse weit auseinander. E r ist von Nsämbi eingesetzt. E r hat mit Nsämbi nichts zu tun. E r ist überall derselbe. E r ist an jedem Orte eine selbständige Grösse, an Macht verschieden, und trägt deswegen auch verschiedene Namen. J a man will wissen, er sei überhaupt nicht mehr da oder tätig, habe sich vielmehr gleich Nsämbi zur Ruhe gesetzt, in die Tiefen der Erde oder anderswohin zurückgezogen. Man müsse sich ohne König und ohne ihn behelfen, so gut es eben gehen wolle. Deswegen wirkten statt seiner in den verschiedenen Landschaften von Zaubermännern ersten Ranges hergestellte ungeheuer starke Fetische. Die seien aber nicht unsichtbar, sondern greifbar wie andere Fetische auch. Der eine sei ein Holzgebilde, der andere ein Kasten, Korb, Topf, Geflecht oder Sack, noch andere bestünden aus anderem Zauberkram.


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