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verwenden sie auch als Marken in ihren Überlieferungen, in der Zeitrechnung. In solchen Nöten erstehen Begeisterte, Reformatoren oder Propheten — mubili, plur. bablli, von kublla: verkünden, weissagen , die, ausser den uns schon bekannten Rufern und Barden, das Land durchziehen und das den Leiden erliegende Volk aufrütteln. Davon später. Immerhin äussert sich dann und wann der Glaube, dass in persönlichen Angelegenheiten, wenigstens in solchen wichtigerer Art, Nsämbis Wille sich betätige. Die Leute fühlen sich unter bedrohlichen Umständen, nur nicht im Kriege, unmittelbar abhängig von seinem Walten, und stellen ihm, trotz ihrer Fetische und Zauberkünste, ihre Geschicke anheim. Das geht schon aus ihren Reden hervor. Wer einer Krankheit zu erliegen fürchtet, wer um den Ausgang eines ihn tief berührenden Unternehmens bangt, mag sich mit den Worten trösten: Nsämbi hat die Macht, wie Nsämbi will. Wenn ein Fahrzeug durch gefährliche Brandung, über eine Stromschnelle zu leiten ist, und wenn man deshalb den Steuermann ermahnt und anspornt, entgegnet der mit einem Hinweis nach oben: das ist Nsämbis Angelegenheit. Bei einem Todesfälle mögen sich die Hinterbliebenen mit dem Ausspruche beruhigen: Nsämbi hat ihn befohlen, abberufen. Auch Frauen in schweren Kindesnöten schreien zu Nsämbi, dass er sich erbarme. Das erste Autkreischen des Neugeborenen gilt gewissermassen als ein Anruf, als eine Anmeldung bei Nsämbi. Freudvoll hören sie e s, das ja auch ein wichtiges Zeichen für das zur Erde geborene Kind ist, und nennen den Schrei nsämbu: Gnade, Gunst. Nicht minder bedeutsam i s t, obwohl nur als Bild zu nehmen, dass man einen recht leuchtenden Rundschein um die Sonne als ein Sonnenpalaver ansieht und dahin erklärt, dass bei Nsämbi beraten werde, ob wieder eifl Mächtiger unter den Menschen abzurufen sei. Wem öffentlich ein empfindliches Unrecht geschieht, wem es an Leib und Leben geht, der verweist manchmal angesichts mächtiger Fetische mit Worten und Gebärden auf Nsämbi und führt dabei einen kurzen, feierlichen Reigen aus. Bisweilen gebrauchen auch die Leute das Wort Nsämbi unter sich oder Fremden gegenüber, und zwar unterwürfig, beteuernd, verbindlich, je nachdem sie die Erfüllung eines Befehles, eines Auftrages, eines eindringlich geäusserten Wunsches zusichern wollen. Bezeichnend ist, dass sie statt Nsämbi gelegentlich Kalünga rufen. Dabei streichen sie manchmal mit der Hand von der Schulter abwärts über einen Arm, der absterben, gelähmt werden möge, wenn sie das Zugesicherte nicht getreulich besorgen. Freilich pflegt ein unter Mitwirkung berühmter Fetische gegebenes Versprechen gemeiniglich besser gehalten zu werden; wird doch auch unter Zivilisierten der Staatsanwalt oft mehr gefürchtet als Gott. Um sich unverbrüchlich zu binden, übergibt jemand dem Auftraggeber wohl auch die Hälfte eines zerknickten Holzstückchens oder reisst ein Haar vom Kopfe als Unterpfand. Nach getaner Dienstleistung erhält er Hölzchen oder Ha ar, womit freilich auch gezaubert werden kann, wieder zurück. Ferner pflegen um Nsämbis willen gelegentlich untergeordnete Leute von ihren Herren die Gewährung eines Anliegens zu erflehen. Wird jemand unerwartet und ohne zu einer Gegenleistung verpflichtet zu sein, durch ihn erwiesenes Gutes recht beglückt, so dankt er manchmal nicht bloss mit Worten und Gebärden dem Wohltäter, sondern hebt auch die Arme gen Himmel, dass Nsämbi es vergelten möge. Ferner fordern die Berufenen bei Gerichtstagungen auf Wegkreuzungen, bei wichtigen Handlungen einander auf, wahrhaftig zu sein, aus reinem Herzen zu richten um Nsämbis willen. Sodann haben sie die Redensart: für Nsämbi, um Nsämbis Lohn arbeiten, womit sie freilich meinen: Nutzloses treiben, herumbasteln, Arbeiten verrichten, die nichts einbringen, und scherzhaft auch, beschaulich faulenzen, am Tage schlafen, was ja im Dienste der Fremdlinge nicht weiter schadet. Ferner findet sich die Meinung, dass ein Sprachloser oder Taubstummer von Nsämbi der Fähigkeit beraubt worden sei, damit er die Geheimnisse der Gottheit nicht verrate. Auch wird, allerdings mehr drollig, erzählt, dass aus demselben Grunde Affen und andere, vielleicht alle Tiere in den Menschen unverständlichen Sprachen reden. Ein Glückskind kann jedoch die Tiere verstehen. Den Weibern und Leibeigenen wollen die Männer das Rufen zu und das Reden über Nsämbi nicht erlauben; es soll verboten sein. Dennoch sprechen Frauen und Mädchen von Nsämbi und rufen ihn auch an. Ob sie es tun oder lassen, wird, wie so vieles, lediglich eine Machtfrage zwischen ihnen und den Männern sein. Als die junge Frau unseres Maböma von Nsämbi erzählte und ein dünkelhafter Gesell deswegen aufbegehrte, wiederholte sie nun erst recht in herausfordernd mutwilliger Weise das verpönte Wort. Um das Verhältnis unserer Leute zu Nsämbi richtig zu würdigen, müssen wir uns erinnern, dass ihre Welt nicht unsere Welt, ihre Erde nicht unsere Erde ist, sondern nur das Stückchen, worauf sie leben, mit dem Himmel, der sich darüber spannt. Wenn sie sagen, Nsämbi habe alles gemacht, so meinen sie nur, was für sie da ist. Nicht einen Weltengott in unserem Sinne begreifen sie, sondern nur ihren Nsämbi, der ihnen wie ihr höchster Häuptling vorschwebt, dem sie als Volk, als Stamm zugehören. Sie sind seine Menschen, wie sie wiederum ihre Menschen haben. Die Bandündu, die auszogen, um anderwärts zu leben, haben mit der neuen Heimat wahrscheinlich auch einen neuen Nsämbi eingetauscht. Und sie sind überlegene Menschen, weil sie den stärkeren Lo&ngo.


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