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Leibeigene. Stellung. Zuläufer. denn bei aller Hoheit und aller Habgier werden die Gefühle sowie die Besitztümer der Niedrigsten in versöhnender Weise geschont, so lange es das Gemeinwohl zulässt. Auch sonst wird der Leibeigene nicht hart gehalten, falls er sich gut beträgt. E r wird nicht missachtet, verkehrt mit den Freien, und muss jedenfalls nicht mehr als andere arbeiten. Es heisst zwar, dass er in der viertägigen Wocbe eigentlich drei Tage fronen solle, gewöhnlich werden daraus aber nur zwei Tage, wie für die Hörigen üblich. Die übrige Zeit nutzt er zu seinem Yorteil. Seine Kinder haben die Stellung der Mutter. Die von einer Leibeigenen stammenden Kinder sind nach Mutterrecht zwar leibeigen, sind aber schon wesentlich besser gestellt. Der Erdschaft geboren, in ihr aufgewachsen, sind sie inniger mit ihr verbunden. Sie selbst haben doch keine Schuld auf sich geladen, leiden daher unter einem unverdienten Missgeschick. Deswegen werden, wie die besten Gewährsleute behaupten, Nachkommen Leibeigener mit dem Tode des dritten Erdherrn frei, oder, wie andere wollten, die dritte Generation ist frei geboren. Vermutlich kommt der Ausgleich in beiderlei Gestalt vor, wenn überhaupt nachher darauf noch Wert gelegt wird. Das Kind einer Leibeigenen, das der Erdherr auf eigener Erde erzeugt h a t, is t, wie noch zu besprechen, in der Erbfolge ausserordentlich begünstigt. Wer sich leibeigen erklärt, kniet vor dem erwählten Erdherrn nieder, bläst und besprudelt ihm leicht die Fusssohle, setzt sich den Fuss in den Nacken und drückt das Gesicht zur Erde. Fürst oder Fürstin haben sich zu wahren, dass der Zuläufer bei der Aufnahme sich nicht unversehens zum Kinde der Erde macht (Seite 164). Will der Erdherr ihn nicht annehmen, so scharrt er nötigenfalls mit dem Fusse Staub gegen ihn; dann hat der Abgewiesene vor dem nächsten Sonnenschein die Erdschaft zu verlassen. Gleichwohl gewährt man ihm durch die Wbiber Nahrung, aber nur solche, die nicht am Feuer gestanden hat. Auch darf er sich kein Feuer anfachen. Begehrt ihn jedoch eine nküinbi, eine Jungfrau, zum Manne, so bleibt er in der Erdschaft, selbst wenn ihn der Erdherr vorher verwarf. Der aufgenommene Leibeigene gehört fortan zur Erdschaft, die für alles, was er anrichtet verantwortlich ist, nur nicht für Schulden, weil er kein Hecht hat, zu borgen. Kein Gläubiger kann wider ihn klagen. Die Verantwortung geht auf jeden anderen über, dem der Mensch auf irgendwelche Weise zufällt, oder dem er sich, entwichen, wiederum zu eigen gibt. Solchen Überläufer aus der Nachbarschaft oder von bekannter böser Art pflegt man allerdings lieber abzuschieben, um sich seinetwegen nicht in Ungelegenheit zu bringen. Aber festgehalten und ausgeliefert wird er nicht. Niemand leistet den Verfolgern, die vielleicht schon angelangt sind, Beistand; sie mögen sehen, wo sie ihn finden und greifen können. Auch ihm kommen zugute, wie schon beschrieben, die Stellen mit Gottesfrieden und die Machtbefugnis der Fährleute. So kann er, allenthalben von den Frauen, die er vielfach auf dem Felde anbettelt, mit ungekochter Wegzehrung versehen, in entlegene Gebiete eilen, wo er Unterschlupf finden oder ausser Landes gelangen mag. Freilich läuft er auch Gefahr, von beharrlichen Häschern dennoch gepackt zu werden. Diese Vergünstigungen verlieren sich aber immer mehr unter dem Einfluss der Europäer, denen Entlaufene für Fanggeld zurückgebracht werden. Viel besser als Leibeigene sind Hörige daran, die mit Halblingen und Geiseln sicherlich den Hauptteü der Bevölkerung ausmachen. Sie sind keine Verbrecher und fallen nicht, wie Leibeigene, in das Vermögen der Erdschaft. Denn sie sind nicht erdlos, nicht ausgestossen, haben vielmehr häufig noch Anhang, der die Besitzer verantwortlich hält. Ihre Herren, denen sie übrigens das Herrsein manchmal recht sauer machen, können nicht willkürlich über sie verfügen, dürfen sie weder misshandeln noch töten, auch nicht verkaufen, es wäre denn wegen Schulden, die niemand tilgen kann oder will. Dagegen haben die Herren sie in jeder Hinsicht zu vertreten, sie auch zu ernähren, zu kleiden, zu behausen, ihnen auf Wunsch Frauen oder Männer zu beschaffen, für ärztliche Behandlung, auch für Beerdigung zu sorgen. Menschen jedes Alters und Geschlechtes können auf immer oder bloss auf Zeit, auf eigener oder fremder Erde hörig sein, und zwar bei Männern wie Weibern, bei Erdherren, Fürsten, Freien, Kindern, sogar wiederum bei Hörigen, da, wie bereits erklärt, lebendiges Besitztum der Personen nach Erdrecht so gut wie unantastbar ist. In Hörigkeit gera te n d e auf mancherlei Weise: freiwillig, durch eigenes Verschulden oder durch das von Verwandten, durch äusseren Zwang. Wer nicht mehr aus noch ein weiss, verschuldet ist, sich mit den Seinen überworfen hat oder als ein Unglückskind (das unverschuldet den Seinen dauerndes Ungemach bringt) in aller Güte fortgeschickt wird, wer sich verlassen, unsicher fühlt, die Folgen dummer Streiche, Anklagen wegen Hexerei fürchtet, geht zu irgendeinem anderen: nimm mich, sei mein Vater, meine Mutter. Am liebsten wählt er natürlich angesehene Leute von gutem Kufe.. Mit der Erfüllung seines Wunsches ist er ein unverantwortlicherund sorgenloser Dienstbote oder Gefolgsmann geworden. Reste von Erdschaften und Familien, die durch Hungersnot und Seuchen gelichtet, zersprengt worden sind, irren umher. Sie sind unverschuldet in Not geraten, sind Unglückliche, Elende Nsämbis, an denen niemand sich vergreift, um sie etwa leibeigen zu machen. Sie'leiden, wie man erfahrungsmässig nur zu bald selber leiden kann. Man lässt sie mitessen, wenn man’s dazu hat. Sie bieten sich Afrikanern oder


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