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230 Strafen. Todesarten. Liebestaten. lasse er sicli lieber nicht auf solche Kettungen ein. Schon die Gläubiger, berechtigte und unberechtigte, könnten ihn mit Palavern um seine Kühe bringen und endlos quälen. Ein schwerer Erdfrevel wird in der Kegel an Leib und Leben gerächt, damit keine Plagen über das Land kommen. Schon der Yersuch verwirkt das Lehen, weil der böse Wille vorhanden war. Verschärft wird das Urteil, indem man dem Missetäter das Grab verweigert. Doch vermeidet man, sein Blut zu vergiessen. Sittlichkeitsverbrechen werden, wenn nicht mit dem Tode, mit dem Brechen der Oberschenkelknochen oder mit dem Zerquetschen der schuldigen Teile bestraft. Zur Königszeit gab es eine grosse Trommel. Wenn zwischen Aufgang und Niedergang der Sonne ein Verdammter mit dem, womit er sündigte, das Trommelfell zu durchstossen vermochte, wurde er weder getötet noch verstümmelt, weil er erwiesenermassen gut zum Volksvermehrer taugte. Todesarten sind je nach Beschluss: Eingraben bis an den Kopf; Einhängen mit dem Halse in einen eng gegabelten Pfahl; Aufbinden an Bäume oder an Kreuze, worauf man wahrscheinlich zuerst im Kongoreiche seit der Missionstätigkeit verfallen ist; Aufhängen an den Beinen; Pestschnüren auf gebrechlichen Flössen von leichten Hölzern, die man ins Wasser schiebt. Einen an ein Kreuz gefesselten Toten habe ich einmal auf dem Tschiloängo flott gesehen. Die Gerichteten, denen man häufig vorher einen betäubenden Trank eingibt, mögen sterben, wie Nsämbi will, wie sie können. Derartige Strafvollziehungen erregen grosses Aufsehen, locken das Volk an, wie man bei uns zum Hochgerichte zog, und liefern Gesprächsstoff für lange Zeit. Wo die Art der Strafe es zulässt, sollen Mutter, oder. Schwestern sich des Gerichteten annehmen, bei ihm wachen, ihn versorgen, gefrässige Tiere verscheuchen, damit der Leib unversehrt bleibe, der Seele wegen. Manchen sollen sie sogar heimlich befreit und ausser Landes geschafft haben. Es werden allerlei Geschichten erzählt von treuen Schwestern. Eine hat den bis zum Halse eingegrabenen Bruder des Nachts von ihrer Brust genährt. Eine andere hat den auf einem Floss triftenden Bruder den Strom hinab begleitet, hat ihn gespeist und getränkt, mit einem Knüppel die Krokodile abgewehrt, bis ein Schiff Hilfe brachte. Und wie der Berichte mehr sind. Derlei Liebestaten scheint man in guten Zeiten stillschweigend zu dulden. Dem Rechte ist genügt, den Gerichteten wird man los. Der Verbrecher, dem es nicht an Leib und Leben geht, wird geächtet. Seine Erdschaft pflegt ihn auszustossen, nicht bloss um ihn zu strafen, sondern um sich seiner zu entledigen, um weiterer Verantwortung für ihn enthoben zu sein. Muküli, der Verbannte; kuküla ku nssi ändi (gesprochen wie kunssiändi) wörtlich: entfernen, abtrennen von Erde seiner. Ächtung. Rückkehr. Markte und Marktrecht. 231 Seine Behausung wird verbrannt, all sein Besitz verfällt dem Erdheirn oder der Erdschaft, nicht der Familie, denn der legt man zur Last, dass er schlecht geworden ist.. Sie hätte ihn. besser erziehen: müssen. Nun ist er ein münya Nsämbi, ein Elender, der seine Sache auf Nsämbi stellt. E r geht ins Elend, in die Fremde, friedlos,; vogelfrei, ausgeschlossen von Dach, Feuer, Wasser, Tier und Pflanze, so weit die Erde seiner Richter reicht. Das ist für ihn das Härteste. Denn er hat allen Rückhalt verloren. Für seinen früheren Verband ist er ein Nichts, mag auch seine Familie sich noch um ihn bekümmern. E r wird in der Ferne verenden. Niemand wird für sein Grab, für seine Seele sorgen. Kehrt ein muküli auf die Erde zurück, wo er sündigte, so muss er sterben wie der Rückfällige, wie der Flüchtling, der vor der Aburteilung entlief. Anderthalb Stunden binnenwärts von unserer Station hatten sich während einer öffentlichen Verhandlung auf dem Palaverplatz zwei junge Männer und ein dritter, der seinem Blutsfreunde beisprang, aneinander vergriffen und Blut vergossen. Sie entwichen in das W aldland, wo sie verschollen. Zu unserer Zeit, es mochten sechs Jah re darüber hingegaugen sein, und der alte Erdherr war inzwischen gestorben, wagten sie' es, mit einem Gang von Büschleuten ihre Heimat zu kreuzen. Sie wurden erkannt, ergriffen und gerichtet. Der am wenigsten Schuldige, der dem Blutsfreunde geholfen hatte, wurde bloss geächtet, weil er aus Freundschaft gefehlt, und weil ihn die Sehnsucht nach seiner alten Mutter heimgetrieben batte. Die beiden anderen mussten an der Stelle, wo sie einst gefrevelt hatten, einen jämmerlichen Tod erleiden. Auf dem neu gesäuberten, mit Wiepen, Bastgehängen und anderem Zauberkram umfriedigtem Platze wurden sie aufrecht bis an den Hals eingegraben und dem Verschmachten preisgegeben. Zu retten waren sie nicht. Die Zeiten waren schlimm, und die Leute befürchteten schwere Heimsuchung, falls sie ein Auge zudrückten. Ähnliche. Bestrafung droht einem jeden, der sich hinreissen lässt, den Marktfrieden zu stören, gar durch Bluttat zu brechen. Jeder Marktplatz, ob gross, ob klein, gewöhnlich im offenen Gelände und womöglich hoch liegend, bietet an Markttagen Schutz und freies Geleit. Wie an den schon genannten Zufluchtsstellen ist es nicht erlaubt, irgend jemand auf dem Marktplatze oder zwischen den Marktgängern Gewalt anzutun, im Menschengewühl einen Flüchtling, eine Geisel zu greifen. F ü r den Gottesfrieden zeugen häufig Denkmäler: umpfählte Erdhaufen, Gedenkbalken, auch künstlich verflochtene und allmählich wunderlich verwachsene Stangenhölzer oder Zweige von Bäumen, endlich niedrige grossblätterige Feigenbäume mit sperrigem Astwerk und weit ausladenden flachen Wipfeln (III 176, Abbildung I 146), Nsända genannt, was insofern bezeichnend ist, als der Markt lisändu, plur. masändu heisst. Nicht selten sind


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