228 Todesurteil. Milderung. Strafaufschub. lautet aber der Spruch auf Tod, so setzt er das obere Ende auf und kratzt damit dreimal Erde gegen den Verdammten. Manche Richter pflegen dahei noch Blätter oder Stücke von Grashalmen zu zerreissen, was auch als Bekräftigungszeichen eines Handelsabschlusses gilt. Zur Königszeit soll stets zum Gedenken des Todesurteiles auf dem Gerichtsplatz ein Gesetzespfosten, ein Merkbalken — tschinsslku — eingerammt worden sein, was jetzt kaum noch geschieht, wenigstens habe ich nur einen einzigen frischen gesehen.*) Ein Todesurteil muss einstimmig gefällt werden. Als erwiesen pflegt zu gelten, was zwei einwandfreie Zeugen beschworen haben. Einen unklaren Fall lässt man durch Gottesurteil, durch die Giftprobe entscheiden, oder man heisst den Mann sich bei der Erde frei schwören. Gefoltert wird keiner, der seine Unschuld beteuert; das kommt gelegentlich bei Hexenprozessen vor, wird auch auf Beschluss der Blutsfamilie von deren Oberhaupt gegen einen verstockten, grundschlechten Angehörigen angewendet, aber das Erdgericht befasst sich nicht mit solchen Dingen. Vormals ging die ungeklärte Sache in Berufung an den König. Jetzt beruhigt man sich dabei, man habe das Seinige getan, Nsämbi werde richten. Natürlich kommt es vor, dass trotz erwiesener Schuld Einstimmigkeit nicht zu erzielen ist, dass aus irgendwelchen Gründen Gnade vor Recht geht, weil der Frevler sonst ein guter Mensch und beliebt war, weil er einer mächtigen Familie angehört, weil noch anderes zu seinen Gunsten wirkt. Alsdann wird der Sünder verbannt und statt seiner vielleicht ein Leibeigener, häufiger ein Tier getötet, das er vorher um den Richtplatz oder um die Stelle des Verbrechens oder um die ihr zunächst benachbarte Ortschaft zu tragen hat. Darin scheint der Brauch abzuweichen. Dem Freigesprochenen steht, falls er vor das Erdgericht erst durch die Beschuldigung einer Partei gekommen ist, ein Reugeld von dieser zu neben dem Ersatz aller Kosten, den übrigens auch noch die beteiligten Erdschatten für sich fordern. Darüber wird dann in gewöhnlichen Palavern befunden. Dem zum Tode Verurteilten wird manchmal ein Aufschub der Strafvollziehung bewilligt, damit er sich von seiner Mutter oder von Geschwistern, Frau und Kindern verabschiede, sein Haus bestelle und seine *) Kutäba richten, mutäbi Richter, luntäbu Urteil; kubökä kn ntäbu, das Urteil verkünden. Mubängi Zeuge, mukiindi Eideshelfer, auch ndlku Freund, bulundiku Freundschaftsbeweis. MpSssa Eid, luvünu Lüge, lungängu List, Verschleierung, ngängu mtäta Falsehheitsvater, Lügenbold, überhaupt^ schlechter Kerl. Nkängu a ntäma wörtlich: geschnürt, gekrampft am Herzen, Augst, Entsetzen des Schuldigen, dem, wenn er Mörder ist, sein Opfer erscheint. Mumpövi berufsmässiger Unterhändler, bezahlter Anwalt, dem Sinne nach: Viel- oder Mischmaschredner. Bürgschaft. Flüchtlinge. Fürsten. Asyle. 229 Schulden bezahle. Mit dem Vertrauen, das in Palaverbeschlüssen herrscht, stellt sich für ihn ein Bürge, ein Verwandter oder Blutsfreund, und man lässt ihn ziehen. Ab und an ist man vielleicht ganz froh, wenn er nicht wiederkehrt. Der Bürge und seine Familie haben dann ein Reugeld, sowie die Kosten des Gerichtsverfahrens und der Sühnebandlung mit dem Opfertier aufzubringen, oder der Bürge wird Höriger. Beides ist gewinnbringender als eine Hinrichtung. So war es auch zur Zeit des Sklavenhandels, da verkaufte man Verbrecher einfach übers Meer und hatte damit seine Erde von ihnen befreit. Ein Verurteilter rettet sein Leben, wenn es ihm glückt, eine fürstliche Person zu berühren oder zu bespucken, ferner auf Speichel und andere Auswurfstoffe eines Mfümu nssi zu treten. Man glaubt, dass dadurch eine enge Verbindung der Lebenskräfte von Personen erzielt werde. Der Gerettete wird Leibeigener, muss aber die Erde, wo-er sündigte, verlassen und darf niemals zurückkehren, sonst hat er sein Leben endgültig verwirkt. Rückkehr gilt gleich Rückfälligkeit und findet keine G nade. Schutz, wenigstens vorläufig, gewähren, dem entsprungenen Verurteilten die Gottespfade nebst den Anländen der eingeschalteten Fährstellen, wo ihn der Ferge zuerst und allein und darauf nach Belieben die Verfolger übersetzt, sodann die Gräberfelder der Könige und Fürsten, die ja von den Gottespfaden berührt werden, sowie an Geschäftstagen die Märkte. Sicherheit fand er zur Königszeit auch dort, wo die Staatsfeuer brannten, und findet sie daselbst wohl manchmal noch gegenwärtig. Aber alle diese Zufluchtsstellen nützen bloss zeitlich, weil, wenn er im Finsteren nicht zu entschlüpfen vermag, Hunger und Durst ihn in die Hände lauernder Häscher treiben, er müsste denn insgeheim von Weibern gelabt werden. Mancherlei Geschichten erzählen, wie Frauen und Mädchen gleichsam zum Sport Wächter und Schergen überlistet haben. Der Gehetzte kann nichts dafür, dass er ohne Speise und Trank ist. Aber er muss Sorge tragen, dass ihm nicht ein verräterischer Streich gespielt werde. Einem Erdfrevler, der die Seite 223 aufgezählten schwersten Verbrechen begangen hat, soll überhaupt nicht geholfen werden, weil sonst Nsämbi Heimsuchung sendet. Feuer darf der Flüchtling unter keinen Umständen zünden, das duldet keine Erdschaft. Rettung kann ihm auch durch einen Weissen werden, der ihn von seinem Gehöft sogleich über See verschickt. Das habe ich einmal unter besonders günstigen Umständen erlebt. Der Mann war fort, der Fall erledigt, und es schien, die Leute waren im stillen froh darüber. Ein freundlich gebotener Trunk beschwichtigte alle Missstimmung. Der Vorgang wird dm vierten Kapitel ausführlich beschrieben werden. Aber der Europäer hat kein Erdrecht. Wenn er nicht sehr angesehen und erfahren ist,
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