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wert. ' Sie wollen ihn nicht, sich zur Schande und zum Schaden, aufs Geratewohl verdammen, verstümmeln und vielleicht rimbringen lassen. Fände doch selbst nach einem Justizmorde seine Seele so viele Jahre keine Kühe, als sein Leben gewaltsam verkürzt worden ist, und eine Verstümmelung quälte ihn auch im Jenseits. Der Erdfrevel fordert seine Sühne, aber es soll dabei ordnungsmässig zugehen, es soll keine Hinrichtung als Notbehelf und Schreckmittel vollzogen werden. Deswegen tritt das Erdgericht zusammen. An einer Stelle, wo Pfade sich, gabeln oder kreuzen, wird auf einem gesäuberten viereckigen Platze über den vermeintlichen oder überführten Verbrecher Gericht gehalten. Es soll nicht, wie andere Palaver, im Dorfe, unter Baum oder Schattendach, sondern im-Freien, vor Erde und Himmel, gleichsam vor Nsämbis Angesicht stattfinden. Oberrichter in Erdsächen ist der Maböma, der Herr der Furcht und des Schreckens. E r hält auf Lebenszeit das hohe Ehrenamt, womit ihn vielleicht mehrere Erdschatten gemeinsam betraut haben. Ein festes Gehalt bezieht er ebensowenig wie andere Würdenträger; Amtshandlungen werden durch herkömmliche Gaben im voraus vergütet. Aber alle Kosten tragen die Erdschatten. Beklagte oder deren Angehörige dürfen nicht schenken. Einen ob seiner Weisheit und Gediegenheit gerühmten Maböma lädt man nicht selten auch nach anderen Landstrichen zu schwierigen Verhandlungen. Seine Schöffen, je nach Bedeutung des Falles zwei bis sechs, sind unbescholtene und erfahrene, stets neu und gewöhnlich von fernher bernfene freie Männer, wenn es sich um Freie, und hörige Männer, wenn es sich um Unfreie handelt. Sie dürfen weder Verwandte oder Blutsfreunde des Beklagten und der Geschädigten nebst Anhang sein. Sind gegnerische Parteien in die Angelegenheit verwickelt, so vermittelt zwischen ihnen und den Richtern ein dazu erwählter ehrenwerter und. rechtskundiger oder besser: in Überlieferungen erfahrener Mann als Unparteiischer, als Sprecher — musönssi, plur. basönssi. ' Unmündige und Weiber, die zwar sonst, in gewöhnlichen Prozessen, allenthalben persönlich für ihr Recht einstehen, aber vor dem Erdgericht weder aussagen noch schwören dürfen —1 bei der Erde kann nur der mit Zeugungsglied schwüren vertritt ein Blutsmann oder ihr. Erdherr, Hörige ihr Besitzer oder ebenfalls der Erdherr. Doch lässt man tüchtige, in der Erdschaft geborene Hörige auf Verantwortung ihrer Herren auch persönlich gelten. : Gänzlich ausgeschlossen von Bericht, Zeugenschaft und Eid sind Leibeigene, ferner alle Personen, die irgendwelche körperliche Fehler haben; sowie Trottel, Besessene, Trunksüchtige, Zänker, Klatschmäuler, Lügenbolde, Erkrankte und Altersschwache. Fürsten unterstehen nicht dem Erdgericht, brauchen nicht einmal als Zeugen zu erscheinen. Vor dem Erdgerichte geht es in der Regel auf Leben und Tod. Gegen den Spruch, der gewöhnlich sogleich ausgeführt wird, gibt es kein Auflehnen, doch muss ein Todesurteil einstimmig gefallt werden. Der Angeschuldigte wird derartig gesetzt, dass sein Gesicht nach dem Orte der Tat schaut.. Handelt es sich um Parteien, so wird umständlich zwischen ihnen Licht und Luft gleichmässig verteilt oder der Maböma wählt seinen Sitz mit dem Rücken nach ihren Wohnorten sowie mitten im Winkel der Richtungen dahin. Auch äusserlich gleiches Mass für jeden, dafür wird mit grösser Gewissenhaftigkeit gesorgt. Bevor die Richter die Verhandlung eröffnen, ermahnen sie sich bei Nsämbi, ohne Ansehen der Person und reinen Herzens oder aus der Tiefe des Herzens (Gewissen) das Rechte — lulüku — zu finden. Massgebend sind dabei vornehmlich Präzedenzfälle, die im Volksmunde fortleben und das Rechtsbewusstsein stärken. Alle Personen, die mitzuwirken haben , werden . gleichermassen feierlich zur Wahrhaftigkeit — tschie- lika —, zur Vermeidung von Irrtum — luvündschiu -“s-, von Verschleierung und Gedankenmogelei||g|lubälu lu (a)' luvünu — ermahnt. Verteidiger, Freunde, Eideshelfer für guten Leumund werden angehört, Aussagen umständlich erwogen, Eide auferlegt. Aber es wird bei der Erde, nicht auf. Fetische geschworen, wie es sonst landläufig ist. Wanderer, Handelszüge haben den Gerichtsplatz weit zu umgehenf. um nicht zu stören, nicht die Aufmerksamkeit abzulenken. Unbeteiligte dürfen zuhören, aber nicht dreinreden, nicht miteinander schwatzen, nicht rauchen, essen, trinken. Wer zu reden hat, steht auf. Ungebühr vor Gericht wird hart geahndet, kommt aber schwerlich vor. Angaben, die unwürdig, zu laut gemacht werden, leidenschaftliche Reden 6 - tübila ngölo: redend mit Macht, zuviel, zu eifrig; mutübi: Einer mit Zündnadelmundwerk — dämpft auf Wink des Maböma der Sprecher, heisst allzu Erregte austreten und zur Abkühlung ein Gefäss mit Wasser leeren; als letztes Mittel legt er das Tschimpäpa auf den Boden. Solange das Blutbannzeichen daselbst ruht, hat jedermann am Platze, ausser den Richtern, sich zu erheben und bei schwerer Busse zu schweigen. Nicht einmal Räuspern oder Husten ist erlaubt. Der Angeklagte, der auf einer groben Lüge ertappt wird, ist sogleich schwer belastet. Denn, so schliessen die Richter, hätte er nichts zu verbergen, so würde er nicht von der Wahrheit abgewichen sein. Nach Schluss der Verhandlungen, während die. Richter sich abseits beraten, das alte oder kluge Weib fragen, liegt das Blutbannzeichen auf der Erde. Jedermann soll stehen, niemand soll reden oder sich bemerkbar machen. Keiner soll sich entfernen, auch keiner herantreten, winken oder irgendwelche Zeichen geben. Beim Verkünden des Urteiles drückt der Sprecher des Maböma, ein Knie gebeugt, den Griff des Tschimpäpa auf die Erde, lü*


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